Titelthema Wer macht 
den ersten Schritt?

08.02.2016

Die Industrie könnte einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Ja, könnte, wenn es denn voranginge mit der vielbeschworenen Energieeffizienz. Neue Normen oder Verordnungen braucht es dazu nicht – aber intelligentere Konzeptionen, etwa bei Antriebssträngen, wären ein guter Anfang.

Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 647 Terawattstunden (TWh) elektrischer Energie erzeugt. Knapp 92 TWh gingen in den Export. Vom Rest wurden schätzungsweise 45 Prozent in der inländischen Industrie verbraucht, davon wiederum etwa zwei Drittel für Antriebstechnik – also rund 160 TWh. Das entspricht der Leistung aller hiesigen Braunkohlekraftwerke. Bei Lenze ist man sich sicher: 20 Prozent dieser Energiemenge – und damit auch des CO2-Ausstosses – ließe sich problemlos einsparen, wenn energieeffiziente Antriebsstränge zum Einsatz kämen. Trotz der seit Jahren existierenden Vorgaben zum Einsatz von energieeffizienteren Motoren „ist zu wenig passiert“, so Tim Bendig, Leiter des Bereichs Unternehmenskommunikation von Lenze.

Konzeption an erster Stelle

Dabei sind für den Hauptteil der möglichen Einsparungen nicht einmal speziell auf Effizienz getrimmte Komponenten notwendig, sondern erst einmal nur konzeptionelle Änderungen. „Mehr Intelligenz im Antriebsstrang“, so sein Credo, würde allein schon 75 Prozent der möglichen Einsparungen bringen. Denn den größten Energieverlust verursachen Antriebe, die völlig überdimensioniert sind und daher in Teillastbereichen laufen, wo nur geringe Wirkungsgrade erreicht werden.

Die Kalkulation sieht oft noch so aus, dass nicht die gewöhnliche Betriebslast zugrunde gelegt wird, sondern beispielsweise bei der horizontalen Förderung der maximale Bedarf, der zum Starten des Bandes gebraucht wird, und dann noch ein Zuschlag als Sicherheitsreserve.

Dabei ließe sich das Problem viel besser lösen: „Mit mechatronischen Lösungen können Spitzenbelastungen intelligent bewältigt werden. Dadurch können die Energieverbräuche deutlich reduziert werden“, so Bendig. Die niedrigere Dimensionierung bringt finanzielle Vorteile – zumindest beim Antrieb selbst, aber über die Laufzeit gesehen auch beim Stromverbrauch. Um den Maschinenbauer bei der Wahl geeigneter Komponenten zu unterstützen, hat Lenze seit einiger Zeit den Drive Solution Designer im Einsatz, der es erlaubt, den Antriebsstrang genau auf die Anwendung zuzuschneiden.

Wirkungsgrade verbessern

Komponenten, die energieeffizienter sind, ermöglichen laut dem Automatisierer weitere 15 Prozent Einsparungen. Dies allerdings nur, wenn sie auch so eingesetzt werden, dass sie ihren Vorteil wirklich ausspielen können. Für IE3-Motoren beispielsweise gilt dies bei hoher Last und Dauerbetrieb mit Nenndrehzahl. Zwei­stufige Stirnradgetriebe empfehlen sich ebenso wie Winkelgetriebe mit Kegelverzahnungen, die einen höheren Wirkungsgrad aufweisen als Schneckenradsätze. Weitere Möglichkeiten der Einsparungen bietet das Ablösen von hydraulischen und pneumatischen Antrieben, die teils immer noch im Einsatz sind. Hier haben elektrische Antriebe eindeutig den besseren Wirkungsgrad. Zudem vermeiden sie Probleme wie sie beispielsweise durch austretendes Hydrauliköl entstehen.

Bremsenergie nutzen

Noch einmal 10 Prozent der einzusparenden Energie geht auf das Konto von Bremsenergie durch Motoren im generatorischen Betrieb, die andere Antriebe nutzen können, statt diese lediglich über Bremswiderstände zu verheizen. Die einfachste Möglichkeit besteht darin, die rückgespeiste Energie über einen DC-Verbund der Umrichter zu leiten und so direkt wieder zur Verfügung zu stellen. Bei kontinuierlichem Start/Stopp-Betrieb können auch Kondensatoren ein geeignetes Mittel der Wahl sein, um die Energie kurzfristig zwischenzuspeichern.

Bei höheren Strömen lohnt sich auch der Einsatz einer Rückspeiseeinheit, die überschüssige elektrische Energie wieder ins Netz zurückführt. Dieses Thema gewinnt aktuell deutlich an Bedeutung, denn Lenze hat hier ebenfalls einen Weg gefunden, die Komponente flexibler zu gestalten. Bislang war es üblich, Einspeise- und Rückspeise-Einheit zu kombinieren, was dazu führte, dass die Leistung der beiden Elemente jeweils gleich sein musste. Nun hat der Hersteller die Rückspeise-Einheit separiert, so dass sie unabhängig dimensioniert werden kann, was ebenfalls zu einer kostengünstigeren Lösung führt.

Intelligente Bahnen

Noch nicht berücksichtigt in der Kalkulation sind Effekte, die sich aus der Anpassung von Bahnführung und Geschwindigkeit ergeben. Das Institut für Mechatronische Systeme (imes) an der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität in Hannover forscht in Kooperation mit Lenze unter anderem daran, die Steuerungssoftware so anzupassen, dass Roboterbewegungen die natürliche Schwerkraft ausnützen, um Schwung zu holen. So wird weniger elektrische Energie für die Antriebe benötigt. Eine andere Überlegung kann es sein, abhängig von der Auftragslage die Geschwindigkeit zu reduzieren, was insbesondere bei Beschleunigungs- und Bremsvorgängen den Energiebedarf positiv beeinflusst. Entsprechende Software, die für eine automatische Anpassung sorgen könnte, muss aber erst noch entwickelt werden.

Lebenszyklus-Rechnung

Im Wettbewerb entscheidet nur in den seltensten Fällen die Frage nach der Schonung der Ressourcen über den Vertriebserfolg – zumindest Stand heute. Letztendlich müssen energieeffiziente Lösungen genauso leistungsfähig und wirtschaftlich konkurrenzfähig sein. Dabei sind nicht nur die Investitionskosten, sondern auch die Betriebskosten zu berücksichtigen. Die Betrachtung der Life Cycle Costs (LCC) fällt dann positiv aus, wenn die eingesparten Stromkosten die höheren Anschaffungskosten überwiegen. Dazu muss der Maschinen- oder Anlagenbauer aber seinem Kunden diese LCC-Rechnung erst einmal vorlegen – und der muss offen sein für diese Argumentation.

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