Doppelt sieht man besser 5G, Edge Computing und KI als Schlüsseltechnologien

Ein digitaler Zwilling kann eine komplette Fertigungsstraße mit allen Anlagen und Geräten umfassen, inklusive der Umgebungsbedingungen, unter denen diese arbeiten. Ein kontinuierlicher Strom von Sensordaten aus der Produktionsumgebung stellt dabei sicher, dass der Zwilling stets auf dem neuesten Stand ist

Bild: Dall-E, publish-industry
11.03.2024

Digitale Zwillinge erlauben es, Maschinen, Roboter und ganze Fertigungsstraßen virtuell abzubilden. Das hilft bei der Optimierung von Abläufen, aber auch bei deren Anpassung für Produktvarianten oder der Inbetriebnahme neuer Anlagen. Die Schlüsseltechnologien dafür sind 5G, Edge Computing und KI, denn die virtuellen Systeme sind auf Echtzeit-Informationen aus der realen Welt sowie smarte Datenauswertungen angewiesen.

Viele produzierende Unternehmen haben in den vergangenen Jahren in ihre Digitalisierung investiert – schließlich stehen sie aufgrund des Fachkräftemangels, hoher Energiepreise und volatiler Lieferketten unter anhaltendem Druck und müssen dringend agiler und effizienter werden. Häufig wurden zum Beispiel neue Sensoren eingeführt, um Bauteile tracken und Produktionsanlagen überwachen zu können. Das allerdings ist erst der Anfang, denn wenn es darum geht, das komplexe Geflecht aus Systemen und Prozessen in einer Fertigung wirklich zu verstehen, immer weiter zu optimieren und bei Bedarf anzupassen, führt künftig kein Weg an digitalen Zwillingen vorbei.

Im einfachsten Fall ist ein digitaler Zwilling das virtuelle Abbild einer Maschine oder eines Industrieroboters. Er kann jedoch auch eine komplette Fertigungsstraße mit allen Anlagen und Geräten umfassen, inklusive der Umgebungsbedingungen, unter denen diese arbeiten. Ein kontinuierlicher Strom von Sensordaten aus der Produktionsumgebung stellt dabei sicher, dass der Zwilling stets auf dem neuesten Stand ist und nicht von der echten Welt abweicht. Auf diese Weise liefert er detaillierte Einblicke in die gesamte Produktion, ohne dass die Verantwortlichen die Fertigungshalle aufsuchen und einzelne Maschinen überprüfen müssen.

Mithilfe von KI lassen sich die Daten zudem auswerten, um Verschleiß und drohende Defekte an Maschinen oder Robotern frühzeitig zu erkennen. Ebenso ist es möglich, Anomalien bei den Fertigungsparametern und Umgebungsbedingungen aufzuspüren, bevor sie zur Produktion von Fehlchargen führen. In letzter Konsequenz entsteht so ein bidirektionales System, bei dem der digitale Zwilling sein physisches Gegenstück nicht nur überwacht, sondern ihm auch Anweisungen erteilt, die Produktionsstörungen verhindern. Derzeit sind Unternehmen allerdings noch sehr vorsichtig bei automatisierten Eingriffen in die Produktionsprozesse, doch mit den schnellen Fortschritten in der KI-Entwicklung und dem wachsenden Vertrauen in die Entscheidungen von KI-Systemen dürfte sich das in naher Zukunft ändern.

Verbesserungspotenziale vorhanden

Ihr volles Potenzial entfalten digitale Zwillinge indes erst, wenn Unternehmen sie auch für Simulationen nutzen. Ohne die laufenden Produktionsprozesse zu unterbrechen, können sie beispielsweise überprüfen, wie sich veränderte Parameter auf die Abläufe auswirken – und damit auf die Produktionsqualität, die Durchlaufzeiten, die Kosten oder die Nachhaltigkeit. Die Algorithmen spielen verschiedene Szenarien durch und berücksichtigen alle Abhängigkeiten und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Systemen, bis sie eine optimale Lösung gefunden haben. Dabei zeigt sich oft, dass schon kleine Anpassungen große Auswirkungen haben können. Eine geringe Positionsveränderung von Robotern etwa vermag womöglich die Wege der Roboterarme zu verkürzen, was die Produktion beschleunigen, den Verschleiß verringern und Strom sparen würde.

Zudem können Unternehmen im digitalen Zwilling alle notwendigen Anpassungen virtuell vornehmen, wenn sie ihre Fertigung auf andere Produktvarianten umstellen oder Industrieroboter im Rahmen von Kleinserienproduktionen umprogrammieren. Anders als klassische Maschinen, die in der Regel nur für eine einzige Aufgabe gemacht sind, sind die typischen Industrieroboter mit ihren sechs Gelenken äußerst vielseitig. Je nach Programmierung können sie Werkstücke unter anderem schneiden, fräsen, löten, schleifen und lackieren oder auch greifen und platzieren, montieren und verpacken. Erst wenn alle Anpassungen in der virtuellen Welt intensiv getestet wurden und reibungslos funktionieren, werden sie auf die realen Systeme übertragen.

Selbst neue Maschinen und Roboter oder ganze Fertigungsstraßen lassen sich dank digitaler Zwillinge zunächst virtuell in Betrieb nehmen. Das spart Zeit und Geld – und reduziert Risiken, weil das Zusammenspiel der Systeme bis ins kleinste Detail aufeinander abgestimmt werden kann, bis der Fertigungsprozess wie gewünscht läuft. Erst dann geht es an den Aufbau und die Inbetriebnahme der echten Anlagen, die anschließend vom digitalen Zwilling überwacht werden.

Ohne Datenverarbeitung in Echtzeit gehts nicht

Das alles funktioniert allerdings nur, wenn die umfangreichen Sensordaten aus der Produktion schnellstmöglich übertragen und ausgewertet werden. Schließlich müssen viele Entscheidungen in Sekundenbruchteilen gefällt werden, sonst ist zum Beispiel ein defektes Bauteil auf dem Band bereits weitergefahren, bevor ein Roboter es greifen und aussortieren kann. 5G und Edge Computing sind deshalb neben KI die Schlüsseltechnologien für die Umsetzung von digitalen Zwillingen.

Die Datenverarbeitung am Edge, also direkt vor Ort, verhindert Verzögerungen, die bei der Übertragung in ein zentrales Rechenzentrum oder die Cloud unweigerlich entstehen. Alle zeitkritischen Analysen werden auf Systemen am Edge durchgeführt – nur für die langfristige Speicherung der Daten und Ergebnisse oder weniger eilige Auswertungen erfolgt eine Übertragung an zentrale Standorte. In der Produktionsumgebung selbst sorgt der Mobilfunkstandard 5G mit seiner großen Bandbreite und ultra-niedrigen Latenz für verzögerungsfreie Datentransfers. So kommen die Daten nicht nur blitzschnell bei den digitalen Zwillingen und anderen IoT-Anwendungen an, sondern deren Erkenntnisse und Anweisungen werden auch umgehend zurückgespielt, sodass Maschinen und Roboter nahezu in Echtzeit auf Ereignisse reagieren können.

Darüber hinaus ermöglicht 5G die Vernetzung einer sehr großen Anzahl von Geräten, sodass der Standard perfekt für die Anbindung unzähliger Sensoren geeignet ist. Als Mobilfunktechnologie unterstützt er auch einen reibungslosen Handover zwischen den Funkzellen, sodass mobile Roboter oder fahrerlose Transportfahrzeuge nicht kurzzeitig die Verbindung verlieren, wenn sie von einer Funkzelle in eine andere wechseln. Insbesondere in Lagern und Fertigungshallen kommen solche Wechsel regelmäßig vor, da dort aufgrund von Wänden und Metallstrukturen meist mehrere Basisstationen gebraucht werden. Zu guter Letzt bietet 5G auch Support für Time Sensitive Networking (TSN), das für eine synchrone Kommunikation zwischen Sensoren, Maschinen und Steuersystemen zuständig ist und exakt aufeinander abgestimmte Abläufe ermöglicht.

Aufwand und Risiken reduziert

Der Aufbau und Betrieb eines privaten 5G-Netzes und von Edge-Infrastrukturen ist komplex und aufwendig. Da die meisten Industrieunternehmen weder über die notwendigen personellen Ressourcen noch über das erforderliche Wissen verfügen, besteht das Risiko, dass die Kosten aus dem Ruder laufen und die Projekte nicht den gewünschten Nutzen bringen. Deshalb bieten sich As-a-Service-Modelle als Alternative an: Hier übernimmt ein erfahrener Dienstleister den Aufbau und Betrieb der Netze, Systeme und Plattformen sowie deren Integration in die bestehende Umgebung. Dadurch sind Unternehmen in der Lage, digitale Zwillinge und andere IoT-Anwendungen schneller zu implementieren und zu nutzen, um ihre betriebliche Effizienz zu steigern, Kosten zu senken und durch eine optimale Ressourcennutzung nachhaltiger zu werden.

Bildergalerie

  • Industrieroboter existieren nicht mehr nur in der physischen Welt, sondern als digitaler Zwilling auch in der digitalen. Die virtuellen Abbilder ermöglichen es, die Roboter genau zu überwachen und ihre Arbeit immer weiter zu optimieren.

    Industrieroboter existieren nicht mehr nur in der physischen Welt, sondern als digitaler Zwilling auch in der digitalen. Die virtuellen Abbilder ermöglichen es, die Roboter genau zu überwachen und ihre Arbeit immer weiter zu optimieren.

    Bild: Monty Rakusen

  •  Mit ihrer hohen Bandbreite und ultra-niedrigen Latenz sorgen 5G-Netze dafür, dass die vielen Daten aus der physischen Welt schnell in die digitale fließen und in Echtzeit ausgewertet werden können.

    Mit ihrer hohen Bandbreite und ultra-niedrigen Latenz sorgen 5G-Netze dafür, dass die vielen Daten aus der physischen Welt schnell in die digitale fließen und in Echtzeit ausgewertet werden können.

    Bild: Gianfranco Carraca

  • Marcus Giehrl, Practice Director Innovations and Smart Technologies bei NTT

    Marcus Giehrl, Practice Director Innovations and Smart Technologies bei NTT

    Bild: NTT

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