Michael Ziesemer war mit diesem Beitrag im A&D-Kompendium 2019/2020 als einer von 100 Machern der Automation vertreten.
Ohne Zweifel verändert die Digitalisierung unsere Gesellschaft und die Industrie. Natürlich sind die Prozessautomatisierung und Endress+Hauser davon auch – und nicht zuletzt – betroffen. Doch wovon reden wir überhaupt? Als ich im Jahre 1981 als 29-jähriger Elektroingenieur bei Endress+Hauser eingetreten bin, hatten wir das erste Mikroprozessorgesteuerte Messgerät schon im Programm. Das ist 38 Jahre her.
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Was ändert sich?
Was ist also überhaupt neu an Digitalisierung? Eigentlich nichts. Und doch werden seit zehn bis 15 Jahren eine Branche nach der anderen umgewälzt. Das konnten wir 1981 noch nicht erkennen. Der Kern der Entwicklung steckt im Mooreschen Gesetz, nachdem sich die Rechnerleistung auf einem Chip gegebener Größe alle 18 Monate verdoppelt. Das beschreibt eine Exponentialfunktion.
Doch wir Menschen denken nicht so. Wir denken linear. Doch weil sich die Rechnerleistung alle 18 Monate verdoppelt, gilt das gleiche nun für die Menge an Daten, die gewonnen, gespeichert und verarbeitet werden. Und damit kommen nun die datengetriebenen Geschäftsmodelle, von denen wir vor Jahren noch nicht einmal geträumt haben.
Damit verändert sich die Struktur der Wertschöpfung bei Endress+Hauser fundamental, doch nicht nur bei uns – überall. Sensoren, Messtechnik und Hardware bleiben wichtig. Unser Kerngeschäft bleibt wichtig. Doch rundherum um dieses Kerngeschäft entstehen nun vielerlei datengetriebene Dienstleistungen, Apps, Plattformen und Software-Tools für unsere Kunden.
Der entscheidende Wandel ist mental
Auch diese Entwicklung ist nicht wirklich neu. Bei uns begann sie vor 20 Jahren, erst klein und unbedeutend, oft verlacht aufgrund der anfänglichen wirtschaftlichen Bedeutungslosigkeit. Und doch war das die Zeit, in welcher Wettbewerbsvorteile begründet wurden. Entscheidend ist ja nicht diese oder jene App oder auch nicht dieser oder jener technischer Fehlschlag. Fehlschläge sind unvermeidlich, wo Innovation vorangetrieben wird.
Entscheidend sind die Menschen, vor allem unsere Mitarbeiter. Der entscheidende Wandel ist nicht technologisch, er ist mental. Agile Methoden müssen in der Entwicklung verstanden werden. Ein Vertrieb – der immer nur den Ehrgeiz hatte, der beste im Produktverkauf zu sein – muss lernen, in Lösungen zu denken und wie man gemeinsam mit dem Kunden entwickelt,
statt der staunenden Kundschaft das isoliert geschaffene neue Produkt vorzustellen.
Für die Zukunft aus anderen Branchen lernen
Was ich für diese zwei Bereiche beschrieben habe, gilt für alle. Als früheres Vorstands- und als heutiges Verwaltungsratmitglied sehe ich meine vornehmste Aufgabe darin, als Evangelist der Digitalisierung diesen Wandel zu beschreiben, Menschen mitzunehmen, ihnen Angst zu nehmen, aber sie auch zum Lernen und zum aktiven Angehen des Wandels anzuspornen. Der Blick über den Zaun ist dabei besonders wichtig. Wir können viel aus anderen Branchen lernen – so beispielsweise aus der Halbleitertechnik, dem Automobil oder aus Consumeranwendungen.