Interview über Open Automation „Wir erleben eine Plattform Rallye“

Dr. Claus Bischoff, CTO bei Lenze: „Dank unserer Plattform-Strategie können wir schnell Software auf Maschinen zum Laufen bringen, Versionieren und die Produktion sicher machen.“

Bild: Lenze
02.04.2024

Seit einem Jahr lenkt Dr. Claus Bischoff als CTO die technischen Geschicke von Lenze. Mehr Geschwindigkeit, mehr Offenheit, mehr Kollaboration sind sein Credo. Und genau das benötigen auch Maschinenbauer für mehr Wettbewerbsfähigkeit, wie der CTO im Interview mit A&D verdeutlicht.

Zum Start: Was sind die wichtigsten Schwerpunktaufgaben, seit Sie bei Lenze also CTO angetreten sind?

Zuhören, nachfragen, lernen und verstehen was Lenze erfolgreich gemacht hat. Auf dieser Basis haben wir als Vorstand mit der Mannschaft daran gearbeitet, eine stärkenbasierte Zukunftsausrichtung für unsere Produkte und Arbeitsweise zu entwickeln. Es geht dabei darum, die Stärken des Unternehmens mit neuen Technologien und innovativen strukturellen Ansätzen zu verbinden. Kurz: die eingefahrenen Koordinatensysteme verlassen und die Herausforderungen und Chancen in Koordinatensystemen der Zukunft gestalten. Eine wichtige Rolle dabei spielt die Fähigkeit, echte Partnerschaften einzugehen. Ich bin in den letzten Wochen viel unterwegs gewesen und habe spannende Anknüpfungspunkte gefunden.

Neue Besen kehren gut heißt es: Wo wirbeln Sie mit Ihren Skills besonders viel Staub auf?

Guter Versuch, aber ich bin sicher nicht zu Lenze gekommen, weil dort Staub angesetzt wurde. Im Gegenteil: ich war beeindruckt von der Breite an guten, hochmotivierten und einsatzbereiten Mitarbeitern. Ich sehe meine wichtigste Aufgabe darin, diese performanten Mitarbeiter noch stärker gesamtheitlich (End2End) hinter unseren Produkten zusammenzuführen. Ein Stück weit kann man davon sprechen, die Wurzeln von Lenze, also die Verbundenheit der Mitarbeiter zu den Produkten, in die Koordinaten von zukunftsorientiertem Arbeiten zu überführen. Ich spreche in diesem Zusammenhang gerne von High Performance Teams. Darunter verstehe ich Teams, die mit höchstmöglichem Maß an Eigenverantwortung und Eigenorganisationfähigkeiten das Beste für unsere Produkte und damit für das Unternehmen bewirken. Dazu werden wir die Fähigkeit stärken, über Funktions- und Abteilungsgrenzen hinweg zu arbeiten und zu gestalten.

Wer sich nicht schnell bewegt, wird gefressen. Wie verschaffen Sie Maschinenbauern mehr Speed?

Drei Punkte: Arbeiten in High Performance Teams mit der Fähigkeit, Produkte ganzheitlich zu entwickeln und in den Markt zu bringen. Nutzung der Chancen der Digitalisierung, um die Kompetenzen und Ressourcen im Mittelstand sinnvoll und nachhaltig zu ergänzen und weiterzuentwickeln. Agieren in schlagkräftigen Netzwerken oder Neudeutsch Ökosystemen, mit offenen Plattformen und Systemen. So werden wir als schlagkräftiger Marktteilnehmer im globalen Wettbewerb erfolgreich bestehen.

„Gefühlt“ bieten alle Hersteller offene Ökosysteme und Plattformen an. Was bedeutet aber Offenheit konkret für Sie?

Ja, wir erleben eine Plattform Rallye. Jeder will seine Kunden auf eine Plattform locken. Und „offen“ sind auch alle. Das Problem ist, dass viele Maschinenbauer nicht verstehen, was offen bedeutet und fragen uns dann, wie wir denn Geld verdienen wollen. Kunden sind kritisch, wenn sie nicht verstehen, wie das Gegenüber Umsätze macht. Offen heißt nicht Freibier für alle. Offen bedeutet bei uns, wir setzen auf IT-Standards, sind in der OPC Foundation engagiert, beteiligen uns beispielsweise bei der Open Industry 4.0 Alliance und entwickeln gemeinsam offene, allgemeingültige Standards, damit Softwareanbieter, Hardwareanbieter, Maschinenbauer und OEMs auf der Plattform agieren und Geld verdienen können. Und wir müssen auch voneinander lernen – in die anderen Branchen schauen. Im Agrarbereich gibt es erfolgreiche Plattform-Modelle. Ich habe viele Jahre in der Automobilindustrie gearbeitet und Mercedes Benz beispielsweise setzt auf ein Open Source Manifest und motiviert Mitarbeiter, sich in den Communities zu engagieren, selbst Teil der Communities zu werden, diese zu unterstützen, weil man die Menschen in den Projekten braucht. Auch Github ist eine Plattform und verdient Geld mit Offenheit, mit Open Source Code und Microsoft war das vor einigen Jahren viele Milliarden wert. Wir müssen in der Industrie, im Maschinenbau kollaborativer denken.

Welche Lösungen hat Lenze bereits im Portfolio, um den erforderlichen Kulturwandel hin zu mehr Offenheit, Kollaboration und Wachstum zu unterstützen?

Für unsere Kunden gibt es Nupano, die den Kunden bei der Entwicklung der Maschinen begleitet und ihm bei dem Management von Applikationen unterstützt. Im Betrieb können die Kunden die Asset Performance Plattform nutzen, die an Nupano andockt und den Wechsel zwischen den Rollen ermöglicht. Beide Welten wachsen zu einer Plattform-Strategie von Lenze zusammen. Zudem arbeiten wir daran, unsere Systemlösungen vermehr auf IT-basierte Softwarebausteine aufzusetzen. Intern ermutigen wir unsere Kolleginnen und Kollegen, sich Open Source Projekten zu öffnen, Entwicklern Feedback in den Projekten zu geben, Fehler zu melden.

Lenze forciert seit Jahren eine Datendurchgängigkeit als wichtige Grundlage digitaler Services. Anfangs war der Fokus noch stark auf Engineering-Tools, jetzt auf Plattformen. Ist der Job einer durchgehenden Toolchain „erledigt“?

Das wäre schön. Nein, wir müssen noch arbeiten an dem Thema Produktpass, am digitalen Zwilling, aber wir sind schon ein Stück weiter. Wir haben die Engineering-Tools, aber die großen Brocken kommen mit mehr Software im Maschinenbau. Wir brauchen die Toolchain und müssen die Software im Lebenszyklus der Maschine verwalten, aktualisieren, Optimierungen fahren. Früher stand eine Maschine und lief. Heute fordern Kunden mehr vom Maschinenbauer. Dafür braucht es die Durchgängigkeit.

Ein offenes Ökosystem bieten zu können ist eine Sache. Aber wie begleitet Lenze Kunden während ihres gesamten Digitalisierungsprozesses?

Miteinander reden, Themen ausprobieren und Applikationen entwickeln. Wir unterstützen Kunden bei der Entwicklung mit eigenen Kapazitäten und bieten dem Kunden über unsere Plattform die Möglichkeit, einfach selbst Applikationen aufzusetzen und zu verwalten.

Wie sehr sind Lenzes offene Plattformen wiederrum „kompatibel“ und eingebettet in Initiativen wie Manufacturing-X?

Wir sind Teil der Initiative, engagieren uns in der Arbeit der Gremien, investieren viel Zeit für gemeinsame POCs und wollen den Standort Deutschland voranbringen. Wir arbeiten mit Partnerunternehmen wie der Firma Schunk daran, erste Pilotanwendungen in die Anwendung zu bringen.

Welche Vorteile bieten offene digitale Ökosysteme wie Nupano, insbesondere in Bezug auf Resilienz bei Störungen, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit?

Transparenz und Informationen. Sie sehen, was in ihrem Unternehmen passiert, sie wissen, was auf dem Shopfloor passiert. Sie wissen, welche Softwareversion auf der Maschine läuft und sind beispielsweise bei Cyberattacken sicherer aufgestellt. Sie können schnell Updates fahren und Machine Learning Modelle zur Energieoptimierung implementieren.

Welche Herausforderungen müssen wir auf dem Weg zu offenen Plattformen noch überwinden?

Plattformen genießen bei vielen Maschinenbauern keinen guten Ruf. Es klingt nach Abhängigkeit, man könnte annehmen, man müssen sich für eine Plattform einmal, final entscheiden und kann nie mehr zurück. Das wollen wir nicht und das müssen wir auch kommunizieren.

Zusammengefasst: Wenn es um Open Automation geht, warum sollten sich Maschinenbauer an Lenze als Lösungsanbieter wenden?

Wir bauen gute Produkte – Hard und Software, die durchgängig, skalierbar und offen sind, vom Antriebselement bis zur Cloudapplikation, haben das nötige Domänenwissen, arbeiten mit modernen, Standard-IT-Tools und schließen niemanden ein und werfen dann den Schlüssel in die Weser.

Und welche Ziele haben Sie sich persönlich für die nächsten Jahre bei Lenze gesetzt?

Gemeinsam mit den leistungsbereiten, in der Breite und Tiefe hochgradig kompetenten Menschen bei Lenze ein Produkt- und Leistungsportfolio aufbauen, mit dem wir auch in 2030 ein führender Automation-Player sein werden. Dabei ist für mich neben der Technologieentwicklung das Wichtigste, auch Strukturen und Arbeitsweisen aufzubauen, diese konsequent auf den zukünftigen, globalen Wettbewerb auszurichten, das heißt eben die Koordinatensysteme der Zukunft zu bauen. Was mich an diesem Weg auch ganz persönlich begeistert, ist die Überzeugung, dass wir unter anderem durch die Unterstützung von digitalen Technologien wie KI die traditionellen Stärken von Lenze und die menschlichen Aspekte der Zusammenarbeit wieder deutlicher in Vordergrund treten lassen.

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel