Smart Traffic & Mobility Antrieb 4.0

25.09.2014

Das Auto wird Teil eines Internets der Dinge. Die um sich greifende Vernetzung erfasst auch den Fahrzeugantrieb und verändert die Arbeit der Maschinenbauer. Eine Grundsatzbetrachtung.

Fragt man junge Erwachsene, ob sie eher auf das Auto oder das Handy verzichten würden, ist die Antwort deutlich: Das Auto ist wichtig, aber nicht zwingend. Einer Umfrage zufolge, die Stefan Bratzel von „Center of Automotive Management“ 2011 durchführte, können sich 75 Prozent der 18- bis 25-Jährigen nicht vorstellen, einen Monat auf ihr Mobiltelefon zu verzichten. Umgekehrt verhält es sich mit dem Auto: 60 Prozent können sich vorstellen, es einen Monat stehen zu lassen.

Der Schluss, den Bratzel aus der Umfrage zog, ist inzwischen Allgemeingut in der Automobilindustrie: „Das vernetzte Auto bietet für Automobilhersteller eine Chance, große Teile der jungen Generation wieder für das Auto zu begeistern.“ So werden seit Jahren die Infotainmentsysteme um immer mehr Funktionen angereichert, die Grafikqualität auf den Displays kommt mittlerweile an hochwertige PC-Spiele heran. Um die Apps, die jeder auf dem Handy mit sich trägt, auch während der Fahrt nutzen zu können, werden verschiedene technische Lösungswege beschritten: Apple und Google setzen mit Carplay und der Open Automotive Alliance auf jeweils eigene, den Betriebssystemen angepasste Standards. Daneben operiert das von der Automobilindustrie angestoßene „Mirror Link“ (siehe Beitrag dazu auf Seite 24 in der Mobility 2.0 10/2014, Ausgabe 4: http://industr.com/Mobility20-Magazin/de_DE/e-paper).

Doch verbraucht ein Auto, das eine Standleitung ins Internet besitzt, weniger Kraftstoff und trägt dadurch zum Klimaschutz bei? Die Suche nach einer Antwort muss bei der Vernetzung der einzelnen Komponenten innerhalb des Fahrzeugs beginnen. Diese startete bereits in den neunziger Jahren, als mit dem ursprünglich von Bosch entwickelten CAN (Controlled Area Netwerk) ein abgesichertes, automobiltaugliches Bussystem zur Verfügung stand, das sukzessive zum Branchenstandard wurde. Es schaffte die Voraussetzung dafür, dass elektronisch geregelte Antriebssysteme wie Motor und Getriebe ohne direkte Verdrahtung auf die Daten aller Fahrzeugsensoren zurückgreifen können. Ein simples Beispiel für eine daraus entstandene realisierbare Funktion ist das Ineinandergreifen von Antiblockiersystem und Motorsteuerung bei Notbremsungen. Und auch heute, wo hochkomplexe hybridisierte Antriebssysteme zu regeln sind, ist CAN weiterhin die Basistechnologie – etwa wenn Topologiedaten aus dem Navigationssystem für die Entwicklung einer Fahrstrategie verwendet werden.

IP-Kommunikation kommt

Mittlerweile bekommt der CAN-Bus allerdings Konkurrenz – und zwar durch ein IP-basiertes Ethernet. Was den Autoelektronikern der ersten Stunde undenkbar schien, ist in den ersten Fahrzeugen von BMW bereits Realität: Die Kommunikation läuft in einem Format, das seit 30 Jahren die Bürowelt dominierte, lange jedoch alles andere als autotauglich erschien: Zu unzuverlässig, zu wenig hierarchisch – und die passenden Kabel gab es auch nicht. Der Ersteinsatz erfolgt daher auch nur für die Anbindung eines kamerabasierten Assistenzsystems. Und doch ist damit eine Revolution in Gang gekommen, vergleichbar der bislang überwiegend auf proprietärer Kommunikationstechnik basierenden Fabrikautomatisierung. Die Produktionstechniker diskutieren die Umstellung unter dem Stichwort „Industrie 4.0“. Visionäre – aber auch Forscher – träumen von einer Fabrikhalle, in der Maschinen und Werkstücke per drahtlosem Internet verbunden sind und den Produktionsablauf vollständig selbst organisieren.

Grundsätzlich gilt für jedes geregelte System, dass die Regelgüte besser wird, wenn möglichst alle variablen Eingangsparameter, die auf das Ergebnis einen Einfluss haben, möglichst exakt bekannt sind. Dies gilt insbesondere für Hybridfahrzeuge, weil dort die möglichen Ausgangsparameter nicht nur in einem weiten Bereich streuen, sondern Entscheidungen über anzustrebende Zustände des Gesamtsystems zu treffen sind. Ist es also das Ziel, eine Strecke A mit möglichst geringem Energieeinsatz zurückzulegen, dann gilt es die dafür notwendigen Informationen zusammenzutragen. Viele der Informationen liegen allein aufgrund des fahrzeuginternen Austausches schon vor: So sind der Ladezustand der Batterie und die Fahrstrecke – für hybridisierte Antriebe die wichtigsten Eingangsparameter – bekannt, zumindest sofern der Fahrer ein Navigationssystem benutzt.

Bis vor kurzem hatten die Daten zur Fahrstrecke das Manko, dass wenig oder gar nichts über bevorstehende Berg- oder Gefällestrecken bekannt war. Doch mittlerweile bieten mehrere Zulieferer einen „elektronischen Horizont“ an. Der ist nicht nur für hybridisierte Pkw, sondern auch für konventionell betriebene Nutzfahrzeuge von Bedeutung. So hat Bosch zur IAA einen „Landstraßenassistenten“ angekündigt. Dieser Regler passt die Geschwindigkeit vollautomatisch an das Streckenprofil an und berücksichtigt dabei auch Hindernisse, die der Fahrer aufgrund von Kurven oder Kuppen gar nicht erkennen kann.

Höhere Prognosegüte

Nachdem seit mehr als zehn Jahren intensiv an Hybridfahrzeugen entwickelt wird, sind die berechneten Fahrstrategien so weit optimiert, dass eine weitere Verbrauchsreduzierung nur erreicht werden kann, wenn auch jene Parameter berücksichtigt werden, die aus der sich dynamisch verändernden Umwelt resultieren. Der wichtigste hierbei ist sicher der Verkehrsfluss. Wird er auch heute schon von Navigationssystemen erfasst, so ist die Prognosegüte noch immer eingeschränkt. Sofern nicht – wie bei einigen Highend-Systemen der Fall – Verkehrsflussdaten von Google genutzt werden, ist die Latenzzeit zwischen tatsächlichem Geschehen auf der Straße und Meldung zu groß. Spontane Ereignisse zu erfassen und weiterzugeben – etwa eine Notbremsung wenige Hundert Meter voraus –, ist mit der heutigen Kommunikationstechnik schlicht unmöglich. Grundsätzlich technisch realisierbar sind solche Funktionen, die nicht nur die Sicherheit erhöhen, sondern auch den Verbrauch absenken, aber durchaus, wie das herstellerübergreifende Forschungsprojekt „simTD“ gezeigt hat.

Aber auch ohne Drahtloskommunikation sind die Kraftstoffeinsparungen enorm, wenn die Verkehrs- und Wetterdaten die topographischen Informationen ergänzen. In einer 2012 vorgestellten Arbeit zeigte Professor Giorgio Rizzoni, Inhaber eines von Ford finanzierten Lehrstuhls an der Ohio State University, dass der Verbrauch von Plug-in-Hybridfahrzeugen um rund 20 Prozent verringert werden kann, wenn der zu erwartende Geschwindigkeitsverlauf jeweils für die kommenden 60 Sekunden bekannt ist. Die Daten für seine prädiktive Verkehrsstrategie hatten Rizzonis Studenten aus frei im Internet verfügbaren Quellen besorgt.

Störungen im Verkehrsfluss verhindern

Nun ist der Verkehrsfluss aus Fahrzeugsicht bislang eine reine Eingangsgröße. In einem Internet der Dinge könnte das geregelte System eines Tages selbst zum Regler werden. Denn sind die Fahrstrecken vieler Verkehrsteilnehmer vorab bekannt, könnten auch die zur Verkehrssteuerung eingesetzten Systeme, etwa Signalanlagen (vulgo: Ampeln) oder temporäre Tempobeschränkungen auf gewissen Autobahnabschnitten vorausschauend gesteuert werden. Bislang sind solche Systeme bestenfalls teilautomatisiert, sie reagieren auf Störungen, anstatt diese von vorne herein zu verhindern.

Womit der Mensch, sprich der Fahrer, ins Spiel kommt. Sein Verhalten stellt die am wenigsten terminierte Eingangsvariable für den Fahrzeugantrieb dar – und das wird so bleiben, so lange nicht Menschen vom Gesetzgeber dazu gezwungen werden, sich aus Sicherheitsgründen ausschließlich in autonomen Autos zu bewegen. Doch so sehr sich der Mensch seiner Individualität rühmt: Sein Verhalten in der Zukunft ist in der Regel aufgrund historischer Daten relativ gut prognostizierbar. Dies gilt insbesondere für sein Fahrverhalten. Ungelöst ist allein die Frage, wie ein bestimmter Fahrer bei einem Fahrzeugwechsel zuverlässig erkannt werden soll. Eine Identifizierung über das am Leib getragene Mobiltelefon wäre zwar grundsätzlich möglich, dem stehen allerdings datenschutzrechtliche Fragen entgegen. Vorerst behilft man sich daher mit einer Fahrertyp-Erkennung aufgrund der aktuellen Fahrweise – oder noch einfacher mit Fahrprogrammschaltern, die die Wahl zwischen Komfort-, Öko- oder Sportmodus lassen.

Intelligente Fahrzeugsysteme

Viele der hier diskutierten Fragen sind Aufgabenstellungen der Informatik. Bleibt für die angehenden Maschinenbauer – oder auch die Elektrotechniker – denn ausreichend Arbeit? Ja, denn nur mit Bits und Bytes bewegt sich ein Auto keinen Millimeter von der Stelle. Durch die Informationstechnik entstehen Möglichkeiten, in der Vergangenheit starre durch intelligente Systeme zu ersetzen. Zwei Beispiele dafür:

  • Noch immer sind bei einem großen Teil der weltweit gebauten Motoren die Ventilöffnungs- und -schließzeiten geometrisch terminiert, bei modernen Ottomotoren ist zumindest eine Phasenverschiebung durch einen Nockwenwellensteller Standard. Die Vorteile vollvariabler Ventiltriebssysteme sind zwar eminent. Im realen Verkehr lässt sich deren theoretisches Potenzial nicht vollständig ausschöpfen, da die Übergänge zwischen verschiedenen Betriebsarten nur reaktiv erfolgen kann. Aus Komfortgründen – man weiß ja nicht, was der Fahrer als nächstes tun wird – sind Latenzzeiten in der Regel höher als eigentlich technisch notwendig.

  • Die Kühlwassertemperatur ist bei modernen Motoren zweistufig, in einigen Fällen auch bereits stufenlos regelbar. Dies führt indirekt über den benötigten Volumenstrom der Kühlwasserpumpe zu niedrigeren CO2-Emissionen. Aufgrund der thermischen Trägheit des Kühlmediums würde das Kühlsystem von einer Vorausschau auf kommende Lasten besonders profitieren. Ähnliches gilt für die indirekte, gekühlte Abgasrückführung.

Teleüberwachung wie bei Rennfahrzeugen

Lokale Intelligenz, vernetzt mit der großen Welt, das gilt künftig für nahezu alle Motorkomponenten. Ein weiterer Nutzen für den Autofahrer könnte darin liegen, dass auftretende Fehler mechanischer Natur frühzeitig vor Ort detektiert werden können. Eine permanente Teleüberwachung aller Schlüsselkomponenten, heute noch Rennfahrzeugen vorbehalten, würde es ermöglichen, Fahrzeuge gezielt in Werkstätten gerufen werden. Und sogar die TÜV-Prüfung könnte eines Tages überflüssig werden.

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel