Autofahren in Zukunft kann so entspannt sein. Während der PKW locker mit 130 Stundenkilometern über die Autobahn rollt, überarbeitet der Fahrer seine Präsentation, die er in einer Stunde halten muss, schreibt ein paar E-Mails und vereinbart einen Termin beim Zahnarzt. Erst als sein Fahrzeug sich einer Baustelle nähert, an der die drei Fahrbahnen auf eine Spur reduziert werden, muss er seine Tätigkeit unterbrechen: Sein Auto fordert ihn mit optischen und akustischen Signalen dazu auf, das Steuer selbst zu übernehmen und den Wagen durch die Engstelle zu lenken. Wenige Meter hinter dem Hindernis übergibt der Fahrer Lenkrad und Gaspedal wieder dem Auto und kehrt an seine Arbeit zurück.
Vorstufe zum autonomen Fahren
Von hochautomatisiertem Fahren sprechen Wissenschaft und Technik, wenn Autos in der Lage sind, auch bei höheren Geschwindigkeiten große Distanzen selbstständig zurückzulegen. So wie beim autonomen Fahren, wie es derzeit Google in Kalifornien erprobt, fährt das System beim hochautomatisierten Fahren zwar eigenständig, muss aber vom Fahrer innerhalb einer gewissen Zeitreserve wieder übernommen werden können. Wie das funktionieren kann, untersuchen Psychologen der Universität Würzburg in dem neuen Forschungsprojekt Ko-HAF – Kooperatives, hochautomatisiertes Fahren. Dabei arbeiten sie eng mit den Experten des Würzburger Instituts für Verkehrswissenschaften (WIVW) in Veitshöchheim zusammen.
Wie ist die Schnittstelle zwischen Auto und Fahrer beim hochautomatisierten Fahren zu gestalten? So lautet die zentrale Frage, mit der sich die Wissenschaftler beschäftigen, sagt Alexandra Neukum, Geschäftsführerin des WIVW. Oder, anders formuliert: Wie und zu welchem Zeitpunkt muss das Fahrzeug seinen Fahrer darauf aufmerksam machen, dass er demnächst wieder den Chauffeurjob übernehmen muss? Das ist der Punkt, an dem die Psychologen ins Spiel kommen. „Wir beschäftigen uns unter anderem mit dieser Übernahmesituation“, erklärt Professor Wilfried Kunde, Inhaber des Lehrstuhls für Psychologie III an der Universität Würzburg. Denn wie sich der Aufgabenwechsel für den Fahrer möglichst einfach vollzieht – das sei eine originär psychologische Fragestellung.
Testfahrten im Simulator
Reicht ein akustisches Signal als Aufforderung zur Übernahme der Kontrolle? Möglicherweise nicht, wenn der Fahrer laute Musik hört. Was aber hilft ein optisches Signal, wenn er tief in einen Roman versunken ist? Und, ganz wichtig: Woher weiß der Fahrer, wer gerade die Verantwortung hat – er oder sein Fahrzeug? Diese und viele weitere Fragen wollen die Experten aus Würzburg und Veitshöchheim klären. Ihr Ziel ist, wie sie es nennen, eine „Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine“, die vom Fahrer akzeptiert wird und die gleichzeitig ein Höchstmaß an Sicherheit garantiert. Um das zu erreichen, setzen sie ganz klassisch auf Experimente. Ihr wichtigstes Hilfsinstrument ist dabei die Methode der Fahrsimulation. Einer der weltweit ausgereiftesten Fahrsimulatoren befindet sich in den Räumen des WIVW in Veitshöchheim.
Kernstück des Simulators ist ein PKW der oberen Mittelklasse, der hinter der B-Säule abgeschnitten wurde. Von der Bedienung her unterscheidet sich der Wagen nicht von einem Serienfahrzeug. Für den richtigen Eindruck vom Fahren sorgen eine Reihe von Beamern. Sie projizieren realistische Bilder auf eine halbkugelförmige Kuppel vor und neben dem Testwagen und spiegeln so eine Autobahnfahrt Richtung Alpen vor. Für das richtige Fahrgefühl arbeiten zahlreiche hydraulische Elemente im Hintergrund. Sie kippen den Simulator je nach Situation nach vorne, nach hinten oder zur Seite und erwecken damit beim Testfahrer das Gefühl von Beschleunigung, Bremsen oder einer schnellen Kurvenfahrt. Im Unterschied zu einem normalen Pkw überwachen im Simulator etliche Sensoren und Kameras den Fahrer und registrieren präzise sein Verhalten.
„In unseren Experimenten lassen wir die Versuchspersonen während der Fahrt im Simulator unterschiedliche fahrfremde Tätigkeiten erledigen und untersuchen, wie sich diese auf die Übernahmeleistung auswirken“, beschreibt Dr. Frederik Naujoks, Psychologe und Projektmitarbeiter an der Universität, die geplante Vorgehensweise. Wie muss die Anzeige aussehen, welche Symbole sind am besten verständlich? Woher weiß der Fahrer, wie viel Zeit ihm noch bleibt, bis er aktiv werden muss? Woran erkennt er, dass sein Auto das vorausfahrende Fahrzeug nicht rammt, sondern bei der nächsten Gelegenheit überholt? Um solche Fragen dreht sich die Arbeit der Wissenschaftler in den kommenden drei Jahren.
Das Auto muss den Fahrer kontrollieren
Ein Auto, das seinen Fahrer dazu auffordert, etwas zu tun: Das klingt nach einer Kommunikations-Einbahnstraße. Tatsächlich muss die Kommunikation beim hochautomatisierten Fahren in zwei Richtungen laufen. „Das Auto muss zu jeder Zeit wissen, in welchem Zustand sich der Fahrer befindet“, erklärt Professor Kunde. Denn je nachdem, ob dieser gerade gebannt einem Krimi auf seinem Tablet folgt, gedankenversunken telefoniert oder vielleicht ja doch das Verkehrsgeschehen verfolgt, muss die Aufforderung zur Lenkradübernahme mehr oder weniger intensiv beziehungsweise frühzeitig geschehen. Im Idealfall erkennt der Wagen sogar, wenn ein medizinischer Notfall vorliegt, und bremst dann von alleine auf dem Standstreifen zum Stillstand ab. „Das Fahrzeug muss also den Fahrer beobachten und sein Verhalten interpretieren können“, sagt Kunde.
Entspanntes Fahren im Stau
Am Ende, so das übergeordnete Ziel des Forschungsverbunds, soll ein Ergebnis stehen, das von der Industrie eingesetzt werden kann, sagt Alexandra Neukum. Im Idealfall ist das eine funktionierende Mensch-Maschine-Schnittstelle – ergänzt um „einen Konsens darüber, was wir an fahrfremden Tätigkeiten zulassen können“.
Dass in wenigen Jahren hochautomatisierte Pkw flächendeckend Fahrer quer durchs Land von A nach B transportieren, glauben die Wissenschaftler übrigens nicht. Eines der Hauptanwendungsgebiete dieser Technik sehen sie zunächst im Stau. Wenn die Frage der Übernahme sicher geklärt ist, könnten die Autofahrer dort ihre Zeit sinnvoll nutzen, anstatt im kilometerlangen Stop and Go ihren Blutdruck unnötig in die Höhe zu treiben.
Das Projekt Ko-HAF
Insgesamt 15 Partner aus Automobilherstellern, Automobilzulieferern und öffentlichen Einrichtungen sind an dem Forschungsprojekt Ko-HAF beteiligt. Für die Laufzeit bis voraussichtlich Ende November 2018 sind dafür Ausgaben von rund 36 Millionen Euro bewilligt. Finanziell unterstützt wird es vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Rahmen des Programms „Neue Fahrzeug- und Systemtechnologien“. Rund 500.000 Euro fließen an die Universität Würzburg. Der internationale Automobilzulieferer Continental übernimmt die Koordination.