Lärmschutz, Abwärme, Effizienzfragen und unzählige Bauvorschriften – Übertragungsnetzbetreiber müssen sich mit vielfältigen Herausforderungen auseinandersetzen, wollen sie den Netzausbau auch in den Innenstädten voranbringen. Aktuelles Beispiel: ein neues 400-kV-Umspannwerk im dicht besiedelten Londoner Distrikt Highbury. Im Zuge eines aufwendigen 400-kV-Kabelerweiterungsprogramms in der westeuropäischen Metropole gelang es dem lokalen Netzbetreiber, die Planungsbehörden davon zu überzeugen, dass sich ein geeignetes Umspannwerk auch mit minimalen Auswirkungen auf die Umgebung bauen lässt.
Um die erforderliche Grundfläche entsprechend zu reduzieren und die strengen Planungsanforderungen zu erfüllen, wurde in Zusammenarbeit mit Siemens eine innovative Lösung für das Umspannwerk entwickelt, das die Bedürfnisse der örtlichen Bevölkerung in besonderem Maße berücksichtigt.
Der Startschuss für das zukunftsweisende Projekt fiel im Februar 2014. Elementarer Bestandteil des neuen städtischen Umspannwerks: drei spezielle Netztransformatoren mit je 240 MVA Scheinleistung und einem Spannungsverhältnis von 400 kV/132 kV, komplett schlüsselfertig geliefert – inklusive Kühl- und Wärmerückgewinnungssystem. Als wesentliche Anforderung sollten die Transformatoren mit möglichst wenig Standfläche auskommen und vor Ort flexibel zu konfigurieren sein. Außerdem gab es besondere Vorgaben bezüglich Brand- und Lärmschutz und den expliziten Wunsch, ihre Verlustleistung nutzbar zu machen.
All diese Kriterien konnten letztendlich nur mit einer besonderen Kühlung erfüllt werden. Zunächst einmal sind die Netztransformatoren mit einer Isolierflüssigkeit gefüllt, die zugleich als Kühlmittel dient. Um die beim Umwandeln von Spannung erzeugte Wärme abzuleiten, wird das Kühlmittel mithilfe des Thermosiphon-Effekts oder mittels Pumpen durch den Transformator geführt und anschließend in eine Kühlvorrichtung geleitet. Unter der Prämisse eines geringen Flächenbedarfs erwies sich hierfür eine Kombination aus Öl-Wasser- und Wasser-Luft-Wärmetauschern als ideal. Denn im Gegensatz zu den sonst üblichen freistehenden Kühlerbänken lässt sich die im Kühlmittel gespeicherte Wärme zur weiteren Nutzung auf das Medium Wasser übertragen. Die auf dem Dach des Trafo-Hauses aufgestellten Wasser-Luft-Kühler führen bei Bedarf überschüssige Wärme ab und reduzieren die Standfläche weiter.
Die Entscheidung zugunsten von Öl-Wasser-Wärmetauschern brachte jedoch ganz eigene Herausforderungen mit sich: Während ein herkömmliches Kühlsystem bei einem Ausfall der Hilfsstromversorgung noch weiter Wärme abführt, mit der sich Kühlpumpen und Lüfter betreiben lassen, musste für das neuartige Kühlsystem ein anderer Weg für einen unterbrechungsfreien Betrieb gefunden werden. Die neuen Transformatoren erreichen dies, indem sie die Stromversorgung für das Kühlsystem selbst speisen. Das neuartige Kühlsystem bleibt somit während des Betriebs stets belastbar, ohne auf eine separate Stromversorgung für das Umspannwerk angewiesen zu sein.
Trafos kühlen sich selbst
Um die Gesamteffizienz des Systems zu steigern und gleichzeitig die Abwärmeverluste zu senken, sind die Transformatoren ferner so konfiguriert, dass sie die elektrischen Verluste in Form von Warmwasser auffangen und zurückgewinnen können. Im konkreten Fall wird das Warmwasser in eine örtliche Nahwärmeanlage gespeist, die umliegende Wohngebäude und eine benachbarte Schule versorgt. Im Sinne einer möglichst großen Kapazität zur Wärmerückgewinnung sollte natürlich die Menge an Abwärme, die an die Umgebung abgegeben wird, minimal sein, während die Abgabetemperatur des Kühlwassers konstant bleiben musste – unabhängig davon, wie viel elektrische Energie durch die Transformatoren fließt. Die Lösung dieser Aufgabe setzt sich aus einer zusätzlichen Wärmeisolierung der Transformatoren und einem eigens entwickelten SPS-Kontrollsystem (speicherprogrammierte Steuerung) zusammen, das die Betriebstemperaturen intelligent regelt. In Konsequenz lassen sich alle drei Transformatoren für Fernwärme nutzen.
Angesichts der unmittelbaren Nähe zur Schule und den angrenzenden Wohngebäuden musste Siemens auch für einen optimalen Brandschutz sorgen. Dies gelang unter anderem dadurch, dass auf Mineralöl als Isolier-Kühlmittel verzichtet und stattdessen synthetischer Ester gewählt wurde, der nicht nur biologisch abbaubar ist, sondern auch über einen hohen Brennpunkt verfügt. Weil mit diesem Projekt synthetischer Ester zum ersten Mal weltweit bei einem Spannungspegel von 400 kV eingesetzt wird, stellte der Hersteller der endgültigen Transformatorenproduktion eine intensive Forschungs- und Entwicklungsarbeit voran.
Ein weit verbreitetes Ärgernis für Anwohner, die in der Nähe von Transformatoren leben, ist das typische Transformatoren-Brummen. Um diese Art Geräuschbelästigung zu vermeiden und die Lebensqualität der Anwohner zu erhalten, wurde ein Schalldruckpegel von 30db(A) in zehn Meter Entfernung festgelegt. Um diesen, mit einem menschlichen Flüstern vergleichbaren Wert einzuhalten, wurden extrem geräuscharme Lüfter entwickelt und die Kühler mit zusätzlichen Geräuschdämpfern ausgestattet.
Bereits im ersten Quartal 2016 sollen die Installationsarbeiten in Highbury abgeschlossen sein und kurz darauf die Transformatoren nebst Nahwärmeanlage in Betrieb gehen. Zuvor wurden die drei beeindruckenden Einheiten mit ihren zugehörigen Kühl- und Wärmerückgewinnungssystemen erfolgreich im österreichischen Siemens-Transformatorenwerk Weiz getestet und auf die Reise nach London geschickt – der erste bereits im März 2015. Nach der endgültigen Inbetriebnahme des neuen Umspannwerks mit seinem umweltfreundlichen Transformatorenkonzept wird den Anwohnern bestenfalls die angenehme Seite des Projekts auffallen, wenn sie beispielsweise ein wohlig warmes Wohn- oder Klassenzimmer genießen und zudem langfristig über ausreichend elektrische Energie verfügen.