Städte wachsen unaufhörlich: Derzeit gibt es weltweit mehr als 800 Agglomerationen mit mehr als einer Million Einwohnern. Alle drei Monate überschreitet eine weitere Großstadt die Fünf-Millionen-Grenze. Und im Jahr 2050 werden voraussichtlich 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. Derzeit sind es 51 Prozent. Mit dieser Entwicklung einher geht die rasante Zunahme des Güterverkehrsaufkommens. Zurzeit stellt allein die Versorgung der fast zwei Milliarden Menschen in den derzeit 800 größten Ballungsgebieten der Welt für Logistikdienstleister ein Umsatzpotenzial von 66 Milliarden Euro dar. Bei derzeitiger Praxis werden 2020 rund eine Million zusätzlicher Lkws in großen Städten unterwegs sein. Ohne neue Konzepte ist der Verkehrsinfarkt vorprogrammiert.
Herausforderung „letzte Meile“
Bereits heute finden in deutschen Städten insgesamt etwa 160.000 Auslieferungstouren pro Tag statt. Die Trucks machen zwar häufig nur 20 bis 30 Prozent des Stadtverkehrs aus, sorgen aber zu Stoßzeiten in vielen Städten immer noch für etwa 80 Prozent der innerstädtischen Staus. Hinzu kommt, dass die meisten Lkws auf der „letzten Meile“ in der Stadt im Schnitt nur zur Hälfte beladen sind. Einrichtungen wie Hotels, Krankenhäuser oder Einkaufszentren werden so jeden Tag von vielen, teils halbleeren Transportern angefahren, was zu überfüllten Laderampen und verstärkten Staus führt.
Die Situation wird sich weiter zuspitzen. Zum einen wird sich aufgrund des wachsenden Personen- und Güterverkehrs in den kommenden 30 Jahren der Bedarf an Straßenkapazität in den Städten weltweit vervierfachen. Aus Platz- und Kostengründen aber lassen sich die innerstädtischen Verkehrswege häufig nicht ausbauen. Zum anderen gilt es, Klimaziele wie die Reduzierung der Treibhausgas- und Feinstaubemissionen zu erreichen und zugleich einen störungsfreien Verkehrsfluss zu gewährleisten. Stadtverwaltungen rund um den Globus denken über Masterpläne zur Regulierung des Frachtverkehrs nach. Nach den Zielen der EU-Kommission soll der innerstädtische Verkehr in Europa bis 2050 komplett CO2-neutral werden. Erste Städte haben bereits gehandelt: So gibt es beispielsweise in Stockholm schon heute strenge Auslastungsvorschriften für den Frachtverkehr.
Beispiel Einzelhandel
Ein Großteil der täglichen Auslieferungstouren in deutschen Innenstädten entfällt auf den Einzelhandel. Dessen Logistik und Transport weisen in Deutschland, Österreich und der Schweiz einen hohen Reifegrad auf. Speziell im Großhandel ist das Optimierungspotenzial durch die Einrichtung zentraler Distributionszentren oder Regionallager häufig weitgehend ausgeschöpft. Bislang wenig berücksichtigt wurde jedoch die „letzte Meile“ in der Stadt, obwohl gerade dieser Teil der Distribution einen hohen Anteil der Fahrten einnimmt und durch neue Branchentrends und zunehmende Regulierung besondere Herausforderungen birgt.
So entstehen in Städten immer mehr Convenience-Shops oder Top-up-Stores, die Produkte des täglichen Bedarfs anbieten. Dies reduziert die durchschnittliche Anliefermenge und Sortimentsbreite. Zugleich steigen die Kundenanforderungen. Im Lebensmittelbereich konzentriert sich die Nachfrage immer mehr auf Convenience-Produkte und auf Freitag, Samstag und die Abendstunden, was zu höheren Auslastungsschwankungen führt. Auch findet eine zunehmende Verlagerung zu frischen und ultrafrischen Sortimenten statt, mit steigenden Qualitäts- und Verfügbarkeitsansprüchen an die Logistik. Als große Unbekannte erweist sich der auch hierzulande aufkommende Trend, Lebensmittel online einzukaufen.
Mit Kooperationen punkten
Soll auch in Zukunft die Versorgung der Städte nachhaltig sichergestellt sein, sind neue, ressourcenschonende und effektive Logistikkonzepte für die letzte Meile unverzichtbar. Sie erfordern gezielte Kooperationen innerhalb des Handels sowie von Handel und öffentlicher Hand. So umfasst die Ladungsvorkonsolidierung den Betrieb von Konsolidierungszentren „auf der grünen Wiese“ als Sammelstelle für Lkws auch für die letzte Meile, den Transport mehrerer Warengruppen pro Lkw, die Kommissionierung einschließlich Berücksichtigung der Füllsortimente sowie die Verbringung der Ladung in die Innenstadt mit voll ausgelasteten Lkws. Für Kleinst- und Kleinflächenformate ohne eigene Logistik führen die Bündelungseffekte beim Transport zu Kostensenkungen und ermöglichen, die Sortimentsvielfalt zu bewahren. Schließlich können aufgrund der dann kurzen Auslieferungsstrecken umweltfreundliche E-Trucks zum Einsatz kommen.
Denkbar ist zudem die konsolidierte, sortenreine Sammlung und Abführung von Abfällen und Wertstoffen. Erste Konzepte liegen vor, in denen beispielsweise Einzelhandelsabfälle von den Verkaufspunkten eingesammelt und am City-Lager verwertet werden. Die Aufbereitung und Nutzung von Wertstoffen erlaubt Einzelhändlern, eine Kosten- in eine Umsatzposition zu wandeln: So produziert ein durchschnittlicher Supermarkt rund 300 Tonnen Abfall pro Jahr, die nach Absortierung verwertbarer Anteile und Verbrennung der Restmengen auf einen Stromwert von derzeit rund 25.000 Euro kommen.
Um den Erfolg der Konzepte sicherzustellen, müssen die Städte die Rahmenbedingungen schaffen, sprich interne Planungsstellen und Kontrollinstanzen einrichten sowie Flächen für die Konsolidierungszentren zur Verfügung stellen. Die Logistikdienstleister wiederum müssen umdenken, proaktiv an die Städte herantreten und in enger Zusammenarbeit mit Stadtverwaltung, IT-Dienstleistern und Automobilherstellern passgenaue Lösungen für eine effiziente, klimaschonende innerstädtische Güterauslieferung entwickeln.
Neue Marktchancen konsequent nutzen
Moderne City-Logistik reduziert nach Berechnungen von Oliver Wyman die CO2-Belastung durch den Güterverkehr um 30 bis 40 Prozent. Zugleich ließe sich der Verkehrsfluss in vielen Städten um bis zu 40 Prozent optimieren. Für Logistikdienstleister entsteht ein neuer Markt mit einem enormen Umsatzpotenzial. Schon heute winken laut Analysen von Oliver Wyman weltweit zusätzliche Einnahmen von rund 24 Milliarden Euro pro Jahr. Dennoch sind Angebote für den konsolidierten Frachtverkehr in Ballungsgebieten bislang rar.