Aufgrund ihrer einzigartigen physikalisch-chemischen Eigenschaften sind PFAS jedoch für vielfältige Schlüsseltechnologien der Energiewende unabdingbar, zum Beispiel für Dichtungen oder Membranen für Brennstoffzellen und Elektrolyseure. Durch den generellen Ausstieg aus der Nutzung von PFAS kann es zu einer faktischen Blockade, in jedem Fall zu einer drastischen Verzögerung beim Hochlauf von Wasserstofftechnologien kommen, wodurch die Energiewende sowie die Erreichung der Klimaschutzziele des European Green Deals gefährdet werden.
Vor diesem Hintergrund fordert der Nationale Wasserstoffrat eine differenzierte Risikobewertung und Einstufung der relevanten Wasserstoff- und Energiewendetechnologien als „essential use“. Der Nationale Wasserstoffrat hat zeitnah nach der Veröffentlichung des Entwurfs der Europäischen Chemikalienagentur mit einer ersten Stellungnahme im Februar 2023 auf die damit verbundenen Herausforderungen hingewiesen.
Gleichzeitig steht der Nationale Wasserstoffrat im Dialog mit den relevanten Akteuren unter anderem aus der Industrie, der Energie- und der Wasserstoffwirtschaft. Die Erkenntnisse aus diesem Austausch sind in diese Stellungnahme des NWR eingeflossen. Die Bundesregierung wird gebeten, das Konsultationsverfahren zur PFAS-Regulierung verantwortlich zu begleiten, eine starke Position in den politischen Prozess auf EU-Ebene einzubringen und so schnell wie möglich Rechtssicherheit für alle Akteure zu schaffen.
Zielsetzung einer zukünftigen REACH-Verordnung muss sein, die Anforderungen an den Umweltschutz in Einklang mit Klimaschutz und sozioökonomischen Aspekten zu bringen. Dabei ist eine angemessene Kontrolle der Risiken, welche sich aus der Herstellung, dem Inverkehrbringen und/oder der Verwendung von PFAS ergeben, für Mensch und Umwelt, aber auch die Wirtschaft, unerlässlich.
1. PFAS-Materialien: Entscheidend für die Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft
PFAS kommen in vielen Produkten und Herstellungsprozessen für Technologien und Anlagen der Wasserstoffwirtschaft und Energiewende dann zum Einsatz, wenn extreme Produktions-, Herstellungs- oder Einsatzbedingungen gepaart mit einer langen Lebensdauer dies erfordern. Ohne per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS), insbesondere Fluor-Polymere, lassen sich viele Schlüsseltechnologien entlang der Wasserstoffwertschöpfungskette – von der Herstellung über die Speicherung und den Transport bis hin zu den Anwendungen in den verschiedenen Sektoren – auf absehbare Zeit nicht entwickeln, produzieren, optimieren und skalieren.
Die derzeit vorgeschlagene generelle Beschränkung der Verwendung von PFAS hätte massive Auswirkungen auf die Energiewende. Durch ein zu restriktives Verbot kann es zu einer faktischen Blockade, in jedem Fall zu einer drastischen Verzögerung beim Hochlauf von Umwelttechnologien kommen.
Dadurch sind sowohl die Energiewende, die Erreichung der Klimaschutzziele des European Green Deals als auch strategisch bedeutende Standorte und Arbeitsplätze, heute und in Zukunft, in der Europäischen Union und in Deutschland gefährdet.
2. Differenzierte Risikobetrachtung sollte in Ausnahmeprozess einfließen
Die Mitglieder des Nationalen Wasserstoffrates haben Unternehmen, Verbänden und Einrichtungen empfohlen, sich am aktuellen Konsultationsprozess zu beteiligen, und sie gebeten, dem Nationalen Wasserstoffrat den nicht vertraulichen Teil ihrer Eingaben zur Verfügung zu stellen. Diese Antworten sind in diese Stellungnahme des Nationalen Wasserstoffrates eingeflossen.
Der Nationale Wasserstoffrat empfiehlt, den Beschränkungsvorschlag des Annex XV vom 22. März 2023 umfassend im Einklang mit bestehendem Recht und im Sinne einer differenzierten Risikobewertung zu überarbeiten. Für viele PFAS-Verwendungen im Bereich der Wasserstoffwirtschaft und der Energiewendetechnologien existieren zurzeit und längerfristig absehbar (noch) keine geeigneten Alternativen, sodass Industrie und Gesellschaft auch zukünftig auf den Einsatz von PFAS in diesen Anwendungsbereichen angewiesen sein werden.
Da diese Technologien unabdingbar und von sozioökonomischer Bedeutung sind, müssen sie im Sinne des REACH-Prozesses als „essential use“ klassifiziert und entsprechend behandelt werden.
Der Nationale Wasserstoffrat empfiehlt, für die Neubeantragung, Überprüfung und Verlängerung von Ausnahmen (Evaluation) einen klaren und transparenten Prozess aufzusetzen und zu etablieren und das Ergebnis zeitnah in einem Beschränkungsdossier eindeutig und rechtssicher zu formulieren.
Folgende Aspekte sollen dabei berücksichtigt werden:
Für die Wasserstoff- und Energiewendetechnologien soll ein ganzheitlicher Ansatz auf Applikationsebene, der die Einhaltung von technischen, ökologischen, gesundheitlichen und sicherheitsrelevanten Kriterien angemessen umsetzt, gewählt werden. Generell soll gelten, dass bei der Bewertung der Alternativen die Vorteile einer PFAS-freien Lösung die Nachteile einer PFAS-haltigen überwiegen.
Die Herstellung der von der Beschränkung ausgenommenen Produkte in der EU muss weiterhin möglich sein. Das heißt, Ausnahmen müssen zum Beispiel auch die entsprechenden Vorstufen, Prozesshilfsmittel und Zwischenprodukte in der gesamten Lieferkette berücksichtigen. Bestandsanlagen müssen dabei unberührt bleiben.
Bei gleichwertig zu beurteilenden, bekannten Alternativstoffen sind angemessene Übergangsfristen festzulegen. Für unbefristete Anwendungen im Sinne von „essential use“ gelten die üblichen Produktions- und Lebenszyklen, um die notwendige Investitionssicherheit zu schaffen.
Alle Ausnahmen, sowohl die mit verlängerten Übergangsfristen als auch die als „essential use“ klassifizierten, sollen in regelmäßigen Zyklen evaluiert werden. Dabei soll auch bewertet werden, in welchem Umfang PFAS-freie Alternativen zwischenzeitlich entwickelt wurden sowie ob und wann sie industriell verfügbar sein werden.
Die Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt müssen ausreichend kontrolliert werden. Hierfür ist eine umfassende Risikoanalyse des quellenbezogenen Eintrags von PFAS in die Umwelt notwendig. Die Regulierung soll berücksichtigen und bewerten, wo Emissionen entlang der Wertschöpfungskette entstehen (Herstellung, Verarbeitung, Verwendung, Recycling, End-of-Life/Entsorgung), welche Risiken damit verbunden sind und wie diese bestmöglich zu minimieren und zu begrenzen sind.
3. Verantwortungsvoller Umgang mit PFAS
Der Nationale Wasserstoffrat empfiehlt, klar regulierte Entsorgungswege zu definieren und dabei die Aspekte wie Rücknahmeverpflichtung, Recycling, Abfallverordnung oder auch Re-Use zu berücksichtigen.
Die europäische Batterieverordnung setzt hier bereits ein positives Beispiel. Sie enthält sowohl Rücknahmeverpflichtungen durch Hersteller beziehungsweise Inverkehrbringer von Systemen als auch die Verpflichtung, den Recyclinganteil auf Rohstoffseite stetig zu erhöhen. So wird der Einstieg in die Kreislaufwirtschaft auch gesetzgeberisch motiviert.
4. Weitere F&E-Aktivitäten sind notwendig
Die Fortsetzung und Ausweitung staatlicher und industrieller F&E-Aktivitäten sind notwendig, um die Fragestellungen, Ziele und erfolgreiche Umsetzung des Europäischen-Chemikalienagentur-Verfahrens zu unterstützen. Im Vordergrund muss dabei die Entwicklung und Bewertung von PFAS-freien Alternativen für die Schlüsseltechnologien des Wasserstoffhochlaufes und der Energiewende mit dem Ziel des langfristigen Verzichts auf PFAS stehen.
Darüber hinaus erachtet der Nationale Wasserstoffrat zur Absicherung der aktuellen und zukünftigen Nutzung von PFAS folgende Schwerpunkte, die auch in die Förderprogramme mit einfließen sollen, als notwendig:
Auf- und Ausbau der Analytik der verwendeten PFAS-Stoffe inklusive der eingesetzten Vorstufen, Prozesshilfsmittel, Zwischen- und Nebenprodukte in Bezug auf Nachweisbarkeit in den geforderten Nachweisgrenzen und Bewertung ihres Risikopotenzials
Klarheit über Art und Menge der möglichen Eintragspfade sowie deren Begrenzung und bestmögliche Vermeidung
Ausgewählte Fragestellungen im Rahmen der Entsorgungskonzepte wie etwa die Sortierung der PFAS-Materialien und -Verbundstoffen, das Recycling der PFAS-Materialien und -Verbundstoffe, das Werkstoff- und Produktdesign mit Fokus auf Nachhaltigkeit, Recycling und Kreislaufwirtschaft sowie neue Geschäftsmodelle für Re-Use von Komponenten, Baugruppen oder Systemen
Prävention und Beseitigung von PFAS-Kontaminationen
Clean-Room-Ansatz zur neutralen Datenerhebung und Nutzung dieser Daten im Evaluationsprozess
5. Verursachergerechte Haftung für Umweltschäden
Für die weitere Nutzung von PFAS in essenziellen Wasserstoff- und Energiewendetechnologien sollten eine verursacher- und risikogerechte Haftung der bereits heute und zukünftig entstehenden Schadensfälle und die Finanzierung der Belastungen, wie zum Beispiel der Aufbereitungskosten für die Trinkwasserversorgung, entwickelt werden. Maßgeblich muss hierbei ein gesellschaftlich und wirtschaftlich faires System für die Bewältigung von PFAS-Verschmutzungen sein, das gleichzeitig auch Anreize für weitere Forschung, Entwicklung und Inverkehrbringen umweltschonender Grundstoffe und Produkte fördert.