Die Gräflich zu Stolberg’sche Westheimer Brauerei in Marsberg (Sauerland) braut seit mehr als 150 Jahren regionale Bierspezialitäten für den deutschen und internationalen Markt. Um sich langfristig auf einem umkämpften Markt durchzusetzen und dem sich verschärfenden Fachkräftemangel erfolgreich vorzubeugen, entschloss sich die Westheimer Brauerei vor einigen Jahren dazu, ihre gesamte Produktion schrittweise zu automatisieren.
Die Kernziele waren von Anfang klar: Einerseits den Bedarf an neuen Mitarbeitern zu reduzieren sowie Prozesse genauer, flexibler und steuerbarer zu gestalten. Sie sollten nachvollziehbar und effizienter sein. Technischer Leiter Thomas Jukenath erinnert sich: „Bereits in den 1990er Jahren gab es mit der Einführung einer SPS erste Gehversuche in Sachen Automatisierung bei Westheimer. Besonders praktisch dabei ist, dass die damals gewählten Mod-BUS-Systeme einwandfrei mit Kawasaki-Robotern funktionieren. Das damals erstellte Grundprogramm stellt seitdem die Basis für sämtliche Automatisierung dar und wird ständig weiterentwickelt.“
Fachkräftemangel und vorausschauende Wartung
Die eigene Ausbildung und Weiterentwicklung von Fachkräften ist für die Westheimer Brauerei seit Jahrzehnten ein wichtiger Erfolgsfaktor, erklärt Braumeister Jörg Tolzmann: „Eine langfristige Bindung guter Fachkräfte ist entscheidend, denn in Brauerei und Handwerk ist der Mangel deutlich spürbar, insbesondere in ländlichen Regionen wie dem Sauerland.“ Wie in nahezu allen Branchen gibt es Fluktuation, das Halten erfahrener Mitarbeiter ist heutzutage besonders wichtig, denn neue Mitarbeiter sind in Brauerei und Handwerk zunehmend schwieriger zu gewinnen.
Auch vorausschauendes Arbeiten wird ein immer wichtigerer Faktor um Auslastung zu gewährleisten und die, auch personellen, Ressourcen zu schonen, so Juckenath: „Wo zuvor kurzfristig auf mögliche Störungen in der Produktion beziehungsweise der älteren Anlagen reagiert wurde sowie Reparaturen und Wartung nach Bedarf durchgeführt wurden, stellt sich nun die Frage: Wie kann Vorsorge aussehen bevor etwas kaputt geht?“
Schritt für Schritt: Automatisierungsstrategie seit 2017
Bis 2017 waren in der Westheimer Brauerei vorwiegend ältere mechanische Lösungen im Einsatz, teils aus den frühen 1980er Jahren. Insbesondere die alte Palettieranlage nahm sehr viel Raum in der Brauerei mit begrenztem Platzangebot ein und war sehr anfällig für Störungen. Somit war diese für Braumeister Tolzmann der logische erste Schritt für die Automatisierung der gesamten Infrastruktur und Produktion.
Nach einem Gespräch auf der Hannover Messe 2017 und einer ausführlichen Beratung vor Ort in der Brauerei fiel die Wahl schnell auf einen Kawasaki Robotics-CP500L-Hochleistungspalettierroboter. Neben der Geschwindigkeit und Präzision des Roboters waren unter anderem auch die einfache Einrichtung und Programmierung, die eigenständige Beschickung der Maschine und das Sicherheitssystem Cubic-S entscheidende Kaufargumente. Ein neuer Kettengreifer für den gleichen Zweck wäre um ein Vielfaches programmierlastiger und störanfälliger gewesen.
Entlastung für die Mitarbeiter
Der Mehrwert der Roboteranlage zeigte sich schnell: Vorher musste die Palettieranlage schrittweise heruntergefahren werden, dann wurde die Palette manuell beladen und abschließend abtransportiert, separat für volle und leere Kästen. Jetzt ist der verantwortliche Mitarbeiter körperlich deutlich entlastet und fährt primär den Gabelstapler.
Sowohl die Vollgut- als auch Leergutkästen laufen inzwischen über ein Band herunter, werden automatisch ins Lagebild geschoben und vom Roboter so auf die Palette gelegt. Ein wichtiger Vorteil: Es sind viel mehr Kästen gleichzeitig unterwegs. Sie müssen durch die optimale Auslastung nicht mehr beiseite geparkt werden wie früher, da alles automatisch geschieht.
Nach der erfolgreichen Einrichtung der Palettieranlage folgte die Modernisierung der gesamten Flaschenproduktion mit zwei weiteren Kawasaki-Robotern vom Typ BX200L für das Ein- und Auspacken der Flaschen im Zentrum. Auch deren Integration verlief sehr unkompliziert: Denn alle relevanten Maschinen blieben grundsätzlich an gleicher Stelle und die Roboter benötigen nur eine kleine Grundfläche, nur Sicherheitszäune und neue Bändereinstellungen waren nötig.
Neue Herausforderungen auf dem Brauereimarkt
Der Brauereimarkt hat sich in den vergangenen Jahren massiv verändert, erklärt Tolzmann: „Früher war es eine Sorte Bier, in kleinen und großen Flaschen. Heute haben wir mehrere Eigenmarken, Limonade und weitere Getränke und produzieren für anderen Firmen. Kurzum: Es gibt eine unglaubliche Vielfalt. Unsere Mannschaft und Produktionsanlagen werden deutlich mehr gefordert als früher.“
Die neue robotergestützte Produktion bietet die dafür nötige Flexibilität: So ist der Kawasaki Robotics BX200L in der Einpackstation in der Lage, Formteile selbstständig aufzunehmen und somit in kürzester Zeit und ohne Aufwand auf neue Sorten umzustellen. Das mühselige und zeitintensive Umstellen der Anlage entfällt.
Aufbau der Anlage
Die Produktion arbeitet auf zwei verbundenen Ebenen, das Handling von Leergut und Endprodukten unten und die Abfüllung oben. Die Kästen mit Leergut werden aus dem Erdgeschoss über ein Bandsystem der Flaschenanlage zugeführt. Dort entnimmt ein BX200L-Roboter die Flaschen mit einem Greifer den Kästen und setzt sie auf eine Bahn. Die Kästen werden in einer bereitstehenden Kastenwaschanlage gereinigt und dem Einpacker zugeführt. Die leeren Flaschen werden über eine Zufuhr zur Flaschenwaschmaschine gebracht. Dort werden die Flaschen zunächst nach Schäden, falschen Formen und ähnlichen Faktoren kontrolliert sowie anschließend intensiv gereinigt.
Nach der Reinigung werden die Flaschen zusätzlich von einem Inspektor kontrolliert. Nur die Flaschen in einwandfreiem Zustand kommen weiter. Dann werden diese gefüllt, nochmals kontrolliert, etikettiert und vom Einpacker, einem weiteren BX200L, in die bereitgestellten Kästen gepackt. Durch die Umstellung auf Doppelkisten konnte die Geschwindigkeit des Einpackers zuletzt nochmals erhöht werden. Anschließend werden die gefüllten und verkaufsfertigen Kästen über das Bandsystem der Palettieranlage für die weitere Bearbeitung zugeführt.
Die Akzeptanz in der Belegschaft war schnell sehr hoch und die Roboter werden als große Entlastung wahrgenommen, so Tolzmann: „Früher musste man Flaschen manuell rausholen, kontrollieren, Paletten herfahren et cetera. Die Roboter sind eine unheimliche Erleichterung, vor allem körperlich.“ Und auch der Faktor Wartung hat alle Erwartungen übertroffen, so Juckenath: „Alles läuft perfekt. Einmal pro Jahr Wartung, Batterien ausgetauscht, Fettprüfung – das wars.“
Fazit der Automatisierung
Vor allem die deutlich gesenkten laufenden Kosten, insbesondere im Vergleich zu älteren Maschinen, haben sich für die Westheimer Brauerei schon nach kurzer Zeit als handfester Vorteil erwiesen. „Die Roboter laufen einfach und zuverlässig. Die ganze Sache wird wartungsfreundlicher“, sagt Juckenath. Die Automatisierung der Produktion war auch in der Coronapandemie eine wichtige Hilfe: Zwar waren die Effekte auf die Gastronomie und die reduzierte Nachfrage nach Fassbier deutlich spürbar, doch die Nachfrage nach mehr Flaschenbier und höherer Produktvielfalt, unter anderem auch nicht-alkoholische Getränke, konnte flexibel bedient werden. So war stets eine Auslastung der Kapazitäten gegeben.
Nachdem die Flaschenproduktion vollständig und erfolgreich automatisiert wurde, liegt das Augenmerk nun auf der Keg-Anlage beziehungsweise der Fassproduktion. Erste Überlegungen zur Vollautomatisierung auch dieser Anlage finden bereits statt. So soll etwa das Handling der sehr schweren Fässer vereinfacht werden.