Dr. Jörg Hähniche ist mit diesem Beitrag im P&A-Kompendium 2020 als einer von 100 Machern der Prozessindustrie vertreten. Alle Beiträge des P&A-Kompendiums finden Sie in unserer Rubrik Menschen.
In den vergangenen zwei Jahren kam aus Kommunikationssicht erhebliche Bewegung in die Prozessautomatisierung. Zwar ist in vielen Anlagen nach wie vor 4…20 mA die vorherrschende Technologie, aber derzeit entstehen neue Ideen und Konzepte, um die Prozessindustrie für die Digitalisierung fit zu machen.
Bestes Beispiel ist NOA (Namur Open Architecture), mit dessen Hilfe die bisher doch recht unbeweglichen Automatisierungssysteme für neue Aufgaben ertüchtigt werden sollen. NOA kann beispielsweise genutzt werden, um ein Optimierungsprogramm für Ventile oder Instandhaltungswerkzeuge anzubinden, ohne dass in die bestehende Leitsystemstruktur eingegriffen werden muss. Das Projekt ist zugleich ein guter Beleg für die Aufbruchstimmung in der Branche – schließlich wurde NOA in einer hohen Geschwindigkeit vorangetrieben.
Knifflige Chemieanlagen
Auch beim Einsatz von Ethernet in der Prozessindustrie geht es voran. Zwar mag der eine oder andere die lange Entwicklungszeit bemängeln. Aber allen Beteiligten ging es darum, eine tragfähige Gesamtlösung zu schaffen. Dafür mussten nicht nur Anwender und Hersteller, sondern auch die Nutzerorganisationen an einem Strang ziehen.
Besonders knifflig war die Aufgabe, eine Lösung für die weitläufigen Chemieanlagen zu finden. Leitungslängen von bis zu 1.000 m sind hier üblich. Zudem musste die Prozesssensorik beziehungsweise –aktorik über die Zwei-Draht-Verbindung parallel zur Kommunikation (loop-power) gesichert sein. Auch die Frage, wie man mit explosionsgeschützten Bereichen umgeht, musste gelöst werden.
In den vergangenen Jahren wurde daher mit Unterstützung von Industriepartnern und Kooperation der PNO, ODVA und FCG intensiv an einer Zwei-Draht-Ethernet-Lösung für die Prozessautomatisierung gearbeitet. Das Konzept wurde vor zwei Jahren unter dem Namen Ethernet-Advanced Physical Layer (APL) vorgestellt und basiert inzwischen auf IEEE- und IEC-Standards. Damit stößt nun die Ethernet-Technologie – und damit die Hochgeschwindigkeitskommunikation – bis in das Feld der Prozessindustrie vor.
APL-Tests bei BASF
Getestet wurde das Konzept nun in einem Testlabor der BASF. Hier kamen erste Prototypen von Geräten von verschiedenen Industriepartnern zum Einsatz.
Beim Aufbau des Testszenarios orientierte man sich an gängigen BASF-Anforderungen für Neu-Anlagen. Der Fokus des Testaufbaus lag auf der Integration aller Feldgerätetypen und Aktorik ins Leitsystem. Weiter spielten für die Praxis die Installation und Inbetriebnahme eines Ethernet-APL-Netzwerks, der Betrieb mit verschiedenen Protokollen, Redundanz, Geräteaustausch und Export von Gerätediagnose- und Konfigurationsdaten parallel zum zyklischen Datenaustausch eine große Rolle.
Die Bilanz: Alle Tests wurden erfolgreich abgeschlossen. Es konnte klar gezeigt werden, dass Ethernet-APL als ein Physical Layer im Bereich der Prozessautomatisierung und als Basistechnologie für übergeordnete Anwendungen geeignet ist. Ethernet-APL ist zudem ein Enabler für zusätzliche Anwendungen, wie das Beispiel von NOA zeigt. Für die Prozessindustrie bedeutet dies, dass sie in Zukunft wesentlich flexibler und schneller auf neue und besondere Anforderungen in der Prozessautomatisierung eingehen können.
Insgesamt wurde mit Ethernet-APL die Grundlage gelegt, zukünftig auch in der Prozessautomatisierung von der Weiterentwicklung in der Informationstechnologie zu profitieren, wie Security, Echtzeitfähigkeit mittels TSN oder standardisierte Informationsmodelle.