Geroldinger konzipiert komplette Logistikanlagen für schwierige Schüttgüter. Welche Stoffe stellen Sie vor die größten Herausforderungen?
Da sind zum einen die kohäsiven Schüttgüter, vereinfacht kann man auch von klebrigen Schüttgütern sprechen. Diese Stoffe schaffen teilweise extrem große Brückenspannweiten. Hier spielen auch Nanopartikel eine große Rolle: Je kleiner der Partikel, desto größer ist die Klebrigkeit. Das liegt an den Zusammenhangkräften der Partikel und wird teilweise noch verstärkt, wenn Flüssigkeiten zusätzlich beteiligt sind. Dieses Thema reicht bis zum Filterkuchen aus einer Filterkammerpresse, der für uns auch noch Schüttgut ist. Zum anderen sind hygroskopische Schüttgüter noch sehr herausfordernd. Diese können große Probleme bereiten, wenn die Eigenheiten nicht bekannt sind und folglich unberücksichtigt bleiben. Die schlimmste Gruppe in Bezug auf Brückenspannbreiten bilden aber geschredderte Abfallfolien, wie wir sie beispielsweise im gelben Sack finden.
Warum?
Im lockeren Zustand hat der Abfall ein Schüttgewicht von etwa 30 bis 40 kg/m3. Wenn dieser dann in einen Silo gefüllt wird, presst sich der Abfall aufgrund des Eigengewichts so zusammen, dass das Gewicht bis zu 300 kg/m3 beträgt. Das bedeutet eine Verdichtung von eins zu zehn. Im gepressten Zustand ergibt sich damit ein verfilzter Haufen, der sich kaum noch bewegen lässt. Die Aufgabe ist es jetzt, diesen wieder kontrolliert aus dem Silo zu bekommen.
Welche Lösungen bieten sich hier an?
Das Entnahmesystem hat bei diesen Materialien den gleichen Querschnitt wie das Silo. Das Schüttgut muss aber erst aufgelockert werden, damit es wieder fließen beziehungsweise herunterfallen kann. Das gewährleisten wir mit Hilfe einer mechanischen Einrichtung, die diesen verfilzten, gepressten Haufen soweit löst, dass das Schüttgut ungefähr wieder den Zustand erreicht, den es beim Einfüllen in das Silo hatte.
Das Silo – ein unterschätztes Bauteil. Unterschreiben Sie diese Aussage?
Es werden die ganzen Logistikbereiche in ihrer Bedeutung unterschätzt. Mir scheint es so, dass der Fokus fast ausschließlich auf dem Verarbeitungsprozess von Schüttgütern liegt. Die dafür notwendige Logistik wird dagegen als mehr oder minder untergeordnet und als ein irgendwann später zu berücksichtigendes Element gesehen. Diese Sichtweise sorgt bei vielen aber für große Überraschungen. Denn jeder Prozess benötigt im ersten Schritt eine funktionierende Logistik, damit er überhaupt ablaufen kann – und Geld lässt sich mit einem Prozess nur dann verdienen, wenn er gut mit Material versorgt wird.
Bekommen Sie viele Anfragen von Unternehmen, weil diese plötzlich ein Problem mit ihrer Schüttgutlogistik haben?
Das kommt immer mal wieder vor. Die Anfragen stammen vor allem aus dem Recyclingbereich. Dort wird häufig improvisiert. Erst wenn die Mengen größer werden, wenn die Anforderungen an die Automatisierung und Emissionsvermeidung wachsen, erst dann wird die Logistik wichtig. Für uns bedeutet Logistik, in erster Linie mit geschlossenen Systemen zu arbeiten, mit denen beispielsweise auch Emissionen gut in den Griff zu kriegen sind.
Sie entwickeln also primär schlüsselfertige Anlagen. Kann man bei Ihnen trotzdem auch einzelne Komponenten kaufen?
Das kann man schon. Aber Komponenten zu kaufen hat ja nur Sinn, wenn Sie auch die Umgebung miteinbeziehen und klären, welches System für die jeweilige Aufgabe überhaupt geeignet ist. Nur so können wir eine Garantie geben. Wenn ein Kunde zum Beispiel eine bestimmte Förderschnecke will, liefern wir diese natürlich auch. Die technologische Verantwortung trägt dann aber der Käufer. Wenn wir diese Verantwortung übernehmen – was wir gerne tun –, brauchen wir mehr Informationen, um die Aufgabenstellung korrekt zu beurteilen. Komponenten ohne jegliche technische Beratung oder Engineering verkaufen wir daher eher selten. Das gibt nur Ärger.
Sie haben auch ein eigenes Labor, um die Eigenschaften von Schüttgütern zu bestimmen. Ist das immer Teil der Beratung?
Die Messungen führen wir auch bei uns schon bekannten Schüttgütern durch. Denn oft führen schon geringfügige Veränderungen in der Struktur zu erheblichen Abweichungen im Fließverhalten. Deshalb analysieren wir im Rahmen eines neuen Projekts auch bekannte Stoffe, um sicher zu sein, dass die bisherigen Erfahrungen nach wie vor richtig sind und wir eine Anlage nicht anders gestalten müssen. Solche Erkenntnisse sind grundlegend für das richtige Design der Logistikanlage. Diese ganzheitliche Sichtweise verfolgen auch nur wenige so konsequent wie wir. Daher beherrschen wir mittlerweile nahezu jede Schüttguteigenschaft – selbst wenn das Schüttgut noch nie zuvor in einem Silo gelagert worden ist.
Sie sind auch Aussteller auf der Powtech 2019. Was steht dort bei Ihnen im Fokus?
Als erstes Thema stellen wir die Logistik in den Mittelpunkt unseres Messeauftritts. Logistik mit Schüttgutanlagen klingt zwar sehr einfach, ist aber aufgrund der Mengensituationen und der vielfältigen Schüttguteigenschaften ein sehr herausforderndes Feld. Ein weiterer Punkt ist das Entleeren von Silos: Wir versprechen, dass wir ausnahmslos alle Schüttgüter wieder aus einem Silo herausbekommen. Diesen Aspekt wollen wir auf der Powtech noch stärker hervorheben. Unser dritter Fokus dreht sich um das komplette Thema Klärschlamm: Wo kommt Klärschlamm her, was machen wir damit, wo wird der Schlamm verwertet? Auch hier spielt die Logistik eine wesentliche Rolle. Wir sind in der Lage, Klärschlamm jeglichen Zustandes für die nächsten Prozesse bereitzustellen und auch zu puffern.
Die Novellierung der Klärschlammverordnung (AbfKlärV) von 2017 ist ein großes Thema ...
Richtig. Klärschlamm soll in Zukunft ausschließlich durch Verbrennen verwertet werden. Allerdings fällt Klärschlamm in der Regel mit einer Trockensubstanz von rund 25 Prozent an; den kann man nicht verbrennen. Zuerst muss ihm das Wasser entzogen werden. Dafür gibt es auch verschiedene Methoden, aber für alle spielt die Logistik eine zentrale Rolle. Zudem werden die Klärschlammmengen tendenziell eher noch größer. Denn auf den Feldern darf er ebenfalls nicht mehr ausgebracht werden. Deshalb nehmen wir an, dass die Mengen und Anforderungen über die nächsten Jahre deutlich steigen werden. Folglich müssen auch neue Anlagen entstehen, in denen ausschließlich Klärschlamm und nicht noch andere Stoffe verbrannt werden.
Mit der nächsten Frage möchte ich zu einem anderen Thema überleiten: Digitalisierung, Vernetzung und Fernüberwachung von Anlagen sind in aller Munde. Werden diese Anforderungen auch an Sie herangetragen?
Da sind wir schon sehr weit. Nahezu alle Anlagen, die wir gebaut haben, sind über Fernzugriff mit unserem Standort verbunden. Wir nutzen schon jetzt sämtliche Möglichkeiten zur Datenaufzeichnung, zur Auswertung der Sensorwerte und zur Fernwartung. Weitergehende Forderungen von Seiten der Kunden an uns gibt es folglich nicht. Es ist eher umgekehrt: Wir müssen immer wieder Kunden überzeugen, dass diese Möglichkeiten für eine neue Anlage wichtig und nützlich sind.
Haben Sie auch die Erfahrung gemacht, dass mitunter großes Misstrauen in Bezug auf die Übertragung von Daten herrscht?
Natürlich. Es gibt großes Misstrauen, dass mit einer Datenanbindung Betriebsgeheimnisse übertragen werden könnten. Das ist eine laufende Diskussion, die wir nicht immer gewinnen, aber inzwischen doch sehr häufig. Denn wir brauchen diese Informationen, um unsere Garantien auch wirklich einhalten zu können. Im Fall von Störungen müssen wir die Ursachen finden können – oder auch eine Fehlbedienung durch den Kunden aufklären, für die wir nicht verantwortlich sind.
Eine letzte Frage noch: Wie blicken Sie als Geschäftsführer von Geroldinger auf die nächsten Jahre? Inwiefern tangieren Sie Themen wie Brexit oder eine sich abschwächende Konjunktur?
Wir bedienen etliche Bereiche, die nicht der Konjunktur unterliegen. Der Recyclingbereich oder die Abfallwirtschaft haben beispielsweise mit der gesamtwirtschaftlichen Lage nicht viel tun – das muss erledigt werden. Auch in einer sich abschwächenden Konjunktur werden neue Anlagen gebaut. Eine eventuelle Veränderung der Auftragsstruktur sehen wir ebenfalls nicht als großes Problem für uns, da wir über eine hohe Flexibilität verfügen. Wenn sich eine Branche negativ entwickelt, werden wir frühzeitig andere Bereiche verstärken. Wir blicken also sehr positiv in die Zukunft.