Das Technologiefeld der Fernwirktechnik ist seit Jahrzehnten gewachsen und hat sich aufgrund der spezifischen Anforderungen immer weiterentwickelt und angepasst. Hier stehen vor allem die Datensicherheit und -verfügbarkeit sowie die korrekte Übertragung und Archivierung der Prozessdaten an erster Stelle.
Anfangs aus der Notwendigkeit heraus entstanden, um mit den beschränkten Kommunikationsressourcen umzugehen, hat sich das heutzutage im Zeitalter der Allverfügbarkeit von Internet- und Mobilfunkanschlüssen massiv geändert. Ein Gerät kann heute theoretisch an jedem Ort der Welt über Standard-IT-Dienste mit dem Internet verbunden sein.
Internetausfall in der Industrie verheerend
Betrachtet man das jedoch genauer, ist festzustellen, dass damit nicht alle Anforderungen von Fernwirkanwendungen automatisch erfüllt werden können. Die Provider von Internet- und Mobilfunkanschlüssen garantieren standardmäßig 97 Prozent Verfügbarkeit eines Geräteanschlusses.
Dies entspricht mehr als zehn Tagen im Jahr, an denen aber ein Anschluss ohne Verbindung und damit offline ist. Was beim Surfen im Internet oder beim Telefonieren gegebenenfalls als kleine Unterbrechung oder Verzerrung wahrgenommen wird, kann beim Betrieb von Automatisierungsanlagen zu ernsthaften Datenverlusten oder Ausfällen mit fatalen Folgen führen.
Wenn zum Beispiel bei der städtischen Wasserversorgung der maximale Füllstand eines Überlaufbeckens nicht korrekt an den Zulauf und das entfernte Pumpwerk gemeldet wird, können diese nicht entsprechend geschaltet werden und es kann zum Überlaufen des Beckens und damit zu Überschwemmungen führen. Nachvollziehbar ist der Vorgang im Nachhinein auch nicht mehr, da die Prozessdaten verloren gegangen sind. Darüber hinaus ist die lückenlose Archivierung eine entscheidende Voraussetzung, um der notwendigen Nachweispflicht eines Wasserversorgers nachzukommen.
Um diesen Datenverlusten in Fernwirkanlagen zu begegnen, steht in die Branche ein umfangreiches und bewährtes Technologie- und Produktspektrum zur Verfügung.
Sichere Datenübertragung
In Fernwirk- beziehungsweise Telecontrol-Systemen werden geografisch weit entfernte Prozessstationen (Fernwirkstationen = Remote Terminal Units / RTUs) zur Überwachung und Steuerung des Prozesses an die Leitstelle angebunden. Die Kommunikation erfolgt dabei über öffentliche Kommunikationsnetze oder private Netze. Für die Automatisierung vor Ort können Standardsteuerungen eingesetzt werden, wie sie in der Fabrikautomatisierung Verwendung finden.
Die Automatisierungslogik selbst ist meist simpel, zum Beispiel Erfassung eines Prozesswertes bei Füllstandsmessungen oder das Schalten einer Pumpe. Zur Gewährleistung der sicheren Datenübertragung und um mit den Unzulänglichkeiten von öffentlichen Kommunikationsnetzen umzugehen, stehen abgestimmte, zusätzliche Hardware- und Softwarekomponenten zur Verfügung. Deren Hauptziel ist die Vermeidung von Datenverlusten sowie die Sicherstellung der korrekten Archivierung der Prozessdaten.
Wenn eine RTU die Verbindung zur Leitstelle verliert, können die anfallenden Prozessdaten zu diesem Zeitpunkt nicht an die Leitstelle übertragen werden. In diesem Fall werden diese Daten inklusive Zeitstempel in der RTU zwischengespeichert, wobei bis zu mehreren Tagen „Offline-Zeit“ überbrückt werden können.
Gezielte Funkabschaltung
Bei speziellen Anwendungsfällen werden die Speichereigenschaften der RTU sogar explizit genutzt. RTUs, die über Mobilfunk mit der Leitstelle kommunizieren, schalten gezielt ihre Mobilfunkverbindung ab, um nur in bestimmten Zeiten Daten zu übertragen und somit Kosten der Mobilfunküberragung zu optimieren.
Energieautarke, batteriebetriebene RTUs, wie die Simatic RTU3030C, besitzen einen sogenannten Sleepmode, in dem die Mobilfunkverbindung gänzlich abgeschaltet wird. Im folgenden Kommunikations-Mode wird die Mobilfunkverbindung wiederaufgebaut und es können alle in der RTU zwischengespeicherten Daten an die Leitstelle übertragen werden; danach wechselt die RTU wieder in den Sleepmode.
Das gezielte Abschalten der Mobilfunkschnittstelle bedeutet eine enorme Energieersparnis der RTU und sichert einen langen Batteriebetrieb. Nach automatischer Wiederverbindung der RTU zur Leitstelle werden alle in der RTU gespeicherten Prozessdaten inklusive Zeitstempel automatisch an die Leitstelle übertragen. Dort können die Weiterverarbeitung sowie die zeitrichtige Archivierung erfolgen. Außerdem wird die notwendige Vollständigkeit des Datenhaushalts im System sichergestellt.
Vorteile von Telecontrol-Systemen
Ein weiterer Vorteil von Telecontrol-Features im Vergleich zu Standard-IT-Diensten ist die Unterstützung von nahezu allen Kommunikationsmedien und -mechanismen. Angefangen von der Kommunikation in Standard-IP-Netzen wie im Internet und Mobilfunknetz verfügbar werden auch Netzwerke mit äußerst geringer Bandbreite und hohen Latenzzeiten unterstützt.
Zur Optimierung der Datenübertragung stehen effiziente Kommunikations-Modi zur Verfügung. Weitere grundlegende Eigenschaften von Telecontrol-Systemen sind die integrierte Zeitsynchronisation des Gesamtsystems, automatische Meldemechanismen über SMS oder E-Mail zur Alarmierung sowie Fernprogrammierung der RTUs, Konfiguration und Ferndiagnose.
Am Markt werden eine Vielzahl an Produktlösungen angeboten, die diese Eigenschaften erfüllen und die auf speziellen Übertragungsprotokollen für die Fernwirktechnik basieren. Die gängigsten Protokolle sind die Standards IEC 60870 und DNP3. Und auch bewährte Protokolle führender Anbieter sind weitverbreitet, beispielsweise Sinaut ST7 und Telecontrol Basic von Siemens mit einem umfangreichen Produktportfolio von der RTU-Ebene bis zur Leitstelle.
Beispielhafte Konfiguration
In einer Standardkonfiguration eines Telecontrol-Systems werden zum Beispiel vier Fernwirkstationen der Simatic-Steuerungsfamilie über Sinaut ST7 mit der Leitstelle verbunden. Ein Aufbau mit den Protokollen IEC 60870 und DNP3 ist ebenfalls möglich, da alle Baugruppen diese Protokolle unterstützen.
Zwei Advanced Controller Simatic S7-1500 sind jeweils über eine Telecontrol-Baugruppe (TIM 1531 IRC) und Router der Scalance-M-Familie über das öffentliche Netz mit der Leitstelle verbunden, wobei eine Leitstellenanbindung redundant ausgeführt ist. Die beiden anderen RTUs bestehen aus einem Basic Controller Simatic S7-1200 beziehungsweise einem Distributed Controller Simatic ET 200SP. Diese werden jeweils direkt über den Rückwandbus mit dem Telecontrol-Kommunikationsprozessor CP 1243-8 IRC beziehungsweise CP 1542SP-1 IRC verbunden.
Über diese erfolgt wiederum die Anbindung über Scalance-M-Router und das Fernwirknetz an die Leitstelle. Als Kommunikationsnetz wird das Mobilfunknetz (Scalance M874-3) und Internet (Scalance M812-1) genutzt. Die Telecontrol-Zentrale, bestehend aus der Master-Baugruppe TIM 1531 IRC sowie dem Leitstellen-PC, ist ebenfalls über Industrial-DSL-Router mit dem Internet verbunden.
Die Automatisierungs- und Kommunikations-Baugruppen sowie die Leitstelle in der Zentrale unterstützen im Gesamtverbund alle erforderlichen Telecontrol-Features. Datenverluste werden vermieden und ein verlässlicher sowie effizienter Betrieb der Fernwirkanlage wird gewährleistet.
Digitalisierung und Cloud-Services
In zusätzlichen Szenarien und um weitere Anwendungsfelder abzudecken, können die Prozessstationen beziehungsweise kann die Automatisierungsanlage mit Cloud-Diensten verbunden werden. Mittels Cloud-Services, Big-Data-Analysen sowie auch in Kombination mit weiteren Datenquellen können beispielsweise die Produktqualität verbessert, die Verfügbarkeit erhöht sowie Prozesse und Abläufe optimiert werden.
Hierbei werden Prozessdaten direkt oder über vorgelagerte Datenkonzentratoren in die Cloud transferiert. Dort werden die Daten dann analysiert und mittels anwendungsspezifischer Applikationen vor- beziehungsweise weiterverarbeitet und anderen Anwendungen zur Verfügung gestellt. Hier lässt sich zum Beispiel die oben erwähnte Steuerung des Überlaufbeckens mit Daten der Wettervorhersage kombinieren, um bei vorausgesagten Regenfällen den Füllstand vorher zu senken, um bei plötzlichem Regenbeginn die kurzfristige höhere Wasseraufnahme gefahrlos zu gewährleisten.
Aus Nutzersicht sollten grundsätzliche Anforderungen an Cloud-Systeme erfüllt werden. Beim Aufbau einer neuen Automatisierungsanlage sollen die Steuerungen direkt eine Cloud-Anbindung unterstützen. Bei einem solchen Greenfield-Projekt möchte der Kunden keine Zusatzkomponenten für die Nutzung von Cloud-Services einsetzen. Bei der Verbindung von Bestandsanlagen mit Cloud-Services wiederum akzeptiert der Kunde meist Zusatzkomponenten, jedoch soll die Konfiguration oder Projektierung der Bestandsanlage nicht verändert werden (sogenannte Brownfield-Projekte).
Hier bieten sich zum Beispiel die Module Simatic CloudConnect 7 oder CP 1545-1 für eine Simatic S7-1500 an (Greenfield). Weitere Szenarien zur flexiblen Cloud-Anbindung weiterer Feldgeräte über zum Beispiel WLAN können über offene IIoT-Gateways realisiert werden.
Für Greenfield-Projekte wird für den Advanced Controller Simatic S7-1500 mit CP 1545-1 ein Kommunikationsprozessor für die Cloud-Anbindung angeboten, der direkt mit der Steuerungsapplikation im TIA Portal (TIA: Totally Integrated Automation) konfigurierbar ist. Zur Datenübertragung kann der Kommunikationsprozessor unmittelbar auf den Datenhaushalt der Steuerung zugreifen. Somit kann jeder Sensorwert, wenn gewünscht, in die Cloud übertragen werden. Die Übertragung in die Cloud kann zyklisch erfolgen, in festgelegten Zeitabständen oder ereignisgesteuert.
Bestandsanlagen in der Cloud
Für die Cloud-Anbindung einer Bestandsanlage bietet sich das Modul Simatic CloudConnect 7 an, dass zyklisch die projektierten Daten aus den vorhandenen Steuerungen, zum Beispiel Simatic S7-300 oder S7-400, abfragt und je nach Triggerbedingung – zyklisch, zeitgesteuert, Schwellwert-überwacht – an die Cloud weiterleitet. Für die Konfiguration des CloudConnect 7 wird die Projektierung der Bestandsanlage genutzt. Die Konfiguration für die Bestandsanlage selbst muss nicht geändert oder angepasst werden.
Wird ein flexibles IIoT-Gateway gewünscht, über das Feldgeräte über WLAN oder Ethernet mit der Cloud verbunden werden sollen, empfiehlt sich das Modul Ruggedcom RX1400. Durch die Schnittstellenvielfalt und die Unterstützung von LTE-Mobilfunk ist es sehr flexibel einsetzbar. Auch bietet es sich für diverse Vorverarbeitungen der Daten an und ist für extreme Umgebungsbedingungen ausgelegt.
In allen Szenarien erfolgt die Anbindung an die Cloud über das offene Protokoll MQTT (Message Queuing Telemetry Transport), das von einer Vielzahl an Cloud-Anbietern unterstützt wird und damit aktuell quasi „den kleinsten gemeinsamen Nenner“ für Cloud-Connectivity darstellt. Über Profile werden alle notwendigen Parameter für die Schnittstellen-Konfiguration zur Cloud-Anbindung eingestellt.
Sinnvoller Cloud-Transfer
Momentan werden die Cloud-Plattformen MindSphere (das IoT-Betriebssystem von Siemens), Microsoft Azure, IBM Cloud und Amazon Web Services (AWS) unterstützt. Die Offenheit zur Anbindung an weitere Plattformen ist gewährleistet.
Obwohl möglich, erscheint es jedoch wenig sinnvoll, jeden einzelnen Prozess- oder Sensorwert an die Cloud zu übertragen. Vielmehr ist eine aus Anwendungssicht sinnvolle Datenaggregation und Datenvorverarbeitung notwendig, um die Datenflut zu reduzieren und Online-Kosten zu optimieren. Neben der Vorverarbeitung in der Steuerung selbst bietet das Modul Ruggedcom RX1400 über die Programmierung eine effiziente Datenvorverarbeitung an, um in einer möglichen Integrationsstufe auch als Edge-Device zu fungieren.