Durch Globalisierung und Individualisierung müssen Produkte immer schneller entwickelt und gefertigt werden. Heutige Produktionssysteme sind dafür jedoch nur begrenzt ausgelegt. Benötigt werden dynamisch wandlungsfähige Produktionssysteme. Sie lassen sich auf Basis modularer Produktionsanlagen realisieren, die allerdings eine ebenso modulare Automatisierung erfordern. Bisher gab es dafür jedoch keine herstellerunabhängige Lösung. Das Automatisierungssystem musste individuell von Hand programmiert werden. „Mit der DIMA-Methodik zeigen wir, wie modulare Anlagen ohne diesen Aufwand automatisiert werden können“, erläutert
Ulrich Hempen, Leiter Market Management Industrie & Prozess bei Wago das Konzept DIMA (Dezentrale Intelligenz für modulare Anlagen).
Grundgedanke der modularen Anlagenarchitektur ist es, vollständig qualifizierte Module mit eigener Automation mit minimalem Aufwand in die Gesamtanlage zu integrieren. Der Hersteller liefert das vollständig automatisierte Modul. Das Engineering der Gesamtanlage besteht dann nur noch aus dem Zusammenfügen der Module und deren Anbindung an die Produktionsleitebene.
Modulare Automation
Basierend auf der Namur-Empfehlung NE 148 hat
Wago mit DIMA eine Lösung für die modulare Automation mit dezentralen Intelligenzen vorgestellt. Der wesentliche Anwendernutzen liegt in der offenen Architektur des Systems. Auf diese Weise können intelligente Produktionsmodule im laufenden System flexibel integriert oder abgekoppelt werden. Außerdem ermöglicht DIMA ein kostengünstiges Engineering der Gesamtanlage, da die Kommunikation zwischen der übergeordneten Produktionsleitebene und dem dezentralen Modul über eine herstellerneutrale Semantik erfolgt.
Beim DIMA-Ansatz werden große Teile der Steuerungs- und Regelungsintelligenz in die Module verlagert. Diese stellen ihre intendierte Funktion als Dienste zur Verfügung, welche durch andere Kommunikationsteilnehmer über eine vereinheitlichte Schnittstelle abgerufen werden können.
Der Vorgang der Bekanntgabe der Dienste und Bedienbilder basiert nicht auf proprietären Lösungen, sondern erfolgt durch das Module Type Package (MTP). Es dient als digitale Beschreibung eines Anlagenmoduls und beinhaltet alle Informationen, die zur Einbindung des Moduls in die Anlage und zu seiner Bedienung erforderlich sind. Damit ist es möglich, ein für die überlagerte Produktionsleitebene gänzlich unbekanntes Modul innerhalb weniger Minuten einzubinden. Der Grundgedanke zu DIMA, der unter anderem in der Verfahrenstechnik seinen Ursprung hat, hat sich in der Automatisierungstechnik fortgesetzt und mündete 2013 in der Namur-Empfehlung NE 148. Diese Empfehlung formuliert die Anforderungen für die Automatisierung modularer verfahrenstechnischer Anlagen. Mit dem Projekt DIMA hat
Wago gezeigt, wie sich die in der NE 148 formulierten Anforderungen technisch umsetzen lassen.
Weiterentwicklung der DIMA-Methode
Basis des Lösungsansatzes ist die Beschreibung verschiedener Aspekte eines Anlagenmoduls in der neuen digitalen Beschreibungsform Module Type Package. Im Frühjahr 2015 hatte sich die Interessengemeinschaft Namur dazu entschieden, den
DIMA-Ansatz von Wago zu übernehmen und gemeinsam mit dem ZVEI weiterzuentwickeln.
Ziel war es, das von Wago vorgestellte MTP weiter auszuarbeiten und zu spezifizieren. Diese Aufgabe ist groß, da nicht weniger benötigt wird, als die digitale Beschreibung kompletter Anlagenteile. Um sie dennoch angehen zu können, haben die Arbeitskreise eine agile Vorgehensweise gewählt, für die das MTP in mehrere Aspekte unterteilt wurde: Prozessführung, Visualisierung/HMI (Human Machine Interface) sowie Alarmmanagement und Diagnose.
Im Jahr 2016 bestand der Schwerpunkt der Aktivitäten in der inhaltlichen und strukturellen Ausgestaltung des Aspektes Visualisierung/HMI. Pünktlich zur vergangenen Hauptsitzung der Namur im November 2016 konnten die Ergebnisse der Arbeitskreise von Namur und ZVEI präsentiert werden. In zwei Workshops wurde unter anderem gezeigt, wie das MTP mithilfe des Engineeringtools e!Cockpit von Wago erzeugt und in die unterschiedlichen Leitsysteme der Firmen ABB, Siemens und Yokogawa eingelesen wird. Nicht zuletzt wurde hier der Vorteil des DIMA-Ansatzes von Wago deutlich, der in der Herstellerneutralität besteht.
Nach dem Einlesen des MTPs wurde das im e!Cockpit erzeugte Bedienbild im Leitsystem von Siemens anders dargestellt als in dem von ABB. Diese zielsystemspezifische Anpassung stellt sicher, dass auch Bedienbilder unterschiedlicher Module im bekannten Look-and-Feel des genutzten Leitsystems dargestellt werden.
Eine nutzerfreundliche Mensch-Maschine-Schnittstelle ist Grundvoraussetzung für den wirtschaftlichen Betrieb einer Anlage. Weil Modulhersteller bei der Programmierung ihrer Anlagenmodule unterschiedliche Engineering-Werkzeuge nutzen, erhält der Anlagenbetreiber zur Visualisierung seiner Gesamtanlage ein Durcheinander modulspezifischer Bedienbilder.
Bedienbild-Beschreibung des Namur-MTPs
Ziel des MTP ist es, bei der Integration von Anlagenmodulen unterschiedlicher Hersteller, eine einheitliche Darstellung der Bedienelemente über die Modulgrenzen hinweg zu gewährleisten. Weil die Bedienbilder in einer neutralen Beschreibungsform abgebildet sein müssen, nutzt das MTP eine rollenbasierte Beschreibung der einzelnen Bedienelemente: Sowohl bei der Bedienbildererstellung durch den Modulhersteller als auch beim Bedien- und Beobachtungssystem des Modulbetreibers werden Bibliotheken eingesetzt, die um eine semantische Bedeutung der einzelnen Bedienelemente ergänzt wurden.
Dazu hat der Namur-Arbeitskreis ein Set an Elementen identifiziert, die zum Bedienen und Beobachten von Modulen notwendig sind und vorgeben, welche Elemente – wie beispielsweise Ventil, Antrieb oder Messstelle – mit welcher Information, Sollwert, Istwert, Ersatzwert und so weiter, übertragen werden müssen. Mit der Spezifikation des MTP-Aspekts Visualisierung/HMI hat der Arbeitskreis von Namur und ZVEI die Anforderungen an die Bedienbildbeschreibung sowie die Anforderungen an die zugehörigen Variablen im MTP erarbeitet. Die Einhaltung der Spezifikation liegt nun beim Nutzer.
Bibliothek im Erprobungsstatus
Um die umfangreichen und fehleranfälligen Prozesse des Anlegens eines Programmcodes und der Einhaltung aller Spezifikationen nicht dem Anwender und Ersteller des Modul-Engineerings zu überlassen, hat Wago eine Bibliothek entwickelt. Diese Bibliothek verfügt über einen Funktionsbaustein gemäß IEC 61131 und ein dazugehöriges Bedienbildelement. Mit Hilfe dieser Bibliothek kann der Programmcode des Moduls auf Equipmentebene entwickelt werden, ohne auf typische Funktionalitäten, wie zum Beispiel Verriegelungen und Alarmmanagement, verzichten zu müssen.
Ein weiterer Vorteil dieser Bibliothek ist die OPC-UA-Konfiguration, die bereits in den Funktionsbausteinen vorbereitet ist. Mit einem Mausklick im Engineeringtool e!Cockpit können alle Variablen, die zur Kommunikation mit dem Leitsystem notwendig sind – mehrere Hundert an der Zahl – normgerecht in den OPC UA Server der SPS (speicherprogrammierbare Steuerung) geladen werden. Der Mehraufwand, der durch die DIMA-konforme Kommunikation unter Verwendung des MTP entsteht, kann dadurch minimiert werden. Anwender brauchen die ihnen bekannte Engineering-Umgebung nicht verlassen. Die Bibliothek von Wago befindet sich aktuell im Erprobungsstatus und wird derzeit in mehreren industriellen Pilotprojekten eingesetzt und weiter verbessert.