Prozessindustrie digitalisieren „Ethernet-APL wird künftig dominieren“

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Dr. Gunther Kegel, CEO von Pepperl+Fuchs, betont: „Software im Gerät, aber auch in Konnektivität und der Applikation, wird zum entscheidenden Differenzierungsmerkmal.“

Bild: Pepperl+Fuchs
02.11.2023

Ethernet-APL bringt die Vorteile der digitalen Kommunikation in die rauen Umgebungsbedingungen der Feldebene der Prozessindustrie. In der Prozessindustrie ist die analoge 4…20-mA-Technologie allerdings nach wie vor weit verbreitet, in der Zukunft wird sich dies aber ändern, ist sich Dr. Gunther Kegel sicher. Der CEO von Pepperl+Fuchs sprach mit der P&A über die Digitalisierung von Prozessanlagen sowie die Bedeutung von künstlicher Intelligenz in Sensorik.

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Digitalisierung von Prozessanlagen – Ihre Einschätzung: Wie ist hier der Status, wo sehen Sie Nachholbedarf?

Der größte Nachholbedarf ist im Feld. Sensoren und Aktuatoren digital anzubinden und so eine Fülle von Daten zu generieren, die neuen, datengetriebenen Geschäftsprozessen zugeführt werden können, ist die erste Grundvoraussetzung. In der Realität werden Sensoren und Aktuatoren heute in 95 Prozent der Fälle beispielsweise über eine analoge 4…20 mA-Schnittstelle mit überlagertem HART-Signal übertragen. Die alles entscheidende Frage ist dabei: Liegt in den Daten der Sensoren und Aktuatoren genügend Potenzial um den großen Digitalisierungsaufwand des Shopfloors zu rechtfertigen?

Welche typischen Schwierigkeiten tun sich für Anlagenbetreiber auf, die die Feldebene ihrer Prozessanlage digitalisieren möchten?

Erst mit Ethernet-APL steht jetzt ein „Physical Layer“ für die IP-Kommunikation in explosionsgefährdeten Bereichen überhaupt zur Verfügung. Erst jetzt kann die Digitalisierung des Shopfloors ohne Mehrkosten realisiert werden. Die 4…20mA oder die Profibus-PA-/Fieldbus-Foundation-Schnittstelle wird einfach durch eine APL-Schnittstelle ersetzt. Jetzt kann die IP-Kommunikation ohne Protokollumsetzung oder Gateways direkt vom System mit dem Sensor erfolgen.

Wenn Sie es auf einen Nenner bringen müssten: Was macht die Digitalisierung in der Prozessindustrie schwieriger und/oder anspruchsvoller als in der Fabrikautomation?

Die Prozessautomation muss schon immer eine größere Zahl und ein größeres Schadensausmaß von Fehlern beherrschen. Diese vielschichtigen Sicherheitsanforderungen an Umwelt, Betriebssicherheit und Explosionsschutz dürfen durch die Digitalisierung einer Anlage unter keinen Umständen kompromittiert werden. Der Wertstrom ist in den Fließprozessen der Prozessindustrie weitestgehend automatisiert. Der Nutzen digitaler Kommunikation mit den Komponenten des Shopfloors ist viel schwieriger zu beziffern und die zur Einführung eines digitalen Geschäftsmodells notwendigen Datenintegrationsprojekte sind aufwendig und teuer. Die Digitalisierung der Prozessindustrie ist ja kein Selbstzweck, sondern muss einen Nutzen generieren.

Wie unterscheidet sich die Prozessautomation hier in Deutschland im internationalen Vergleich; werden beispielsweise in Asien neue Technologien viel schneller adaptiert?

Das ist, glaube ich, eine Beobachtung, die sich durch die große Anzahl von Greenfield-Projekten im Ausland – vor allem in China, im mittleren Osten und Indien – erklären lässt. Wer auf grüner Wiese neu baut, braucht sich nicht um Technologiebrüche und Migrationsstrategien kümmern. Vielleicht ist man in diesen Ländern auch noch eher bereit, Technik ihrer selbst wegen einzusetzen, während wir in den allermeisten deutschen Brownfield-Projekten immer eine klare Kosten-/Nutzen-Analyse voranschalten.

Was stand der schnellen Verbreitung des Ethernets in der Prozessindustrie bisher entgegen: War/ist die erhöhte Leistungsaufnahme in explosionsgefährdeten Bereichen einfach zu groß?

In den Prozessindustrien ist es geübte Praxis, Feldgeräte mit nur zwei Drähten sowohl mit Energie als auch Information gegebenenfalls eigensicher zu versorgen. Die 4…20 mA-Schnittstelle tut das, Profibus-PA und Fieldbus Foundation tun dies auch. Eine physikalische Ebene, die IP-Kommunikation im Feld realisiert, muss genau dies auch tun: Energie und Datenversorgung, gegebenenfalls eigensicher über nur zwei Drähte zu konnektieren. Alles andere ist zu teuer – zu fehlerintensiv und nicht ausreichend robust.

4-20mA HART ist nach wie vor sehr verbreitet in der Prozessindustrie. Wie schnell erwarten Sie die Adaption/Migration hin zu Ethernet-APL?

Da Prozessanlagen für einen Nutzungszeitraum von 30 und mehr Jahren gebaut werden, wird man APL zunächst in Greenfield-Projekten einsetzen. Erfahrungsgemäß wird es viele Jahre dauern, bis ein nennenswerter Anteil der Feldgeräte über APL kommuniziert und darüber hinaus wird es natürlich eine Koexistenz mit anderen Feldbussen geben. Viele Bereiche werden auch in Zukunft noch mit der 4…20 mA-Schnittstelle instrumentiert. Aber irgendwann wird die IP-Kommunikation die dominierende Kommunikation auf der Feld­ebene sein – davon bin ich überzeugt.

Welche Grenzen und Einschränken gibt es bei Ethernet-APL; wo empfehlen Sie weiterhin klassische Bussysteme 4…20mA?

Die Limitation ist zunächst noch die Zahl der APL-fähigen Feldgeräte. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis alle Messverfahren auch über APL-Gerätevarianten verfügen. Über kleinere Remote-I/O-Stationen kann man allerdings alle 4…20 mA-Geräte einsammeln und mit der gleichen IP-Kommunikation verbinden. Wenn man doppeltes Engineering für APL-fähige-Geräte und konventionelle 4…20 mA-Geräte vermeiden will, wird man sich zwangsläufig noch eine ganze Weile auf die 4…20 mA-Schnittstellen beschränken müssen.

Ist die Ethernet-basierte Kommunikation in vielen Bereichen einfach schlicht auch zu teuer?

Nein, auf lange Sicht werden analoge Komponenten zum Aufbau von analogen Schnittstellen viel teurer bleiben als die digitalen Bausteine zum Aufbau einer APL-Schnittstelle. Die Skalierungseffekte digitaler Lösungen werden auf Dauer immer größer sein als die Skalierung analoger Systeme und Bausteine.

Sie haben eingangs erwähnt, dass der größte Nachholbedarf bezüglich Digitalisierung, im Feld ist. Ist Pepperl+Fuchs auf dem Weg vom „Sensorlieferant“ hin zum Technologiepartner für die Digitalisierung der Industrie?

Nein, wir bleiben Spezialist für industrielle Sensorik! Wir möchten aber unseren Kunden auch die für die zunehmend digitalen Sensoren notwendigen Bausteine für deren Konnektivität mitliefern. Dadurch kommen wir mit vielen Digitalisierungsprojekten unserer Kunden in Kontakt und sehen, dass die Kunden auch für Konnektivität und Applikation unserer Sensoren Lösungen mit uns entwickeln wollen.

Differenzieren sich Ihre Sensoren zunehmend durch intelligente Softwarelösungen?

Ja, wenn man in die neusten Lidar-Scanner hineinschaut, differenzieren sich diese gegenüber dem Wettbewerb auch durch Software. Darüber hinaus fällt es leicht die eigenen Sensoren zum Einsatz zu bringen, wenn man bereits für das Software-Engineering der gesamten Lösung verantwortlich ist. Software im Gerät, aber auch in Konnektivität und der Applikation, wird zum entscheidenden Differenzierungsmerkmal.

Nutzt in Ihren Augen die beste Software/KI nichts ohne State-of-the-art-Sensor-Hardware?

Software kann viele Unzulänglichkeiten der Sensorik ausgleichen und zu einer teilweise signifikant verbesserten Signalqualität führen. Vom Software-Filter bis zu Deep-Learning-Algorithmen haben wir heute einen sehr mächtigen Werkzeugkasten. Und doch lassen sich nicht alle Unzulänglichkeiten durch Software kompensieren, ein besseres sensorisches Signal ist nach wie vor für viele neue Anwendungen eine grundlegende Voraussetzung. Denken Sie beispielsweise an das autonome Fahren: Mit KI Verkehrssituationen zu bewerten und daraus die richtigen Fahrbefehle abzuleiten, ist heute sehr weit vorangeschritten. Komplexe Verkehrsszenen sensorisch vollständig zu erfassen, steckt dagegen noch in den Kinderschuhen.

Welches Potenzial sehen Sie generell in der KI bei Sensorik?

Für die Sensorik selbst ist KI vor allem eine Erweiterung des Software-Werkzeugkoffers zur Optimierung der Messwert- und Datenqualität. In der Peripherie des Sensors wird KI eine deutlich größere Wirkung entfalten. Denken Sie beispielsweise an die Gestaltung von Mensch-Maschine-Schnittstellen, an die technische Dokumentation und an die Usability: Dies sind alles Felder, in denen KI eine umwälzende Wirkung entfalten wird.

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