P&A: Herr Saalfeld, wird Glatt häufig unterschätzt?
Volker Saalfeld: Wenn Sie das Gesamtportfolio meinen, eindeutig ja. Bekannt ist der Name Glatt für Wirbelschichtanlagen, aber in einer typischen Pharmaprozesskette decken wir viel mehr ab: etwa die Einwaage, das Mischen, das Fördern und den Coating-Prozess,. Noch weniger bekannt ist, dass wir bereits die galenische Entwicklung, die Formulierung neuer Produkte übernehmen und in der Lohnherstellung aktiv sind. Und wir hier im Standort Weimar bieten darüber hinaus das Engineering von der Planung bis zur schlüsselfertigen Anlage - oft auch mit Equipment, das von anderen Maschinenbauern zugekauft ist.
Wie hat sich die Bedeutung des Engineerings innerhalb des Glatt-Konzerns entwickelt?
Seit dem Start 1991 - mit damals 20 Mitarbeitern - ist Glatt Ingenieurtechnik auf 180 Mitarbeiter gewachsen. Insgesamt hat die Gruppe rund 1.500 Mitarbeiter. Und mittlerweile haben wir auch Büros in Wiesbaden und Indien und eine Firma in Moskau.
Einen Großteil Ihres Umsatzes 2011 brachte sicher die Wirbelschichtanlage, die Sie im vergangenen Sommer nach Skandinavien geliefert haben: ein kontinuierlich arbeitender Wirbelschicht-Coater mit einer Kapazität von mehreren Tonnen pro Stunde. Ist das Projekt typisch für die Glatt Ingenieurtechnik?
Das war bis dato die größte von Glatt Ingenieurtechnik realisierte Anlage dieser Art - eine Coating-Anlage für Additive für die Nahrungs- und Futtermittelindustrie. Rund um die kontinuierliche Wirbelschichttechnologie haben wir die Technik für die gesamte Rohstoffaufbereitung, Lagerung und Zuführung bis hin zur gesamten Gebäudetechnik geliefert. Das ist sicher ein Trend und insofern typisch für unsere Projekte, dass immer häufiger auch die Nebenanlagen und die Haustechnik bis hin zur Beleuchtung mit abgedeckt werden. Der zweite Bereich der Glatt Ingenieurtechnik, den ich verantworte, beschäftigt sich jedoch mit völlig anderen Prozessen: Wir planen Pharmaanlagen - und zwar auch solche für flüssige Produkte, aber auch Lebensmittel- und Chemieanlagen.
Wie kam es dazu, dass sich der Bereich Engineering so stark den Liquid-Prozessen widmet?
Es erscheint kurios, weil viele beim Namen Glatt an die Anlagentechnik, also an Feststoff-Anlagen denken. Doch unsere größten Projekte waren Anlagen für die Flüssig-Steril-Verarbeitung. Woran das liegt? Vielleicht daran, dass Liquid-Pharmaprozesse einfach komplexer sind als die Feststoffverarbeitung. Komplexere Planungsaufgaben übergibt man eher einem darauf spezialisierten Engineering-Büro. Tatsächlich mussten wir beim Markteinstieg schon stark argumentieren, um unsere Kompetenz deutlich zu machen. Dank unserer Referenzen fällt uns das inzwischen leicht.
Zum Beispiel?
Schon 1994 haben wir den ersten Engineering-Auftrag für eine Insulinfabrik in Kiew in der Ukraine bekommen. Ein weiteres bedeutendes Projekt war die Blutplasmafraktionierungsanlage in Kirov in Russland - eine komplett neue Fabrik auf der grünen Wiese mit einem Investitionsvolumen von 250 Mio. Euro. Aktuell planen wir unter anderem eine Infusionslösungsanlage, ebenfalls für Russland.
Offensichtlich sind Sie in Russland inzwischen etabliert.
Ja, wir sind dort gut aufgestellt und haben die notwendigen Lizenzen für die Planung und den Bau von Anlagen. Doch wir arbeiten daran, uns weiter regional zu diversifizieren. Das trägt bereits die ersten Früchte, etwa in Skandinavien und in Saudi-Arabien. Auch dort planen wir aktuell eine Infusionslösungsanlage. Und auch unser Engagement in Indien macht sich gerade mit dem ersten größeren Projekt für GlaxoSmithKline bezahlt.
Trotz der nachgewiesenen Expertise im Pharmaanlagenbau wollen Sie sich nicht auf diesen Anwendungssektor begrenzen, sondern Chemie- und Lebensmittelprozesse ebenfalls abdecken. Was ist dabei das verbindende Element?
Wir unterteilen mögliche Projekte in drei Kategorien. Zum einen solche, in die wir Glatt-Technologien oder unsere gewachsenen Erfahrungen, etwa im Infusionslösungsbereich, einbringen können. Die zweite Kategorie umfasst Projekte, für die wir Lizenzen von Dritten nutzen - etwa die Insulin-Produktion, bei der wir eine Hoechst-Lizenz genutzt haben. Bei der dritten Variante bringt der Kunde das entsprechende Know-how mit. Wenn sich ein Projekt nicht in eine dieser Kategorien einordnen lässt, machen wir es nicht. Denn sonst würden wir uns aufs Glatteis bewegen und müssten die Dinge neu erfinden. Das wäre für unsere Kunden nicht attraktiv.
Neben dem Engineering und dem Anlagenbau übernimmt Glatt ja auch Aufträge zur Lohnherstellung. Wann bieten Sie den Betrieb der von Ihnen gebauten Anlagen an?
Tatsächlich sind wir darüber bereits mit verschiedenen Kunden in der Diskussion. Ich sehe hier einen möglichen Trend, dem wir gerecht werden wollen. Einen weiteren Trend spiegelt das Stichwort Excellence United wider...
...die Allianz der Maschinenbaufirmen für den Pharmasektor, die sich vergangenes Jahr auf der Interpack vorgestellt hat? Worauf zielt sie ab?
Gemeinsam decken die Mitgliedsunternehmen Glatt, Fette Compacting, Uhlmann, Bausch + Ströbel, Harro Höfliger und VisioTec eine breite Palette der in der Pharmaindustrie eingesetzten Verfahren und Maschinen ab. Im Projektgeschäft können zwei oder mehrere dieser Firmen unter einer Führung gemeinsam tätig werden. Und auch beim Aftersales-Service bündeln wir unsere Ressourcen - unter anderem, um Maintenance und Reparaturen in verschiedenen Länderregionen besser und kostengünstiger zu realisieren: Ein Service-Mitarbeiter aus einem der beteiligten Unternehmen kann immer vor Ort sein und zumindest das erste Trouble-Shooting für die anderen mit abdecken.
Wann wird ein solcher firmenübergreifender Service realisiert?
Derzeit schulen wir die ersten Service-Leute, die wir übergreifend für Maschinen und Anlagen der Excellence-United-Mitglieder einsetzen wollen.