Wenn das kein Ritterschlag ist. Die Namur setzt das Thema Dezentrale Intelligenz ganz oben auf die Agenda ihrer Hauptsitzung. Und Wago spielt dabei eine zentrale Rolle. Die Steckverbinder und Reihenklemmen des Mindener Unternehmens sind seit Jahren Bestandteil vieler prozesstechnischer Anlagen. Anfang November 2014 – als Sponsor der diesjährigen Namur-Hauptsitzung – ist Wago nun gefordert, seine Vorstellungen von der Prozessautomatisierung der Zukunft darzulegen. Nämlich eine Automatisierungsarchitektur, mit der man verfahrenstechnische Package-Units und Container-Anlagen künftig besser automatisieren und in ein Gesamtsystem integrieren kann. Der Anwenderverband traut dem Unternehmen offensichtlich eine überdurchschnittliche Kompetenz zu.
Modulare Anlagen brauchen ein modulares Automatisierungskonzept. Und das muss skalierbar sein. So ist das – stark vereinfacht – aus der Namur-Empfehlung NE 148 abzuleiten. Noch einfacher wird es, wenn man an das Lego-Prinzip denkt. Große Leitsystem-Strukturen, mit denen One-Unit-Anlagen seit Jahrzehnten automatisiert werden, sind da wenig zielführend. Ulrich Hempen, Leiter Market Manager Industrie & Prozess bei Wago, meint: „Für die Automatisierung derartiger Anlagen benötigt man andere Systeme.“ Wago-I/O-Systeme mit unterschiedlichen Schutzarten etwa, von denen sich einige speziell für die dezentrale, modulare Automation eignen.
Großer Aufwand beim Engineering
Reicht das aber, um von der Namur als Hauptsponsor gewählt zu werden? Automatisierungsanbieter stehen regelmäßig Schlange, um hunderten von Namur-Vertretern ihre Lösungsvorschläge zu präsentieren. Die Produktbasis allein kann es nicht sein, die haben andere auch. Das neue, außergewöhnliche Angebot von Wago heißt „DIMA“. Die Abkürzung steht für Dezentrale Intelligenz für modulare Anlagen. Es setzt genau da an, wo es Package-Unit-Käufern weh tut: beim Engineering. Denn dezentrale Intelligenz zusammenzubringen heißt, sie miteinander und mit weiteren Tools, etwa für die Rezeptursteuerung oder Alarmierung systemisch zu vernetzen.
Die Methodik Dima will genau das leisten. Sie basiert auf einer standardisierten Beschreibung von Modulen über sogenannte MTPs, also Module Type Packages (analog zu Device Typ Packages für Geräteintegration). Ein MTP enthält Angaben zur prozessleittechnischen Einbindung, zu Funktionen des Bedienens & Beobachtens, zu Batchfunktionen und weiteren Inhalten, die die Namur-Empfehlung NE 148 vorgibt: etwa zur Diagnose und Alarmierung. Diese MTPs werden von der Dima-Engineering-Software verstanden, was die Integration eines mit MTP ausgerüsteten Moduls deutlich vereinfacht.
Ein Modul könnte zum Beispiel ein Temperierer sein, mit typischerweise 100 Parametern, die früher einzeln in ein übergeordnetes System zu integrieren waren. Eine Herkulesaufgabe für das Engineering-Team. Die Inbetriebnahme modular angelegter Anlagen dauerte entsprechend lange. Damit wäre das wichtigste Argument für modulare Anlagen ad adsurdum geführt. Sie sollen es Anwendern ermöglichen, flexibel auf neue Markttrends zu reagieren. Anlagenbetreiber in der Feinchemie, Pharmazie oder Lebensmittelindustrie möchten bestehende Anlagen schnell umbauen oder erweitern können. Einen Bremsschuh für das Engineering kann man da nicht brauchen. Dima fragt nun nicht nach einzelnen Parametern, sondern legt eine diensteorientierte Architektur zugrunde.
So gelingt nicht nur der Aufbau einer Gesamtanlage aus Modulen. Auch im laufenden Prozess kann man sie ab- oder ankoppeln – und bei Bedarf auch in ein übergeordnetes Leitsystem einbinden. Das darf dann künftig sehr viel schmaler ausfallen als bisher oder ist gar nicht mehr nötig. I/O- und Controller-Ebene sind über das Wago-Engineering-System gekoppelt. HMI, Batch- und Alarming-System benötigt man ergänzend, wobei sich eine einheitliche Bedienstruktur ergibt. Denn Dima überträgt keine Bedienbilder einzelner Units, sondern eine Semantik, die dann einheitlich übersetzt wird.
Wago-Geschäftsführer Sven Hohorst verdeutlicht: „Es geht um den sinnvollen Einsatz eines zentralen oder alternativ eben eines dezentralen Ansatzes, je nach Anwendung.“ Im Downstream-Bereich der Raffinerien wird wohl weiterhin zentral automatisiert werden, in der Öl-Exploration dagegen bringen modulare Konzepte Vorteile, ebenso wie etwa in der Pharmaproduktion. Bei Sanofi Aventis beispielsweise ist dezentrale Automation für intelligente Module längst Realität.
Erfahrung für die Entwicklung von Dima sammelte Wago in der Gebäudetechnik: bei der Automatisierung von Squaire, einem riesigen Büro- und Hotelgebäude am Frankfurter Flughafen. Hempen berichtet: „Der Automatisierungsumfang dort entspricht dem einer kleinen Bohrinsel.“ Bis mithilfe von Dima nach Öl gebohrt wird, ist noch einiges zu tun. Das Konzept bekommt nun den letzten Schliff; der Input der Namur-Vertreter wird Wago dabei wertvoll sein. Akzeptanz der Anwender darf man wohl voraussetzen. Mitziehen müssen aber auch Anlagen- und Apparatebauer, die mit der Teilautomatisierung ihrer Units die Voraussetzung schaffen, dass Dima zu deren Integration genutzt werden kann. Und auch die Leitsysteme müssen die Dienstsprache des Engineering-Tools verstehen. Wie eine modulare Anlage, vernetzt über Dima, aussehen kann, zeigt Wago auf der Namur-Hauptsitzung. Ob sie funktioniert, wird die Produktqualität zeigen. Die kann jeder dort testen. Denn Wago bedankt sich mit Eiscreme für das Vorschussvertrauen der Namur.