Das Labor an der School of Pharmacy des University College London ist mit diversen 3D-Druckern ausgestattet. Eingesetzt wird selektives Lasersintern (SLS), Semi-solid-Extrusionsverfahren (SSE), Stereolithografie (SLA) und Fused Deposition Modeling (FDM) respektive Fused Filament Fabrication (FFF). Der in Pharmazeutik Promovierende Fabrizio Fina arbeitet hier in Kooperation mit der Forschungsgruppe FabRx an der Entwicklung der sogenannten Printlets: 3D-gedruckte Tabletten der Zukunft.
SLS eröffnet neues Forschungsfeld
Im Labor füllt Fina das Pulvermaterial in den Bauraum des SLS-Druckers Sintratec Kit und startet Sintratec Central, die Benutzersoftware. In kurzer Zeit sind drei Printlets gedruckt, bestehend aus einer Mischung pharmazeutischer Polymere, dem Wirkstoff Paracetamol und einem Farbstoff. In 20 Minuten drucke er 20 Tabletten, erwähnt er und ergänzt: „Die SLS-Technologie birgt ein riesiges Potenzial. In nur zwei Jahren haben wir damit außergewöhnliche Resultate erzielt. Das Sintratec Kit hat uns ein neues Forschungsfeld eröffnet.“
Vor zwei Jahren haben die ersten mit SLS gedruckten Printlets mit nur pharmazeutischen Komponenten gezeigt, dass die integrierten Wirkstoffe sich während des Sinterprozesses nicht zersetzten – wie zuvor fälschlicherweise angenommen. Nach dem Lasersintern sollen die Wirkstoffe sogar zu 100 Prozent erhalten geblieben sein. Fabrizio erinnert sich: „Wir waren überrascht und realisierten, dass wir auf Basis dieser Erkenntnis viele andere Wirkstoffe evaluieren und dank der Präzision des Lasers innovative Formen drucken könnten.“ Das anfangs nur zu Testzwecken angeschaffte Sintratec Kit unterstützte dabei, die Forschung an den Tabletten zu erweitern und voranzutreiben.
In Sekunden oder Stunden zersetzen
Während des Sinterprozesses verbinden sich die Pulverpartikel an ihren Oberflächen. Diese Art von Verbindung, die poröse Strukturen generiert, wird als Necking bezeichnet. Anders als bei der Herstellung von Tabletten durch Pulverpressung erfordert SLS keine Kompression. Aufgrund der porösen Struktur kann Wasser leicht in das Printlet eindringen und die Pulverpartikelverbindungen innerhalb von Sekunden auflösen.
„Wir streben das Gegenteil von klassischen 3D-Druck-Anwendungen im Engineering-Bereich an, wo Robustheit gefragt ist“, erklärt Fina. „Wir machen Medikamente und möchten, dass unsere Materialien brechen oder sich zersetzen – im Magen-Darm-Trakt oder im Mund mit einem Schluck Wasser.“ Konventionelle Tabletten brauchen normalerweise zwischen 30 und 60 s, um sich zu zersetzen. SLS soll Zersetzungszeiten von unter 3 s ermöglichen.
Durch die offenen Parameter des Sintratec Kit lassen sich Druckparameter oder die Zusammensetzung der Pulvermischung aber auch flexibel verändern. Die Zersetzungsdauer der Tablette kann damit je nach Bedarf personalisiert werden. Laut Fina könne sie zwischen ein paar Sekunden und 24 h liegen, oder im Spezialfall bis zu mehrere Tage betragen.
Um die Auflösungsdauer weiter zu reduzieren, entwickelte der Promovierende Printlets mit Gitterstrukturen. Aufgrund ihrer großen Gesamtoberfläche zersetzen sich die Printlets mit Gyroid-Struktur viel schneller als jene mit zylindrischer Form. Solche komplexen Strukturen wären mit herkömmlichen Produktionstechnologien nicht herstellbar.
Tabletten bei Raumtemperatur sintern
Um eine thermische Zersetzung der Materialien zu vermeiden, muss die Prozesstemperatur so niedrig wie möglich sein. Eine Besonderheit des Sintratec Kit liegt in der Möglichkeit, bei Raumtemperatur zu arbeiten. FabRx hat mehrere Polymere evaluiert, die das Sintern unter diesen gewünschten Bedingungen ermöglichen. Als positiven Nebeneffekt braucht der 3D-Drucker nur kurze oder gar keine Aufwärmzeit. Zudem lassen sich 3D-Druckobjekte ohne Abkühlzeit sofort entpulvern.
„Das selektive Lasersintern kreiert ein großes Potenzial in der Pharmaindustrie. Damit können Tabletten ohne Bindemittel, wie sie das Binder-Jetting-Verfahren einsetzt, hergestellt werden“, sagt Prof. Simon Gaisford, Head of Pharmaceutics am University College London und Mitgründer von FabRx. Das sei ein wichtiger Vorteil, da diese Bindemittel mit den Wirkstoffen thermisch reagieren könnten.
Eine Pille am Tag reicht
Insbesondere bei sogenannten Polypillen, also Tabletten mit mehreren Wirkstoffen, bietet die SLS-Technologie signifikante Vorteile. Für Patienten ist es beispielsweise bequemer, eine Polypille pro Tag einzunehmen statt mehrerer Einzeltabletten.
Gaisford spricht einen weiteren Punkt an: „Aus wirtschaftlichen Gründen schenkt die Pharmaindustrie der Produktion von Medikamenten für kleine Patientengruppen weniger Aufmerksamkeit.“ Mit individualisierten 3D-Druckverfahren werden personalisierte Medikamente für wenig erforschte oder seltene Krankheiten, für kleine Patientengruppen oder für Kinder und ältere Menschen nun viel einfacher herstellbar. Für diese Zielgruppen können Wirkstoffe gemäß Behandlungsvorschriften exakt dosiert werden. Das würde das Problem von den in den Apotheken nicht erhältlichen Zwischendosierungen lösen.
In Zukunft will FabRx in Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie ein alternatives 3D-Drucksystem für die Massenproduktion entwickeln. „Wir suchen jetzt nach anderen Formeln, die den Unterschied machen werden“, berichtet Fina. So könnten es SLS-3D-Drucker eines Tages vielleicht in die Apotheken schaffen.