Umfrage zeigt düstere Zukunftsaussichten Verbände fordern radikalen Kurswechsel in der Industriepolitik

Blick in die Zukunft der chemisch-pharmazeutischen Industrie: In einer Befragung von Fach- und Führungskräften werden kritische Standortfaktoren identifiziert und Veränderungen in der industriepolitischen Landschaft in Deutschland gefordert.

Bild: publish-industry / DALL·E
19.03.2024

Die Zukunftsaussichten der chemisch-pharmazeutischen Industrie sind unter den derzeitigen industriepolitischen Rahmenbedingungen äußerst negativ, wie eine Expertenbefragung zeigt. Um die Zukunftsperspektiven der chemisch-pharmazeutischen Industrie zu verbessern, fordern sie eine Überprüfung und mögliche Anpassung der industriepolitischen Rahmenbedingungen.

Die Zukunftsausschichten der chemisch-pharmazeutischen Industrie sind unter den derzeitigen industriepolitischen Rahmenbedingungen ausgesprochen negativ. Zu diesem Schluss kommt eine Umfrage unter den Fach- und Führungskräften in den Unternehmen und Forschungseinrichtungen der Branche. Hoffnung machen hingegen die hohe Ausbildungsqualität und die Nähe zwischen Unternehmen und Wissenschaft bei der Technologieentwicklung. Durchgeführt wurde die Befragung unter den Mitgliedern des Fach- und Führungskräfteverbandes VAA und der Dechema Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie Vertreter beider Verbände fordern einen radikalen Kurswechsel in der Industriepolitik.

  • Hohe Energiepreise und langwierige Genehmigungsverfahren schwächen den Standort Deutschland

  • Ausbildung, Produktionsinfrastruktur und Nähe zur Wissenschaft werden als gut bewertet

  • Industriepolitische Rahmenbedingungen müssen dringend verbessert werden, damit sich die deutsche Industrie auf eigene Stärke besinnen und den Anschluss an die Weltspitze sichern kann

Im Rahmen der Umfrage bewerteten die Mitglieder von VAA und Dechema unter anderem die Bedeutung von insgesamt 17 Standortfaktoren für den Fortbestand der Arbeitsplätze. Als wichtigste Einflussfaktoren wurden dabei die Höhe der Energiepreise, das Ausbildungsniveau und die Verfügbarkeit von Fachkräften, die Stabilität der industriepolitischen Rahmenbedingungen und die Verfügbarkeit von Rohstoffen genannt.

Die Höhe der Energiepreise ist zugleich der Standortfaktor, dem die Umfrageteilnehmenden mit einer Bewertung den negativsten Einfluss auf den Fortbestand der Arbeitsplätze zuschreiben. Ebenfalls hoch gewichtet und besonders kritisch bewertet wurden die Dauer und Komplexität von Genehmigungsverfahren bei der Errichtung neuer Produktionsanlagen und staatlicher Verwaltungsvorgängen insgesamt. Einen positiven Einfluss sehen die Teilnehmer hingegen durch die Leistungsfähigkeit der vorhandenen Produktionsinfrastruktur und die Nähe zu wissenschaftlichen Institutionen.

Angesichts der Umfrageergebnisse fordert Dr. Christoph Gürtler, 2. Vorsitzender des VAA, die politischen Entscheidungsträger zu einem radikalen industriepolitischen Kurswechsel auf: „Wenn der Chemie- und Pharmastandort Deutschland mit seinen hocheffizienten Wettschöpfungsketten erhalten bleiben soll, müssen die Preise für Energie verlässlich auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau gedeckelt und die viel beschworene Maßnahmen zur Entbürokratisierung endlich umgesetzt werden.“ Dies gelte vor dem Hintergrund des durch etliche Chemie- und Pharmaunternehmen bereits angekündigten Abbaus von hochqualifizierten Industriearbeitsplätzen mehr denn je.

Internationaler Vergleich

Bei der Positionierung der deutschen Chemie- und Pharmabranche im internationalen Wettbewerb sehen die Umfrageteilnehmer Stärken und Schwächen: Die Ausbildung wird von rund der Hälfte der Befragten als im Vergleich sehr gut oder eher gut bewertet, die Technologieoffenheit immerhin von einem Drittel. Bei der Technikaufgeschlossenheit in der Gesellschaft sind es hingegen nur 13 Prozent. Von den Teilnehmenden aus dem Kreis der Dechema stuft diesen Wettbewerbsfaktor sogar nur jede zehnte befragte Person als sehr gut oder gut ein. Mehr als ein Viertel dieser Teilnehmenden ist an Universitäten, Fraunhofer-Instituten oder anderen Forschungseinrichtungen tätig. Auch bei der Umsetzung von neuen Technologien sehen die Dechema-Mitglieder die deutsche Position im internationalen Wettbewerb besonders kritisch.

Dechema-Geschäftsführer Dr. Andreas Förster: „Deutschland ist ein weltweit führender Forschungs- und Entwicklungsstandort in der Chemie, Chemietechnik und Biotechnologie und wir haben eine sehr gute Vernetzung zwischen Wissenschaft und Industrie in den technischen Wissenschaften. Dieses Potenzial müssen wir nutzen, um Lösungen für die globalen Herausforderungen zu entwickeln und damit auch den Technologiestandort Deutschland zu stärken.“

Kritik an deutschen industriepolitischen Rahmenbedingungen

Auch Gürtler vom VAA-Vorstand bewertet die Umfrageergebnisse als Handlungsauftrag für Politik und Gesellschaft: „Wir brauchen ein besseres Verständnis dafür, dass wir erhebliche Teile unseres Wohlstandes aus technischen Innovationen und Technologieführerschaft schöpfen. Gerade deshalb erwarten wir ein klares Bekenntnis der Politik zum Industriestandort Deutschland, das sich zudem sehr kurzfristig in wettbewerbsfähigen und verlässlichen industriepolitischen Rahmenbedingungen niederschlagen muss.“

An der im Dezember 2023 durchgeführten Umfrage von VAA und Dechema zum Chemie- und Pharmastandort Deutschland haben sich mehr als 1.400 Fach- und Führungskräfte aus Unternehmen und Forschungseinrichtungen der Chemie- und Pharmabranche beteiligt.

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