Angefangen hat alles zum Schutz der Kinder: Die ersten Vorschriften, wie Humanmedikamente sicher zu verpacken sind, stammen aus dem Jahr 1970. Damals wurde in den USA die Vorschrift „Poisons Prevention Packaging Act“ eingeführt. In der EU regeln die Normen DIN EN ISO 8317 und DIN EN 14375 die Anforderungen, die an kindergesicherte Verpackungen gestellt werden. Seitdem hat sich vieles in der Branche verändert; eine neue Gefahr steht immer stärker im Fokus: gefälschte Medikamente, die über Zwischenhändler und illegale Pfade in die legale Distribution gelangen. Vorschriften wie die am 8. Juni 2011 erlassene Direktive 2011/62/EU beschäftigen sich nun mit dem Schutz aller Personen, die medizinische Produkte nutzen. Umso überraschender ist, dass heute kaum eine Medikamentenverpackung manipulationssicher verschlossen wird. Die Umsetzung der EU-Richtlinie soll das in Zukunft ändern.
Jedes EU-Mitgliedsland war verpflichtet, diese Direktive bis Anfang 2013 in die nationale Gesetzgebung zu überführen. Dementsprechend wurde auch das deutsche Arzneimittelgesetz (AMG) am 19. Oktober 2012 novelliert. Der § 10 AMG schreibt seitdem vor, dass Arzneimittel zur Anwendung bei Menschen auf der Verpackung Sicherheitsmerkmale sowie die Möglichkeit zum Erkennen einer möglichen Manipulation aufweisen müssen. In § 13 AMG ist geregelt, dass das Gleiche auch für Fertigarzneimittel vorgeschrieben ist, die von anderen Herstellern umverpackt werden. Was aber gilt als eine manipulationssichere Pharmaverpackung? Um dies eindeutig zu formulieren, wurde Ende 2014 die EU-weit verbindliche Norm EN 16679:2014 „Packaging – Tamper verification features for medicinal product packaging“ verabschiedet. Im Juli 2015 bestätigte Stefano Soro, Generalsekretär der Europäischen Kommission für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, nun, dass die Norm geeignet ist, um die Zielsetzung der „Falsified Medicine Directive“ zu stützen und die Umsetzung sicherzustellen.
Ist die Verpackung sicher?
Die Norm definiert Merkmale zur Überprüfung von Manipulationen und dient pharmazeutischen Herstellen sowie entsprechenden Zulassungs- und Prüfinstituten zur Orientierung, ob die jeweiligen Versiegelungen zum Manipulationsschutz geeignet sind. Eine entsprechende Verpackung muss im Wesentlichen vier Punkte umfassen:
Die manipulationssichere Versiegelung darf die Lesbarkeit der vorgeschriebenen Angaben nicht beeinträchtigen.
Der vorgeschriebene Verpackungstext muss nach dem Öffnen lesbar bleiben.
Das Anbringen von Merkmalen zur Überprüfung von Manipulationen darf die Handhabung und Öffnung nicht maßgeblich erschweren.
Die Verwendung von Öffnungshilfen, wie zum Beispiel speziellen Perforationen oder Anfasslaschen, kann erforderlich sein.
In der Praxis erfolgt die Überprüfung der Verpackung meist über Großhändler, abgabeberechtigte Personen wie den Apotheker oder den Arzt beziehungsweise die Krankenschwester. Diese müssen in der Lage sein, eine Sichtprüfung auf das Vorhandensein von Sicherheitsmerkmalen sowie von Manipulationen durchzuführen. Für die Anzeige der Erstöffnung von Faltschachteln gibt es mehrere Möglichkeiten
Besonders naheliegend ist das Verkleben der Laschen mit Klebepunkten. Hier wird ein Klebstoff beziehungsweise eine Kombination von Klebstoffen aufgebracht, um die Verpackung zu verschließen. Dieser in der Praxis übliche Verschluss lässt sich von Betrügern jedoch leicht manipulieren. Eine mit einem Messer oder per Hand vorsichtig geöffnete Lasche kann man nach Austausch des Inhalts leicht und unbemerkt mit einem Haushaltskleber wieder verschließen.
Auch eine speziell aufgebaute Faltschachtel ist denkbar: Hier wird das Merkmal „aktiviert“, wenn die Laschen im Verpackungsprozess zum Verschließen der Schachtel eingeführt werden. Ein erstmaliges Öffnen führt dann zu einer sichtbaren, irreversiblen Beschädigung der Faltschachtel. Diese filigranen Konstruktionen konnten sich jedoch bis heute nicht durchsetzen, da im Verpackungs- und Transportprozess hohe Sorgfalt notwendig ist, um eine vorzeitige Öffnung der Faltschachtel zu verhindern. Als nachteilig erweisen sich in diesem Zusammenhang auch die entsprechenden Investitionen an den Verpackungslinien sowie die mangelnde Flexibilität bei den verwendeten Packstoffen.
Etiketten zeigen Manipulation an
Besonders bewährt haben sich Siegeletiketten. Die selbstklebenden Erstöffnungsschutz-Siegel bieten eine ideale Kombination von Manipulations- und Fälschungsschutz. Das jeweilige Markenzeichen auf dem Siegel erhöht zudem den Wiedererkennungseffekt und verbessert die Durchsetzung markenrechtlicher Schutzrechte. Die Siegeletiketten müssen die Unversehrtheit des versiegelten Verpackungsbestandteils sicherstellen. Deshalb muss das Öffnen der Verpackung zu einer sichtbaren, irreversiblen Beschädigung oder Veränderung der Verpackung und des Etiketts führen.
Verbreitet sind transparente Siegel mit Faserriss-Effekt, die die variable Beschriftung der Verpackungslaschen mit Chargennummer und Verfallsdatum nicht verdecken. In der Praxis haben sich Lösungen etabliert, die aufgrund ihrer hohen Klebkraft bei einer Manipulation zu einem Ausreißen der Papierfasern oder – im Fall von stark lackierten Faltschachteloberflächen – zu einer Selbstzerstörung des Etiketts führen.
Da besonders fragile Etikettenfolien leicht zu Spendeproblemen führen können, werden meist sogenannte Void-Folien eingesetzt. Sie hinterlassen einen Warnschriftzug, ein Firmenlogo oder ein Muster, das über den integrierten partiellen Abweisungsgrad von Folie und Klebstoff unsichtbar in die Sicherheitsetiketten integriert wurde. Eine klebstofffreie Anfasslasche erleichtert das Öffnen der Verpackung und ermöglicht auch das Wiederverschließen der Schachtel oder des Wallets.
Sogenannte Multi-Seal-Etiketten verschließen Medizinverpackungen zuverlässig und ermöglichen ein mehrfaches Öffnen und Verschließen. Die Erstöffnung wird durch eine Botschaft signalisiert, die aus einer einheitlichen Farbfläche herausgelöst wird. Selbst bei exaktem Wiederverschließen des Siegels bleibt die ausgelöste Botschaft deutlich sichtbar.
Damit auch das Durchschneiden und anschließende Verkleben eines Siegels nicht unerkannt bleibt, gibt es Verschlussetiketten mit unregelmäßigen Stanzgeometrien und Schutzlacken, auf deren Oberfläche ein neues Label nicht haften bleibt. Durch eine integrierte Durchschneideanzeige wird eine Beschädigung noch deutlicher angezeigt: Wird das Siegel durchtrennt, stellen sich Zacken auf oder farbige Teile des Siegels werden herausgelöst, die so eine Erstöffnung anzeigen und ein unbemerktes Überkleben verhindern.
Der Herausforderung, Pharmaverpackungen sicherer zu gestalten, treten die Hersteller mit erprobten Technologien entgegen. Der Qualifizierungs- und Implementierungsprozess ist jedoch nicht zu unterschätzen. Neben etabliertem Know-how, wie bei der Produktentwicklung und Einkaufslogistik, sind die hohen Qualitätskriterien der „Good Manufacturing Practise“ zu wahren. Neue Sicherheitsanforderungen kommen hinzu: Sind Fragen zur Sicherheitsfertigung und -lagerung sowie Distribution geklärt? Anforderungen an Geheimhaltung und Freigabeprozess etabliert? Manipulations- und Fälschungsschutz fordern Sicherheitsmanagement bis ins Detail.
Auch wenn der Gesetzgeber erst mit Inkrafttreten der delegierten Rechtsakte der EU-Direktive eine rechtsformelle Vorgabe etabliert und eine Übergangsfrist von drei Jahren einräumt, sollten sich die Hersteller und Verpacker von Medikamenten bereits heute mit den neuen Anforderungen an ihre Verpackungslinien auseinandersetzen.