Dieser Artikel ist Teil unserer Titelreportage der P&A-Februar-Ausgabe 2021. Hier geht es zum zugehörigen Titelinterview mit Dr. Jörg Hähniche, Vorstand der Profibus Nutzerorganisation.
Die Anlagen in der Prozessindustrie bieten viel Potenzial für Verbesserungen und Effizienzsteigerungen – wenn man die bereits vorliegenden Informationen besser nutzen könnte. So will die Branche eigentlich seit vielen Jahren Daten und Informationen aus dem Prozess in Asset-Management-, Condition-Monitoring- oder andere IT-Systeme einbinden, um diese dann nutzbringend zu verarbeiten.
Wären die Anlagen durchgängig digitalisiert, könnte ein ausgefeiltes Gerätemanagement realisiert werden, bei welchem Use Cases, wie unter anderem Gerätetausch und Gerätewartung, optimal unterstützt werden.
Hohe technologische Hürden
Dabei steht eins fest: Ohne Ethernet-Unterstützung und höhere Bandbreiten sind zum Beispiel innovative Asset-Management-Konzepte angesichts der hohen Zahl an installierten Feldgeräten gar nicht möglich. Heutige Leitsysteme unterstützen zudem die einfache Anbindung von ergänzenden Tools, zum Beispiel zur Optimierung, in der Regel nicht.
Dies hat zur Folge, dass erst ein aufwendiger Engineering-Prozess in Gang gesetzt werden muss oder entsprechende Schnittstellen geschaffen werden müssen. Selbst einfache Eingriffe im Sensor/Messumformer sind nur mit hohem Aufwand möglich und werden daher meist erst gar nicht vorgenommen.
Die Redensart „Never change a running system“ ist in der Prozessindustrie schlicht notwendiger Alltag, um die Anlagen sicher zu fahren. Die Langlebigkeit – nicht selten ist eine Anlage über 20 Jahre in Betrieb – ist ebenso eine Herausforderung wie die hohe Verfügbarkeit (24/7) der vielen kontinuierlich laufenden Anlagen.
Zudem sind in der Prozessindustrie Leitungslängen in der Größenordnung von 1.000 m üblich, und die Prozesssensorik beziehungsweise –aktorik muss über die gleiche Zwei-Draht-Verbindung parallel zur Kommunikation (loop-power) unter Einschluss von explosionsgeschützten Bereichen gesichert sein. Außerdem ist der Aspekt des Explosionsschutzes aus technologischer Sicht ausgesprochen komplex.
Ein einziges Netzwerk
In den vergangenen Jahren haben daher Nutzerorganisationen, Technologieprovider, Gerätehersteller und Anwender eng zusammengearbeitet, um eine Ethernet-Lösung für die Prozessindustrie auf den Weg zu bringen. Dafür waren mehrere Bausteine nötig, die sich nun zu einem Gesamtbild zusammenfügen.
In Bezug auf die Kommunikationstechnologie hat PI unter anderem das Geräteprofil für PA Devices mit der Version 4.0 erweitert und auf Profinet ausgeweitet. Dadurch werden die spezifischen Anforderungen der Prozessindustrie, wie der einfache Gerätetausch oder das Eingreifen in die Anlage während des Betriebs, in Verbindung mit der Nutzung von Ethernet erfüllt.
Überdies erlaubt Profinet die Koexistenz anderer Protokolle im Netzwerk, etwa um Webserver-basierte Diagnose oder weitere Geräte beziehungsweise Diagnosetools im selben Netzwerk zu betreiben, ohne dass diese explizit für Profinet konzipiert wurden. Von Vorteil ist, dass mit Ethernet eine Netzwerktechnologie bereitsteht, auf deren Basis die verschiedenen Protokolle unterstützt werden. Somit muss der Anwender nur noch mit einem einzigen Netzwerk arbeiten, was den Engineering- und auch Wartungsaufwand des Netzwerks drastisch reduziert.
Ein weiterer Baustein: PI kooperiert zudem seit längerer Zeit mit der OPC Foundation mit dem Ziel der Nutzung von OPC-UA-Informationsmodellen in den Technologien von PI. So nutzt beispielsweise die von der PI in Kooperation mit der FieldComm Group tatkräftig vorangetriebene FDI-Technologie das Informationsmodell von OPC UA. Die dort schon angewandte Spezifikation OPC UA for Devices wird auch bei der Profinet-Abbildung herangezogen.
Dank des schon immer offenen TCP/IP-Kanals bei Profinet-Netzen kann der OPC-UA-Zugriff über die Steuerungen, Gateways oder auch direkt auf unterlagerte Geräte erfolgen. Mit OPC UA wird der Anschluss an überlagerte Ebenen unter Anwendung der Namur-Open-Architecture(NOA)-Prinzipien realisiert. Damit lässt sich etwa ein Optimierungsprogramm für Ventile oder Instandhaltungswerkzeuge anbinden, ohne in die bestehende Leitsystemstruktur einzugreifen. Das hat den Vorteil, dass etablierte Produktionsverfahren unangetastet bleiben und dennoch weitere Daten zur Anlagenoptimierung bereitgestellt werden.
Wissen, was wo installiert wurde
In der Praxis ist es notwendig, alle Assets einer Anlage zu erfassen. Nur so können zusätzliche Daten zentral durch ein Leitsystem eingesammelt werden. Basierend auf den Erfahrungen bei Profibus wurden auch für Profinet die bewährten Identifikations- und Maintenancedaten (I&M) für die Erfassung der Anlageninformationen von Profinet-Geräten und Anlagen erweitert.
Durch die standardisierte Darstellung der I&M-Daten können auf digitalem Wege Informationen über die eingesetzten Geräte, wie deren Firm- und Hardwareversion (FW/HW) oder der Einbauort, ohne ins Feld gehen zu müssen, abgefragt werden. Mit der Abbildung von Geräteinformationen der Profinet-Assets (I&M), aber auch von Nicht-Profinet-Assets (AMR), wurde ein weiterer Baustein für die Realisierung der Digitalisierung der Produktion gelegt.
APL im Zeitplan
Besondere Aufmerksamkeit galt dem Einsatz in explosionsgeschützten Bereichen der Prozessindustrie. Die Versorgung der Prozesssensorik beziehungsweise –aktorik soll idealerweise über die Zwei-Draht-Verbindung parallel zur Kommunikation (loop-powered) erfolgen.
Unter dem Stichwort Ethernet-APL wurde eine sichere, zukunftsfähige Lösung für die sensiblen Bereiche der Prozessindustrie entwickelt. Dafür haben die Organisationen FieldComm Group, ODVA, OPC Foundation und PI sowie zwölf Industriepartner intensiv an einer Zwei-Draht Ethernet-Lösung für die Prozessautomatisierung gearbeitet. Im November 2019 wurde der Standard IEEE Std 802.3-2019 (10BASE-T1L) freigegeben. Dank Ethernet-Advanced Physical Layer (APL) stößt nun die Ethernet-Technologie – und damit die Hochgeschwindigkeitskommunikation – bis in das prozesstechnische Feldgerät vor.
Erste Praxistests von Profinet mit Ethernet-APL sind bereits bei den im Projekt beteiligten Unternehmen sowie bei Anwendern – zum Beispiel bei der BASF – im Gange und erfolgreich absolviert. Im Juni 2021 – eigentlich zur Achema – sollten die ersten APL-Geräte gezeigt werden. Die wichtigste Branchenmesse wird pandemiebedingt um neun Monate verschoben, die Vorbereitungen für die Präsentation der APL-Technologie jedoch nicht.
Alle Mitstreiter halten sich an den vorgegebenen Fahrplan, so stellen die Chiphersteller 2021 ihre Technologie vor, die APL Conformance Specification wird ebenfalls in diesem Jahr freigegeben. Gleichzeitig starten auch die weiteren ergänzenden Arbeiten, deren Aufwand und Umfang häufig unterschätzt wird.
Dazu gehören unter anderem der Abschluss der Engineering Guideline, Testcases und Zertifizierungen. Für einen sicheren und langlebigen Industrieeinsatz sind auch diese Arbeiten notwendig. Gerade die Use Cases sind ein wichtiger Baustein, damit die Technologie praxisnah entwickelt wird. Hier wird an den letzten Stellschrauben gedreht und Feinheiten aus Sicht des Anwenders eingearbeitet.
All diese Arbeiten laufen Hand und Hand. Daher sind alle Mitspieler zuversichtlich, dass ab 2022 eine breite Auswahl an Profinet-Geräten mit Ethernet-APL zur Verfügung stehen und auf der verschobenen Achema gezeigt werden.