Stellen Sie sich ein Material vor, das nur aus einer Schicht Atome besteht – weniger als ein Millionstel eines Millimeters dick. Das mag zwar fantastisch klingen, aber ein solches Material existiert: Es heißt Graphen und besteht aus Kohlenstoffatomen in einem wabenförmigen Gitter. Es wurde erstmals im Jahr 2004 hergestellt und schon bald für seine wundersamen Eigenschaften gepriesen. Jedoch werd imer noch daran gearbeitet, es vollkommen zu verstehen.
Postdoc Areg Ghazaryan und Professor Maksym Serbyn vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) haben sich gemeinsam mit Dr. Tobias Holder und Professor Erez Berg vom Weizmann Institute of Science in Israel seit Jahren mit Graphen beschäftigt. Nun publizieren sie ihre neuesten Erkenntnisse über seine supraleitenden Eigenschaften in einer Studie in Physical Review B.
„Mehrschichtiges Graphen hat viele vielversprechende Eigenschaften, die von einer veränderbaren Bandstruktur über besondere optische Eigenschaften bis hin zu neuen Formen der Supraleitung reichen, das heißt, es kann elektrischen Strom ohne Widerstand leiten“, erklärt Ghazaryan. „In unserem theoretischen Modell setzen wir unsere Arbeit an gestapeltem Graphen fort und untersuchen, wie sich die verschiedenen Graphen-Schichten am besten übereinander anordnen lassen. Dabei fanden wir neue Möglichkeiten, um sogenannte topologische Supraleitung zu erzeugen.“ In ihrer Studie simulierten die ForscherInnen am Computer, was passiert, wenn man mehrere Lagen von Graphen in bestimmten Anordnungen übereinander stapelt.
Schönheitswettbewerb für Elektronen
„Es ist wie ein großer Schönheitswettbewerb zwischen den verschiedenen Konfigurationen von gestapelten Graphenschichten, um die beste zu finden“, fügt Serbyn hinzu. „Dabei untersuchen wir, wie sich die Elektronen, die sich in den Graphenschichten bewegen, verhalten.“ Je nachdem, wie viele Graphenschichten es sind und wie sie gegeneinander verschoben sind, erschaffen die positiv geladenen Kerne der Kohlenstoffatome im Wabengitter unterschiedliche Umgebungen für die Elektronen um sie herum. Die negativ geladenen Elektronen werden von den Kernen angezogen und von den anderen Elektronen um sie herum abgestoßen.
„Wir haben damit begonnen, realistische Modelle zu untersuchen, bei denen nur ein einziges Elektron mit den Atomkernen des Graphens wechselwirkt. Als wir einen vielversprechenden Ansatz gefunden hatten, haben wir die komplizierteren Wechselwirkungen zwischen vielen Elektronen hinzugefügt“, erklärt Ghazaryan. Dabei haben die Forscher:innen bestätigt, dass die exotische Form der topologischen Supraleitung auftritt.
Feedback der Natur
Diese Art der theoretischen Forschung legt den Grundstein für künftige Experimente, bei denen die simulierten Graphen-Systeme in einem Labor hergestellt werden, um zu sehen, ob sie sich wirklich so verhalten, wie vorhergesagt. „Unsere Arbeit hilft Forscher:innen, neue Experimente zu entwerfen, ohne jede Konfiguration von Graphenschichten ausprobieren zu müssen“, ergänzt Ghazaryan. „Jetzt wird die theoretische Forschung weitergehen, während uns die Experimente Feedback aus der Natur geben werden.“
Während Graphen langsam Anwendungen in der Forschung und Technik gefunden hat, zum Beispiel als Kohlenstoff-Nanoröhren, beginnt man gerade erst, sein Potenzial als topologischer Supraleiter für Elektrizität zu verstehen. Serbyn fügt hinzu: „Wir hoffen, dass wir eines Tages in der Lage sein werden, diese Art von Material auf quantenmechanischer Ebene vollständig zu beschreiben, sowohl um unserer wissenschaftlichen Neugier zu befriedigen als auch um die vielen möglichen Anwendungen von Graphen zu realisieren.“