A&D:
National Instruments bietet verstärkt Controller für Automatisierungsaufgaben in der Industrie an. Ist die Zeit der klassischen Steuerungen im Zeitalter der Smart Factory vorbei?
Jamal:
Früher spielte die Sensorik im Feld nur eine geringe Rolle. Die hauptsächliche Funktion, die den Controllern oblag, war daher die Bearbeitung von Steuerungsaufgaben. Heute jedoch, im IIoT, gibt es tausende miteinander vernetzter Sensoren mit noch nie dagewesener Embedded-Intelligenz. Diese erfassen Unmengen an Big Analog Data und übertragen diese über extrem schnelle Drahtlosnetzwerke. Zudem sind die Datenerfassungsgeräte ebenso wie die Sensoren mit wesentlich mehr und erheblich dezentralerer Intelligenz versehen. Erstklassige Mess- und Analysefunktionen werden so zu einer Grundvoraussetzung. Controller von heute müssen also zu wesentlich mehr in der Lage sein, als lediglich Steuerungsaufgaben abzuarbeiten. Durch die sich stets wandelnden Anforderungen des IIoT müssen sie die Rechenleistung ebenso handhaben wie präzise Regelung und die Kommunikation. Genau das erledigen unsere neuen Industrie-Controller, die sich somit hervorragend für die komplexen Anforderungen von IIoT-Anwendungen eignen.
PC-basierende Steuerungen gibt es bereits viele auf dem Markt. Liegt Ihr Mehrwert darin, als Datenexperte gleich Lösungen für die Auswertung und Visualisierung der Sensor- und Bildinformationen bieten zu können?
Je früher im Lebenszyklus der Daten Analysen durchgeführt werden, desto schneller kann das Unternehmen den Nutzen daraus ziehen. Für diese Herausforderungen ist unsere Hard- und Softwareplattform in der Lage, Daten verschiedenster Quellen und Arten zu erfassen. Auch können die Analysen näher an den Sensor rücken. Irrelevante Informationen lassen sich bereits vorab herausfiltern, was nicht nur die Speicherüberlastung zentraler Server auf ein Minimum reduziert, sondern auch schneller zu Erkenntnissen führt. Hinter falsch angewandter Datenverwaltung hingegen verbergen sich oft versteckte Kosten. Mag man vielleicht mit dem aktuellen Resultat der Datenanalyse und -auswertung zufrieden sein, so wird es dennoch unmöglich sein, künftige Anforderungen abzudecken, wenn die Daten nicht ordentlich aufbereitet wurden. Eine heute getätigte Investition erspart dem Anwender viele Kopfschmerzen und verschafft ihm zudem einen Wettbewerbsvorteil. Der von Ihnen erwähnte Mehrwert aber liegt insbesondere in NIs softwarezentrischen Plattformansatz, ergänzt durch ein riesiges Ökosystem. Die Plattform aus modularer Hardware und flexibler Software gestattet es dem Anwender, sein System jederzeit an sich ändernde Anforderungen anzupassen, es also zukunftsfähig zu machen.
Bei Automatisierungsprodukten geht alles in Richtung Modularisierung und Flexibilität. Trifft das auch auf Ihre Controller-Plattform zu?
Genau das ist die Stärke der Plattform: Auf modulare Hardware und flexible Software setzen wir seit jeher. Nur so kann der Anwender sein System auch an künftige Anforderungen anpassen – ein Muss bei den sich schnell ändernden Bedingungen des IIoT.
Geht es um die Smart Factory oder IIoT, so ist die durchgängige Kommunikation vom Sensor bis in die Cloud gefragt. Engagiert sich NI deshalb für TSN als künftigen Standard?
Gerade beim IIoT ist eine Standardisierung von Kommunikationsnetzwerken absolut sinnvoll. Schließlich verspricht das IIoT eine Welt intelligenter, hypervernetzter Geräte und Infrastrukturen, in welcher nicht nur die Produktionsmaschinen, sondern auch die Verkehrssysteme und das Stromnetz in der Lage sind, Daten zu erfassen, zu verarbeiten, zu analysieren und die Steuerung sowie Regelung zu übernehmen. Wenngleich die Mehrheit der Rohdaten nicht zeitkritisch ist, gibt es doch einige ablauf- und zeitkritischer Informationen, die in Bezug auf Latenz und Zuverlässigkeit innerhalb strikter Schwellwerte übertragen bzw. ausgetauscht werden müssen. Doch ist ein Großteil der heute vorhandenen Netzwerkinfrastruktur nicht dafür ausgelegt, mit solch zeitkritischen Daten umzugehen. Der künftige Standard TSN geht die Schwächen existierender Netzwerke an und wird gegenüber den bisherigen Ethernet-Protokollen eine Vielzahl an Vorteilen bieten, so auch in Bezug auf Bandbreite, Sicherheit, Interoperabilität, Latenz und Synchronisation.
In der Automatisierung gibt es unzählige etablierte Feldbusse, auch Echtzeit-fähige auf Ethernet-Basis. Was macht TSN besser?
Erstens stößt die Bandbreite proprietärer Ethernet-Derivate bei 100 Mbit/s und Halbduplex-Kommunikation an ihre Grenzen. TSN verspricht, gängige Ethernet-Raten abzudecken und die Vollduplex-Kommunikation zu unterstützen. Der zweite Aspekt ist das Thema Security. Der Großteil der heute eingesetzten Feldbusse nutzt Air Gap und Security through Obscurity, um für datentechnische Sicherheit zu sorgen. Neueste Security Breaches zeigen jedoch, dass es ebenso wichtig ist, Sicherheit vollständig auf kritische maschinennahe Steuerungs- und Regelungsinfrastrukturen auszudehnen. Mit TSN wird die Übertragung kritischer Steuerungs-/Regelungsdaten geschützt. Außerdem deckt dieser neue Standard führende IT-Sicherheitsbestimmungen ab. Aspekt Nummer drei ist die Interoperabilität. TSN nutzt gängige Ethernet-Komponenten, wodurch es sich nahtlos in vorhandene Applikationen – so genannte „Brown-Field-Anwendungen“ – sowie in den üblichen IT-Verkehr integrieren lässt. Latenz und Synchronisation schließlich sind der vierte Punkt, durch den Optimierungen erzielt werden sollen. TSN priorisiert die Kommunikation mit geringer Latenz, die für Applikationen mit schneller Systemantwort und Regelungsapplikationen benötigt wird. Deterministische Übertragungszeiten im zweistelligen Mikrosekundenbereich und eine Zeitsynchronisation zwischen Knoten bis hinunter in den zweistelligen Nanosekundenbereich sind somit umsetzbar.
NI bietet jetzt mit Cisco und Intel zusammen eine Early Access Technologie-Plattform für TSN an. Welches Ziel verfolgen Sie damit?
Ziel ist es, die Entwicklung neuer Synchronisations- und Kommunikationstechnologien voranzutreiben. Mit der in Zusammenarbeit mit Cisco und Intel entwickelten Plattform sind Anwender in der Lage, Steuer-, Regel- und Messanwendungen über Standard-Ethernet-Verbindungen deterministisch und zeitsynchronisiert auf verteilten Systemen auszuführen. Die Plattform wird bereits im Rahmen von Projekten wie beispielsweise dem TSN-Testbed des Industrial Internet Consortium für Smart Factories eingesetzt, so dass die Technologie umfassend in Ökosystemen getestet werden kann. Genutzt wird die Technologie darüber hinaus auch vom Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen für die Entwicklung von CNC-Maschinen der nächsten Generation. Es gibt bereits viele Einsatzszenarien.
Lässt sich die Plattform gleichzeitig auch für die Steuerung von Geräten und Datenauswertungen nutzen?
TSN stellt Mechanismen bereit, mit denen sich über Standard-Ethernet-Verbindungen verteilte, synchronisierte Systeme mit harten Echtzeitanforderungen erstellen lassen. Da diese Systeme sowohl für die Echtzeitsteuerung als auch für die Übertragung von IT-Daten dieselbe Infrastruktur nutzen, werden Steuerung, Regelung, Messungen, Konfiguration, Benutzeroberflächen und Dateiaustausch in einem Netzwerk zusammengeführt. Diese Netzwerkkonvergenz mit sicherer Übertragung von Steuerdaten und hoher Leistungsfähigkeit soll das Systemdesign und die Systemwartung grundlegend verändern. Die Early Access Technology Platform umfasst neue CompactRIO-Controller mit Intel Atom Prozessoren und einem TSN-fähigen I210-Netzwerkanschluss von Intel und stellt so eine schnelle und gleichzeitig energiesparende Lösung zu einem günstigen Preis-Leistungs-Verhältnis bereit.
Wo liegen die Grenzen von TSN? Braucht es weiterhin spezielle Feldbusse bei Echtzeitanforderungen mit wenigen Mikrosekunden?
Auch künftig werden Feldbusse durchaus ihre Berechtigung haben. Beispielsweise ist es nicht sinnvoll, TSN als Antriebsbus einzusetzen, statt der bewährten Busse Varan, Profinet IRT, Sercos, Ethercat EDP oder Powerlink. Die Entscheidung, welche verschiedenen Technologien zum Einsatz kommen sollen, soll dem Maschinen- und Anlagenbauer obliegen. TSN hätte jedoch das Potential, langfristig die vielen unterschiedlichen Feldbusse durch einen einheitlichen kommerziell verfügbaren Kommunikationsbus zu ersetzen. Vor allem dieser Aspekt bewegt zurzeit die Gemüter der Feldbusakteure.