Offene Automatisierung - inwiefern wird dies in der deutschen Industrie schon gelebt?
Jenke:
Eine offene Automatisierung ist die Voraussetzung für individuelle und flexible Lösungen, die benötigt werden, um Analytics-Lösungen zu schaffen, neue Geschäftsmodelle zu etablieren, eine vollständige Vernetzung zu erreichen und dadurch die Produktivität weiter zu steigern. Wago hat früh den Weg zu einer größtmöglichen Offenheit eingeschlagen. Das umfasst heute insbesondere die Bereiche CloudConnectivity, Embedded Linux, CoDeSys, die Schnittstellen und Protokolle, aber auch den Bereich der modularen Software.
Was sind die entscheidenden Bausteine für eine herstellerunabhängige Automatisierung?
Jenke:
Herstellerunabhängige Automatisierung bedeutet, dass die Kompetenzen und Angebote verschiedener Unternehmen vereint werden und sich in einer gemeinsamen Lösung bündeln lassen. Um in der eigenen Automatisierung möglichst herstellerunabhängig zu sein, sollte auf proprietäre Lösungen möglichst verzichtet und auf eine hohe Kompatibilität in Form von gemeinsamen Standards gesetzt werden. Im Bereich der Geräteprogrammierung setzt Wago daher auf die Programmiersprache IEC 61131. Darüber hinaus können auf dem Docker-fähigem Realtime-Linux-Betriebssystem von Wago-Softwarelösungen in Programmiersprachen beziehungsweise Open-Source-Software eingebunden werden. Im Bereich der Kommunikation ist OPC UA ein wichtiger Baustein, der in Zukunft durch OPC UA Field eXchange noch relevanter wird.
Welche Herausforderungen tun sich auf, wenn Anwender ihre Maschine oder Anlage optimieren möchten?
Janzen:
Eine Herausforderung für uns als Hersteller ist, dass das Produkt, das wir auf den Markt bringen wollen, sowohl in Greenfield als auch in den bestehenden Lösungen, dem sogenannten Brownfield, einsetzbar sein muss. Dafür eignet sich idealerweise ein offenes Ökosystem mit vielen Schnittstellen. Wago bietet zum Beispiel mit dem auf der ARM-Architektur basierenden Edge Controller ein Edge Devices an, welcher dank der hohen Schnittstellenvielfalt in nahe jede Applikation eingebunden werden kann. Mit den Edge Computern, die auf der x86-Architektur basieren, hat der Anwender die Möglichkeit eine performante Daten(vor)verarbeitung in der Edge zu realisieren.
Jenke:
Viele Kunden wenden sich an uns mit dem Wunsch, ihre Anlage beziehungsweise Maschine zu optimieren. Es gilt dann herauszufinden, welches Optimierungspotenzial in der Maschine oder Anlage steckt. Hierfür müssen die Kompetenzen über den individuellen Prozess, der Automatisierungstechnik sowie aus dem Bereich Data-Science vereint werden. Viele unserer Kunden sind jedoch kleine und mittelständische Unternehmen, die keine Data-Science-Expertise im Haus haben. Als Automatisierungsanbieter steuern wir nicht nur unser Know-how im Bereich Automatisierung bei, sondern bieten auch unser Wissen im Bereich Data Science an.
Heißt das, dass Sie gerade bei kleinen und mittelständischen Unternehmen Nachholbedarf sehen?
Jenke:
Ja, das lässt sich so sagen. Große Firmen haben mittlerweile alle Data-Science-Abteilungen. Aber nicht jeder Mittelständler kann für Datenanalysen Personal einstellen. Um ihre innovativen Ideen umzusetzen, benötigen sie Partner und genau dies sehen wir als unsere Aufgabe. Der Kunde steuert sein Know-how über den Prozess bei, wir ermöglichen den etwas anderen Blick auf die Anlage: in Form von Daten.
Mit Analytics unterstützt Wago Anwender von der Datenaufnahme bis zur Analyse und erstellt intuitive Visualisierungen über die Abhängigkeiten in den Anlagen. Wie können Daten gewinnbringend genutzt werden?
Jenke:
Dafür gibt es vielfältige Möglichkeiten. Ein Beispiel ist die Fehlererkennung, damit frühzeitig ein Wartungsauftrag ausgelöst werden kann. Eine andere Möglichkeit ist die Datennutzung für ein Assistenzsystem - die Künstliche Intelligenz kontrolliert hier also keinen ganzen Prozess; sie gibt dem Mitarbeiter aber Handlungsempfehlungen. Die Datennutzung bedeutet auch immer eine Erhöhung des Automatisierungsgrads durch neue selbstlernende Methoden.
Was ist für die erfolgreiche Umsetzung an Hardware notwendig?
Janzen:
In einem Analytics-Projekt wird typischerweise eine Vielzahl an Schnittstellen, Protokollen und Sensoren ausgelesen. Das bedeutet, dass für die Umsetzung eine Hardware notwendig ist, die flexibel ist, viele Schnittstellen aufweist und auch die Containertechnologie unterstützt, auf die wir stark setzen. Docker erleichtert nicht nur die Bereitstellung der Software, sondern ermöglicht auch eine zentrale Administration der containerisierten Applikationen auf dem Edge Device. Dies spart Kosten in der Inbetriebnahme und Wartung. Die Konnexion aus der flexiblen Hardware und Containertechnologie ermöglicht einen modularen Aufbau der Analytics-Infrastruktur.
Gewonnene Maschinen- & Anlagendaten können zentral oder dezentral für die Analyse herangezogen werden. Was sind die jeweiligen Vorteile der zwei Ansätze?
Jenke:
Für uns entscheidet hier der Anwendungsfall über die richtige Lösung. Es gibt immer noch Maschinen beziehungsweise Anlagen, für die die Internetverbindung nicht immer garantiert werden kann. Eine reine Cloud-Lösung fällt hier somit raus. Für die kontinuierliche Datenanalyse steht hier, allein schon aus pragmatischer Sicht, der Einsatz des Edge Devices im Mittelpunkt. Anders gestaltet sich die Sachlage, wenn ein Maschinenbauer für seine Anlagen den Service Predictive Maintenance verkauft oder die Maschinen eines Betreibers weltweit an verschiedenen Orten im Einsatz sind, aber zentral überwacht werden. In beiden Fällen kommt der Kunde um die Cloud nicht herum.
Janzen:
Beim Edge Computing liegt der Fokus auf der dezentralen Datenverarbeitung an Rand des Netzwerks, nah an der Maschine mit der Nutzung der Cloud-Funktionalitäten. Dieser Aspekt ist besonders in den Bereichen relevant, wo ergänzend zur Sicherstellung der Systemverfügbarkeit auch kurze Latenzzeit eine zentrale Rolle spielt. Als Beispiel dafür können Echtzeitanalysen aufgeführt werden. Ein weiterer Vorteil der Edge-Technologie ist die Datensicherheit. In Unternehmen mit hohen Datenschutzanforderungen, insbesondere in kritischen Bereichen, präsentiert sich Edge Computing als ein geeigneterer Ansatz. Kritische Daten werden innerhalb des Unternehmens verarbeitet. Für die Cloud spricht, dass weniger IT-Know-how beim Kunden vorausgesetzt wird. Der Pflegeaufwand ist ebenfalls geringer.
Wie ist Ihre Erfahrung: Reagieren Kunden noch immer mit Skepsis auf die Cloud?
Jenke:
Ja, diese Zweifel gibt es immer noch, aber sie werden zurecht weniger.
Janzen:
In diesem Zusammenhang ist es auch relevant zu wissen, wo die Server stehen. Innerhalb der EU gelten die EU-Richtlinien für den Datenschutz - hier weiß der Anwender sehr genau, was mit seinen Daten geschieht.
Wie viele Daten beziehungsweise Datensätze benötigt der Anwender zu Beginn eines Analytics-Projekts?
Jenke:
Idealerweise hat der Kunde den perfekten Datensatz - aber das ist noch nie der Fall gewesen. Deswegen unterteilen wir ein Analytics-Projekt in mehrere Schritte. Anfangs steht die Datenaufnahme. Wenn die Datenbasis noch nicht vorhanden ist, erarbeiten wir diese partnerschaftlich gemeinsam mit unserem Kunden. Die Dauer dafür und die Datenmenge hängt jeweils vom Use Case ab - die Frage ist pauschal nicht zu beantworten.
Wieviel Zeit setzen Sie für ein Projekt an?
Jenke:
Durch unsere Toolbox können Analytics-Projekte oft rasch umgesetzt werden. Das kürzeste Projekt, das wir erfolgreich umgesetzt haben, war in unserer eigenen Produktion und wurde innerhalb von drei Monaten abgeschlossen. Inbegriffen darin ist die Zeit, die man zunächst einplanen muss, um die benötigten Daten aufzunehmen. Es hat sich bewährt, größere Projekte in mehrere Teilprojekte zu unterteilen. Das längste Gesamtprojekt dauert noch an: seit über einem Jahr.
Welche Vorteile bietet Analytics dem Anwender im Vergleich zu anderen Lösungen am Markt?
Jenke:
Unser Ansatz ist kundenbezogen. Prozesse sind individuell. Der Ansatz, dass eine generische Software automatisiert die Analytik vornimmt, ist nicht erfolgreich. Es gibt keine One-Size-Fits-All-Lösung. Unser Ansatz ist maßgeschneidert. Natürlich bedienen wir uns auch aus einer Toolbox, damit wir nicht für jedes Projekt bei null starten. Aber je nach Use Case und Branche ergeben sich individuelle Lösungen.
Weshalb misst Wago dem Edge Computing so eine besondere Bedeutung bei?
Janzen:
Wir sehen in Edge Computing die Möglichkeit, Funktionalitäten einer Cloud direkt an die Maschine in den Schaltschrank zu bringen. Die Weiterleitung großer Datenmengen in die Cloud erweist sich als ressourcenintensiv. Deshalb ist es wichtig, dass die Daten schon im Unternehmen gefiltert und ausgewertet werden. Somit kann sichergestellt werden, dass nur ein Upload von relevanten Daten erfolgt. Außerdem geht der Trend hin zu einer einfachen, weniger zeitintensiven und vor allem ortsunabhängigen Administration. Die Edge-Technologie bietet hier die Möglichkeit, ein smartes Device Management zu erstellen und dies zum Beispiel aus der Cloud heraus zu steuern. Ein weiterer Vorteil ergibt sich in Zusammenhang mit der Docker-Technologie. Mit dem smarten Device Management wird eine Möglichkeit geschaffen ein zentrales Update vorzunehmen, Container an mehrere dockerfähige Geräte zu verteilen, aber auch eine zentrale Versionsverwaltung zu realisieren. Dies steigert die Effizienz, reduziert deutlich den Administrationsauswand und spart damit Kosten.
Wohin geht die Reise: Was sind die nächsten größeren Entwicklungsschritte in Bezug auf Edge?
Janzen:
Mit den Edge-Produkten von Wago hat der Anwender bereits die Möglichkeit neben den Steuerungsaufgaben auch eine performante Datenvorverarbeitung und Datenverarbeitung in der Edge vorzunehmen, nah an der Maschine die Funktionalitäten der Cloud zu nutzen. Wir erweitern ab Dezember die Serie 752 um einen weiteren performanten Edge Computer mit einem i7-Prozessor für deutlich mehr Leistung. Diese Variante ist besonders für komplexe und ressourcenintensive Anwendungen relevant, zum Beispiel Echtzeit-Analysen. Damit haben wir bei Wago ein Grundgerüst geschaffen, mit dem die Bedürfnisse des Kunden abgedeckt werden können.
Cloud oder Edge-Technologie - welche Lösung setzen Sie vermehrt bei Ihren Kunden ein?
Janzen:
Es ist ein Zusammenspiel aus beiden Lösungen. Wir verstehen Edge-Thematik als eine Lösung bestehend aus Hardware und Applikationen, die als Mittelsmann zwischen dem lokalen Netzwerk und der Cloud fundiert. Wago bietet ein umfangreiches Portfolio an, das den gesamten Prozess abbildet: von der Datenerfassung an der Maschine, über Datenvorverarbeitung und -verarbeitung in der Edge bis zur Visualisierung in der Wago Cloud.
Warum sollten Industrieunternehmen auf Wago setzen?
Jenke:
Wir nehmen unser Motto Open & Easy sehr ernst und verfolgen dies konsequent. Wir streben keine proprietäre Lösung an, in die sich der Kunde erst integrieren muss. Wir leben stattdessen den Gedanken der offenen Automatisierung und stellen die Lösung in den Fokus.