Die fortschreitende Digitalisierung scheint unter anderem die Erwartungshaltung der Kunden zu erhöhen. Wie ist Ihr Eindruck?
Markus Wiskirchen:
Die Digitalisierung ist ein rasanter Prozess. Die technologische Entwicklung erreicht auch das Privatleben der Menschen immer schneller und führt dazu, dass Konsumenten eine andere Erwartungshaltung haben. Sie wollen immer „State of the Art“ bedient werden.
Wie meinen Sie das?
Wiskirchen:
Ein ganz einfaches Beispiel: Jeder von uns nutzt heutzutage ein Smartphone mit Apps. Man will immer Zugriff haben, schnell informiert werden und sofort eingreifen können, wenn irgendetwas passiert. Das lässt sich auch auf die Industrie übertragen. Die Endkunden erwarten von den Produkten, dass sie bei Problemen sofort benachrichtigt werden und aus der Ferne eingreifen können. Der App-Gedanke aus dem Consumer-Bereich strahlt immer weiter aus.
Dr. Stefan Pietschmann:
Gleichzeitig müssen gerade Unternehmen im deutschen Mittelstand den Spagat zwischen attraktivem Preis und hoher Qualität meistern: „Made in Germany“ impliziert durchdachte Produkte mit hoher Güte und hoher Lebenszeit. Im Wartungsfall wünscht man zudem sofort Unterstützung durch den Hersteller – schnell, unkompliziert und aus der Ferne.
Wie können Unternehmen mit diesen Erwartungen umgehen? Wie lassen sich daraus vielleicht sogar neue Geschäftsmodelle entwickeln?
Wiskirchen:
Zunächst einmal gilt es, herauszufinden, welche Unternehmensbereiche denn in besonderem Maße von der digitalen Transformation betroffen sind. Wo sind die größten Gaps, die ich als Unternehmen habe? Hier können wir zum Beispiel mit einer digitalen Reifegradanalyse starten oder wir gehen direkt in den Ideation-Prozess, wenn unser Kunde schon erste Vorstellungen hat. Zentral ist hier, dass der Kunde im Zentrum steht.
Pietschmann:
Wenn ich hier gleich mal einhaken darf… Häufig ist den Produktentwicklern gar nicht so klar, welche Erwartungen die Kunden konkret haben. Wer sind denn überhaupt meine Kunden? Wo stehen meine Anlagen? Wie werden sie genutzt? In welchen Konfigurationen? Was haben meine Nutzer für Probleme? Viele Unternehmen sind von ihren Endkunden weit entfernt, weil Händlernetzwerke zwischen ihnen stehen. Die Digitalisierung kann dazu beitragen, diese Entfernung zu minimieren und die Entwicklung von Produkten und Services auf das Nutzungsverhalten und die Bedürfnisse von Endkunden besser abzustimmen.
Wie gehen Sie in der Beratung vor?
Wiskirchen:
Wir schauen uns zunächst die Unternehmensbereiche genau an. Wir untersuchen die Kundenbeziehungen und -bedürfnisse und auch die Touch-Points, die End- oder B2B-Kunden mit dem Unternehmen haben. Damit haben wir Anknüpfungspunkte, um die Customer Journey zu verbessern. Außerdem analysieren wir den Markt.
Was ist dann der nächste Schritt?
Wiskirchen:
Ausgehend von unserem Customer-Centricity-Ansatz kommt als nächstes die Einbeziehung des Kunden. Das heißt, wir werden von unserem Kunden beauftragt, mit seinen Kunden zu sprechen. Und es ist oft erstaunlich, was wir an neuen Erkenntnissen gewinnen können, obwohl vorher schon jahrelanger Kontakt zwischen den Geschäftspartnern bestanden hat.
Den Kern solcher Services bilden immer häufiger smarte Produkte. Was verstehen Sie hierunter?
Pietschmann:
Als smartes Produkt bezeichnen wir jedwedes Produkt, das mit Sensorik ausgestattet wird und mit dem Internet verbunden ist. Damit ist es zunächst „nur“ vernetzt. Im nächsten Schritt werden diese Daten gesammelt und weiterverarbeitet, um einen Mehrwert zu schaffen. Hier wird das vernetzte Produkt zum smarten Produkt.
Welche Mehrwerte sind das?
Pietschmann:
Je nach Ansprechpartner können diese unterschiedlich ausfallen. Produktmanagement und –entwicklung erhalten durch Smart Products ganz neue Einblicke in das Nutzungsverhalten der Endkunden. Sie sehen plötzlich, beispielsweise bei einer Anlage oder einer Maschine, welche Programme, Features oder Konfigurationen genutzt werden. Themen, die man früher durch Studien und Befragungen in Erfahrung gebracht hat, können jetzt beinahe in Echtzeit erfasst werden.
Um solche Services umzusetzen, braucht es aber zunächst die richtigen Daten. Wie gehen Sie hier vor?
Pietschmann:
Ein Großteil der Produkte unserer Kunden – von der Vakuumpumpe am Band bis zum Desinfektionsautomat im Krankenhaus – ist heute bereits durch Software bestimmt und verfügt über die nötigen Daten. Neben der Kernfrage, welche davon benötigt werden, stellt sich auch die Frage, wie man an diese heran kommt.
Und wenn bei Ihrem Kunden noch nicht die passende Sensorik verbaut ist?
Pietschmann:
Wir sind als T-Systems natürlich keine Sensorbauer. Wenn zusätzliche Sensorik benötigt wird, beraten wir unsere Kunden hinsichtlich der technischen Anforderungen. Zudem verfügen wir über ein großes Netzwerk an Sensorikherstellern und können passende Anbieter empfehlen. Meist haben unsere Kunden hier allerdings schon selbst einen sehr guten Überblick.
Jetzt hat man die Daten identifiziert und ein konkretes Geschäftsmodell vor Augen. Wie geht es weiter?
Pietschmann:
Die Infrastruktur hinter Smart Products durchzieht viele Lösungsebenen, vom einzelnen Sensor im Feld bis zur Benutzerschnittstelle. Wichtig ist die Konzeption einer Ende-zu-Ende-Lösung nach einheitlichen Kriterien. Über die Ebene der Sensorik haben wir gerade gesprochen. Im nächsten Schritt müssen die Daten von der Maschine abgerufen werden. Hier müssen verschiedene Programmiermodelle abgewägt werden, insbesondere wenn Echtzeitfähigkeit gefragt ist.
Sie helfen also nicht nur bei der technischen Planung, sondern auch bei der Koordination eines IoT-Projektes?
Pietschmann:
Richtig! Wir haben IoT-Projekte in verschiedensten Konstellationen umgesetzt – je nach Kunde und Situation. Einige Kunden wollen die Gesamtverantwortung übernehmen und Konstruktion, Hardware-, Cloud- und Softwarepartner steuern. Wir beraten dann bei der technischen Lösungsfindung und beschränken uns auf den Software-Teil. Es gibt aber auch Kunden, die uns bitten, die Umsetzung und Steuerung komplett zu übernehmen.
Jetzt haben wir viel über die theoretische Umsetzung gesprochen. Beschreiben Sie doch bitte einmal ein konkretes Projekt, das Sie realisiert haben.
Wiskirchen:
Ein Projekt haben wir mit einem Anbieter von Full-Service-Hygienelösungen umgesetzt, welcher unter anderem Waschräume ausstattet. Die Spender für Seife, Handtücher und so weiter wurden mit Sensorik versehen, um Füllstände anzuzeigen und diese über ein Portal entsprechend überwachen zu können. Ziel war es hier, dass die Spender nicht dann aufgefüllt werden, wenn ein Mitarbeiter turnusmäßig vorbeikommt, sondern nur, wenn es wirklich nötig ist.
Pietschmann:
Interessant an diesem Beispiel ist, dass Unternehmen wie dieses nicht vorrangig an den verbauten Geräten verdienen. Vielmehr geht es darum, Serviceverträge zu erfüllen und Verbrauchsmaterialien zu liefern. Diese sollen genau dann geliefert werden, wenn sie benötigt werden. Was wir mit dem Projekt geschafft haben, ist ein Win-Win für alle Beteiligten. Unser Kunde versteht das Nutzungsverhalten über alle Lokationen, kann Prognosen fahren und weiß daher genau, wann er was liefern muss. Dienstleister füllen nur dann auf, wenn nötig. Dadurch kann Personal effizienter eingesetzt und Serviceverträge optimiert werden.
Gibt es noch ein weiteres Beispiel?
Pietschmann:
Unser Telematik-Service-Portal für Schmitz Cargobull wäre ein weiteres Beispiel. Das Unternehmen baut LKW-Anhänger und Trailer. Ein kleines Feature verdeutlicht hier sehr gut, wie smarte Produkte das Leben einfacher machen können. Wir haben dort auf Basis der im Trailer vorhandenen Sensordaten ein automatisiertes Kühlkettenprotokoll umgesetzt. Statt die Temperatur kontinuierlich händisch zu erfassen, können Logistiker dieses nun einfach mit einem Click ausdrucken, um der Nachweispflicht nachzukommen. Hier wurde mit einfachsten Mitteln vorhandene Sensorik genutzt, um einen echten Endkundenbedarf zu bedienen. Entsprechende Dienste mit echtem Mehrwert sind die beste Grundlage für neue Geschäftsmodelle.