Grüne Wasserstoffwirtschaft „Der digitale Zwilling wird unverzichtbar“

Axel Lorenz, CEO bei Siemens Process Automation: „Die deutsche Industrie spielt eine entscheidende Rolle bei der Förderung von grünem Wasserstoff für die zukünftige Energiewende.“

Bild: Siemens
30.05.2024

Grüner Wasserstoff gewinnt als sauberer Energieträger immer mehr an Bedeutung für die Industrie. Im Interview mit der P&A beleuchtet Axel Lorenz, CEO bei Siemens Process Automation, die wachsende Rolle digitaler Zwillinge in der Wasserstoffproduktion und gibt Einblicke in aktuelle Entwicklungen, Herausforderungen sowie Zukunftsperspektiven.

Wasserstoff wird schon seit Jahren industriell genutzt, doch erst in jüngster Zeit hat er eine größere Aufmerksamkeit bekommen – für manche ist er gar zum Hoffnungsträger für die Industrie geworden. Ist dies gerechtfertigt?

Grüner Wasserstoff gewinnt an Bedeutung als Energieträger und wird als Schlüsselkomponente für die Energiewende angesehen, denn bei seiner Verbrennung entstehen keine Emissionen, und das Hauptnebenprodukt ist Wasser. Durch die Produktion von grünem Wasserstoff nutzen wir einen nachhaltigen, emissionsfreien Prozess. Das Gas bietet zudem eine hohe Energiedichte und ist ein effizienter Energieträger, besonders in Bereichen, in denen Gewicht und Volumen kritische Faktoren sind, wie Luft- und Raumfahrt oder Transportwesen. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass Wasserstoff als Ergänzung zu anderen Energieformen dient und nicht als Ersatz fungiert. Dennoch sehe ich in ihm einen vielversprechenden Hoffnungsträger für die Zukunft.

Wie weit ist die deutsche Industrie in der Entwicklung und Anwendung von grünem Wasserstoff fortgeschritten?

Die deutsche Industrie spielt eine wichtige Rolle bei der Förderung von grünem Wasserstoff. Er wird zur Dekarbonisierung in prozesstechnischen Sektoren wie der Chemieindustrie eingesetzt, aber auch in der Zement- und Stahlproduktion. Zudem dient grüner Wasserstoff als Energiespeicher für überschüssige erneuerbare Energie, etwa von Windkraftanlagen. Obwohl noch hohe Kosten, insbesondere in der Infrastruktur, bestehen, werden durch die Etablierung großer Marktakteure Kostensenkungen erwartet. Dies wird die Technologie vorantreiben und grünen Wasserstoff noch attraktiver machen. Ich sehe hier ein erhebliches Potenzial für zukünftiges lineares Wachstum.

Wann wird grüner Wasserstoff ein fester Bestandteil in Deutschland sein?

Die deutsche Industrie spielt eine entscheidende Rolle bei der Förderung von grünem Wasserstoff für die zukünftige Energiewende. Noch befinden wir uns hier am Anfang der Reise. Aber ich bin mir sicher, dass grüner Wasserstoff bis zum Ende der 2030er-Dekade ein fester Bestandteil in der Industrie sein wird.

Digitale Zwillinge werden zunehmend wichtiger. Wie schätzen sie die aktuelle Situation in Deutschland für die Prozessindustrie ein?

Die Bedeutung digitaler Zwillinge in der deutschen Prozessindustrie nimmt kontinuierlich zu. In einer sich schnell verändernden Industrielandschaft, in der Flexibilität und Anpassungsfähigkeit entscheidend sind, ermöglichen digitale Zwillinge eine effektive Steuerung komplexer Prozesse. Der steigende Fokus auf CO2-Neutralität und Kreislaufwirtschaft erfordert innovative Lösungen für Entscheidungsprozesse und Betriebsführung. Technologische Fortschritte in der Automatisierung und Datenanalyse unterstützen diese Anforderungen und tragen zur Effizienzsteigerung und Dekarbonisierung bei. In diesem Kontext wird der digitale Zwilling zu einem unverzichtbaren Werkzeug für die Optimierung und zukunftsorientierte Ausrichtung der Prozessindustrie.

Und wie sieht es speziell in der Wasserstoffwirtschaft aus?

Der Digitale Zwilling spielt eine zentrale Rolle in der Optimierung und Skalierung der Wasserstoffproduktion. Er verbindet die digitale und physische Welt, um den gesamten Lebenszyklus von Anlagen effizient zu gestalten. Diese Integration kann die Effizienz der Produktion um bis zu 20 Prozent steigern, was eine schnelle Amortisation der Investition in den Digitalen Zwilling ermöglicht. Bei der Entwicklung von grünen Wasserstoffanlagen mit Elektrolyseuren ist der Digitale Zwilling besonders wertvoll. Durch die Simulation von physikalischen und chemischen Prozessen können wir optimierte Betriebsbedingungen ermitteln und fundierte Entscheidungen treffen, sowohl in der Planungs- als auch in der Betriebsphase. Der Digitale Zwilling wird somit eine essenzielle Komponente für die Entwicklung und den Betrieb von grünen Wasserstoffanlagen, vergleichbar mit der Bedeutung des Elektrolyseurs selbst.

Welche Sicherheitsaspekte sind bei der Nutzung von digitalen Zwillingen in kritischen Infrastrukturen wie Wasserstoffanlagen zu beachten?

Die Nutzung digitaler Zwillinge in kritischen Infrastrukturen wie Wasserstoffanlagen erfordert eine sorgfältige Berücksichtigung von Prozesssicherheit und Cybersecurity. Für die Prozesssicherheit sind zertifizierte Technologien und integrierte Sicherheitsmechanismen unerlässlich. Anlagenbetreiber sollten hierfür den Empfehlungen des internationalen Standards IEC 61511 folgen, der die funktionale Sicherheit sicherheitstechnischer Systeme umfasst. Beim Thema Cybersecurity empfehlen wir ein mehrschichtiges Sicherheitskonzept gemäß der Norm 62443, das Netzwerksicherheit, Systemintegrität und physischen Zugangsschutz umfasst. Ein effektiver Schutz vor unberechtigtem externen Zugriff ist entscheidend, wobei regelmäßige Betriebssystemupdates und Sicherheitsüberprüfungen erforderlich sind, um den aktuellen Sicherheitsstandards gerecht zu werden. Wegen der Notwendigkeit des Datenaustauschs dürfen kritische Anlagen nicht vollständig vom Netzwerk isoliert werden. Eine Balance zwischen Sicherheit und Konnektivität ist daher erforderlich. Zusätzlich sollten regelmäßige Netzwerküberprüfungen durchgeführt werden, um ungewöhnliche Datenzugriffe frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.

Wie wichtig ist die Standardisierung von Daten und die nahtlose Interoperabilität verschiedener Systeme für den erfolgreichen Aufbau und die kontinuierliche Instandhaltung digitaler Zwillinge?

Die Standardisierung von Daten und die Interoperabilität verschiedener Systeme sind für digitale Zwillinge entscheidend. Ohne vergleichbare Datenpunkte sind effektive Analysen und Optimierungen kaum möglich. Im Bereich der Wasserstofftechnologie, insbesondere der Elektrolyse, bieten sich gute Voraussetzungen für die Standardisierung, da sich die Anlagentechnik ähnelt. Eine neue Objektorientierung ermöglicht es, technologische Objekte ganzheitlich darzustellen, was den Vergleich und die Analyse erleichtert. Dies bietet Bedien- und Servicepersonal eine klare Übersicht und erleichtert die Interoperabilität zwischen verschiedenen Systemen. Dies ist entscheidend für die Kopplung digitaler Zwillinge und den Vergleich von Anlagen.

Welche Herausforderungen ergeben sich bei der Sicherstellung einer nachhaltigen Stromversorgung für die Produktion von grünem Wasserstoff und wie kann ein digitaler Zwilling dabei unterstützen?

Kein grüner Wasserstoff ohne grünen Strom. Aktuell steht uns dieser aber nicht so ausreichend zur Verfügung, wie wir es von der konventionellen Stromerzeugung gewohnt sind. Hier stehen wir vor verschiedenen Entscheidungen, wie beispielsweise der Frage, woher wir den benötigten Ökostrom beziehen – und zu welchem Preis? Alternativ bleibt nur das Herunterfahren der Produktion. Hier kommt der digitale Zwilling ins Spiel, der hilft, Produktionsgrenzen zu identifizieren. Darüber hinaus ist die Simulation des Stromnetzes entscheidend. Wir müssen wissen, welche Möglichkeiten zur Strombeschaffung bestehen und diese Informationen systematisch dokumentieren. Nur so kann nachgewiesen werden, dass der produzierte Wasserstoff tatsächlich mit grünem Strom hergestellt wurde. Diese Systeme müssen miteinander verbunden werden, um ein nahtloses Gesamtsystem zu gewährleisten.

Welche Zukunftsaussichten ergeben sich durch die fortschreitende Entwicklung von digitalen Zwillingen für die Wasserstoffindustrie?

Die fortschreitende Entwicklung digitaler Zwillinge bietet der Wasserstoffindustrie vielversprechende Zukunftsaussichten. Angesichts steigender Energiekosten und des wachsenden Drucks zur CO2-Neutralität wird Wasserstoff als Schlüsselkomponente für die Energiewende immer wichtiger. Die Optimierung der Wasserstoffproduktion durch Prozesssimulation und -steuerung ermöglicht eine effiziente und kostengünstige Produktion. Unsere Smart-Grid-Lösungen in Verbindung mit digitalen Zwillingen unterstützen diese Effizienzbemühungen. Zukünftig wird die Integration von Künstlicher Intelligenz den Anlagenbetrieb weiter verbessern und sicherer gestalten. Der digitale Zwilling wird eine zentrale Rolle bei der internationalen Zusammenarbeit, der Bildung strategischer Partnerschaften und der Schaffung von Ökosystemen spielen. Die gemeinsame Entwicklung und Skalierung innovativer Technologien sind entscheidend, um die Herausforderungen der Energiewende erfolgreich zu bewältigen.

Wie unterstützt Siemens den Hochlauf der Wasserstoffproduktion entlang der gesamten Wertschöpfungskette?

Wir tragen maßgeblich zur Steigerung der Wasserstoffproduktion bei, indem wir spezialisierte Lösungen und Dienstleistungen anbieten, die den gesamten Produktionsprozess abdecken. Von der Prozessautomatisierung für die Herstellung von grünem Wasserstoff über die Integration von Smart-Grid-Lösungen und Wasseraufbereitung bis hin zur Optimierung und Verteilung grüner Energie bieten wir ein umfassendes Portfolio. Unsere Expertise erstreckt sich auch auf die Entwicklung nachhaltiger Kraftstoffe und die Unterstützung des gesamten Ökosystems durch die Integration externer Standards.

Inwiefern unterscheidet sich Siemens von seinen Mitbewerbern?

Siemens hebt sich durch seine umfangreiche Erfahrung und erfolgreiche Umsetzung von Wasserstoffprojekten deutlich von Mitbewerbern ab. Unsere langjährige Zusammenarbeit mit Branchenführern und die Beteiligung an wegweisenden Wasserstoffprojekten, insbesondere im Stahlsektor, unterstreichen unsere Führungsposition. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist unsere fortschrittliche Technologie, wie digitale Zwillinge und Prozessleittechnik, die eine nahtlose Integration und Optimierung unserer Lösungen ermöglicht. Wir bieten ein umfassendes Portfolio, das speziell auf die Anforderungen der Wasserstoffwirtschaft zugeschnitten ist.

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