A&D:
Welchen Stellenwert hat Industrie 4.0 für Kuka?
Dr. Schlögel:
Industrie 4.0 bedeutet für Kuka viele neue Möglichkeiten, die wir angehen können, um die digitale und die Automatisierungswelt näher zusammenzubringen. Wir sehen darin auch Möglichkeiten, neue Geschäftsmodelle zu etablieren. Manche sagen, der zukünftige Wettbewerb findet nicht zwischen Produkten, sondern zwischen Geschäftsmodellen statt. Dafür muss man entsprechend vorbereitet sein. Industrie 4.0 bedeutet für uns auch, einen Mehrwert aus unseren mechatronischen Produkten zu erzeugen, angereichert mit künstlicher Intelligenz und neuen Technologien. Wir erhöhen damit nicht nur die Einsatzbreite dieser Maschinen, sondern auch die Nachhaltigkeit für den Kunden.
Kuka hat mit Ihnen einen Informatiker in das Spitzenmanagement gesetzt. Liegt der Schlüssel zum Erfolg darin, Mechanik-Kompetenz mit den Möglichkeiten der IT zu verknüpfen?
Es gibt ja dieses Sprichwort „Software eats the world“. Das ist in den Maschinensteuerungen und auch vielen Haushaltsgeräten zu beobachten. Diese ganzen Schalter, die man von früher kennt, sind dem Touchscreen gewichen, alles Software-basiert. Die Software-Kompetenz wird wichtiger; das bedeutet aber nicht, dass die Mechatronik-Kompetenz unbedeutend ist. Woran es oftmals mangelt, ist, die Potenziale zu erkennen. Das fällt einem Informatiker leichter. Er kann eine Aussage darüber treffen, ob es sich nur um einen Hype handelt, der wieder vorbeigeht, oder ob man mehr daraus schöpfen kann.
Gilt auch für Roboter der Trend: die Hardware wird austauschbarer, die Alleinstellungsmerkmale liegen zunehmend in der Software?
Lassen Sie es mich anders formulieren: Es gibt im Markt Produkte, die haben eine ausgezeichnete Software, sind aber von der mechatronischen Auslegung und Qualität sehr schlecht. Die haben keinen Erfolg. Ich kann mit der Software noch so weit vorne sein - wenn die Basis fehlt, damit es hinterher auch funktioniert, kann ich kein vernünftiges Gesamtsystem hinlegen. Ich muss mir überlegen, wo Software die leichtere Lösung darstellt und wo ich trotz allem noch Mechatronik brauche. Deswegen heißt es ja auch IoT, Internet of Things. Die Dinge sind keine Software, die müssen ja physisch da sein. Es wäre ein Fehler, aus Kuka ein reines Software-Unternehmen zu machen und die Mechatronik-Kompetenz aufzugeben. Außerdem wären wir dann sehr vergleichbar zu den etablierten Software-Herstellern. Uns zeichnet aus, dass wir eine Maschine, Produktion und Produktionsvernetzung verstehen und nun auch mit Software versehen, die reine Software-Unternehmen nicht programmieren könnten.
Beobachtet man aber all Ihre jüngsten Aktivitäten mit Gründung des Tochterunternehmens connyun, Beteiligung an Device Insight oder der Kooperation mit Vinci Energies, so bekommt man schon den Eindruck, Kuka wandelt sich hin zu einem IIoT-Lösungsanbieter, der auch noch Roboter, Anlagen und Logistik-Lösungen im Portfolio hat ...
Es ist ein zusätzliches Geschäftsfeld! Die Roboter-basierte Automation ist ein wahnsinniges Wachstumsfeld, in dem wir viel Potenzial sehen. Gleichzeitig bewegen wir uns verstärkt in die IoT-Welt hinein. Und die vielen Kollaborationen und Kooperationen, die wir durchführen, sind eine zwingende Notwendigkeit, denn hier sind zunehmend Geschwindigkeit und Time-to-Market gefragt. Software-Unternehmen schließen sich deshalb schon seit Jahrzehnten in Allianzen zusammen. Genau hier müssen viele Maschinenbauer noch lernen und weg kommen von der typischen deutschen Denke, alles selbst machen zu wollen. So werden wir als Industrie zu langsam sein gegenüber den Leuten, die anders denken. Deswegen proklamiere ich sehr stark diese Ökosysteme zwischen Maschinenbauern, die Co-Innovation, zusammen eine bessere Lösung zu bauen. Damit hat jeder Partner 20 Prozent von mehr, als 100 Prozent von wenig.
Braucht ein Hightech-Industrieunternehmen wie Kuka auch "eingekaufte" IT-Kompetenz, weil das Verständnis zwischen Maschinen- und IT-Welt noch immer zu weit auseinander liegt?
Absolut! Das sehen Sie auch daran, wie wir uns aufgestellt haben. Einerseits haben wir die Beteiligung an connyun und Device Insight, die als reine Software-Unternehmen das Software Mindset haben und anders ticken und arbeiten. Andererseits haben wir die Kuka-Einheiten, den Maschinenbauer, den Anlagenbauer, den Integrator. Den Austausch zwischen Software und Maschinenbau wollen wir ganz gezielt fördern. Dazu sind Impulse von außen sehr wertvoll. Damit beide Welten sich verstehen, braucht man eine Übersetzungsschicht. Das ist es, was wir mit dem Industrie-4.0-Accelerator versuchen. Dafür haben wir uns Mitarbeiter von Kuka, aber auch explizit von außen gesucht. Der Druck wird zunehmen, auch wenn es allen im Maschinenbau gerade sehr gut geht. Die Geschwindigkeit wird höllisch werden. Manche sagen, es wird nie wieder so langsam sein, wie es momentan ist. Darauf muss man sich vorbereiten.
Erläutern Sie uns kurz die unterschiedlichen Zielsetzungen mit connyun, Device Insight, Vinci Energies und Infosys?
Wir haben als ersten Punkt die connyun gegründet. Das ist ein Team in Karlsruhe mit Big-Data- und Cloud-Experten sowie Data Scientists. Die connyun ist angetreten, um eine IoT-Plattform aus Open-Source-Komponenten zu bauen, aber spezialisiert ist für den Anwendungsfall Maschinenbau und Produktion. Das heißt, die bauen die Plattform, aber auch Applikationen für einen Maschinenbauer oder Produktionsunternehmen - beispielsweise Remote Service, Condition Monitoring, Taktzeitoptimierung aus horizontaler Sicht. Die connyun verwendet heute schon Technologie-Teile von Device Insight, die bereits ein langjähriger Partner von uns sind. Das Unternehmen ist schon zehn Jahre am Markt, realisierte rund eine Million Connected Devices und bringt sehr viel Erfahrung aus verschiedenen Bereichen mit; nicht zuletzt, wie man IoT-Geschäftsmodelle baut, was letztendlich ein Consulting ist, das wir dem Kunden ebenfalls anbieten werden. Das connyun-Team kann ich aber nicht in hunderte von Kundenprojekten rausschicken, dann komme ich mit meinem Produkt keinen Millimeter mehr vorwärts. Deshalb die Zusammenarbeit mit Infosys oder Vinci Energies, die das in die Breite tragen können. Vinci Energies kommt auch aus dem Automatisierungsumfeld und spielt damit die Rolle eines zusätzlichen Lösungsanbieters. Ich denke nicht, dass die ganzen Lösungen, die wir anbieten, alle von connyun oder Kuka kommen werden. Die werden von unseren Eco-Software-Partnern kommen. Aus Kundensicht gedacht bieten wir dadurch ein breites Angebot, aus dem der Kunde auswählen kann. Und bei der Kooperation mit SAP geht es darum, die SAP-Businesssysteme an die IoT-Welt anzukoppeln. Dies wird aus meiner Sicht zunehmend wichtig.
Industrieunternehmen kaufen und „schlucken“ oft kleine IT-Firmen, die dann nicht mehr selbst agieren können. Kuka geht mit connyun und seinen Beteiligungen aber bewusst den kooperativen Weg?
connyun soll selbstständig am Markt agieren und auch Lösungen für Maschinenbauer anbieten, die nicht typische Kunden von Kuka sind. Ich bin auch ein großer Freund von gemeinsamen Ecosystemen mit unseren Partnern, weil ich glaube, dass sie die Zukunft sind. Allerdings müssen Unternehmen offen für die Zusammenarbeit und für einen gemeinschaftlichen Gewinn sein. Die Aufgabe ist es, ein Ecosystem und kein Egosystem zu bauen. Viele bauen solche Egosysteme, der Mutterkonzern erhält 90, die Partner vielleicht drei bis fünf Prozent vom Gewinn. So funktioniert es aber nicht, der Erfolg wird ausbleiben. Man muss IoT-Lösungen auf Augenhöhe aufbauen.
Zum Verständnis: Die digitalen Services Kuka Connect für Ihre Roboter basieren auf der connyun-Plattform, diese setzt wiederum auf einer Infrastruktur wie Azure auf?
Richtig. Unterhalb von Kuka Connect liegt connyun als Plattform mit entsprechenden Bausteinen wie Remote Service und Condition Monitoring. Die Big Data und Analytics Technologien von connyun setzen auf einem Infrastruktur-Service von Amazon oder Microsoft Azure auf. So geht connyun auch zu anderen Maschinenbauern an den Markt: Hersteller X kann sein X-Connect für seine Maschinen als eigene Lösung anbieten. connyun ist eine „unsichtbare“ Plattform, die das Lösungsportfolio des Maschinenbauers erweitert. Für Integratoren oder Produktionsausrüster bieten wir natürlich ebenso Lösungen an.
Sie bieten bei connyun auch ein sogenanntes Starter-Kit an. Wollen Sie Ihre Kunden damit den Einstieg in Industrie 4.0 erleichtern?
Das ist die Intention des Starter-Kits. Man muss irgendwo klein anfangen, am besten nicht mit einem Drei-Jahre-Projekt über Multimillionen, sondern übersichtlich und handlich. Vielleicht mit einem Team von fünf bis sechs Personen und mit drei, vier Maschinen, die wir verbinden, um etwaige Probleme und Möglichkeiten zu sehen. Der Kunde kann dadurch leicht Condition Monitoring, Remote Service und Dashboards über KPIs testen. Das stellt schon eine eigene kleine Smart Machine dar.
Beinhaltet das Starter-Kit auch viel Beratung, welche neuen Möglichkeiten Kunden durch die Digitalisierung der Produkte erhalten?
Der Kunde hat eigentlich schon ein gutes Verständnis für seine Maschine und wofür er die Digitalisierung nutzen will. Die Idee beim Starter-Kit ist also durchaus, dass Kunden auch ohne viel Beratung agieren können. Wir haben aber gelernt, das Feld in Richtung neue Geschäftsmodelle stärken zu müssen, damit die Implementierung der Digitalisierung bei den Kunden schneller voranschreitet. Noch 2018 wollen wir für Kunden Workshops anbieten, um mit ihm seine Pain Points und diejenigen seiner Kunden zu erarbeiten. Mit diesem Vorgehen können wir die Kunden schneller zu Piloten tragen.
Jetzt ist connyun noch sehr neu am Markt. Worin liegt der Mehrwert gegenüber etablierten Konkurrenz-Lösungen?
Man muss die Konkurrenz-Lösungen dazu erst einmal segmentieren. Zum einen gibt es die von reinen IT-Unternehmen. Ihnen gegenüber hat connyun den Vorteil, als eine spezialisierte Plattform, zugeschnitten auf den Bedarf von Maschinenbauern oder einer Produktion, aufgebaut zu sein. Auf der anderen Seite haben die großen bekannten Industrieunternehmen natürlich ein umfassendes IIoT-Lösungsangebot und Know-how. Kunden, die zu uns kommen, sagen aber sehr oft: „Ihr seid ähnlich groß, mit euch kann ich auf Augenhöhe sprechen“. Dieses Argument ist sehr wichtig für kleine Unternehmen und Mittelständler. Zudem bieten wir eine Lernpartnerschaft an und sagen offen, dass auch wir die digitale Fabrik noch nicht 100-prozentig durchdrungen haben und weiter dazu lernen können. Wir haben auch den Vorteil, unseren Kunden den Einsatz der connyun-Plattform in der Praxis bei Kuka vor Ort zeigen zu können, wie hier schrittweise und skalierbar Fortschritte erzielt werden. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in Kooperation, Offenheit und Abbau von Berührungsängsten.