Fachkräftemangel meistern, gestörte Lieferketten umgehen, immer mehr Compliance-Anforderungen berücksichtigen: Die To-do-Liste der deutschen Industrie ist auch 2022 lang. Parallel müssen Unternehmen ihre Digitalisierung weiter vorantreiben: Aus der eigenen Projekterfahrung und zahlreichen Studien kristallisieren sich für den Dienstleistungs- und Lösungsanbieter ECS Engineering Consulting & Solutions sieben Handlungsfelder heraus.
1. Interoperabilität der Systeme
Das Thema ist zwar nicht brandneu, jedoch weiterhin hoch aktuell. Denn insgesamt sind die Unternehmen bei der Digitalisierung einzelner Geschäfts- oder Unternehmensbereiche in den letzten Jahren gut vorangekommen. Aber eine echte Transformation gelingt nur mit nahtlosen End-to-End-Prozessen und mit der Koppelung der relevanten Systeme. Erst dann ist endlich Schluss mit zeitintensivem Abtippen, Excel-Jonglage oder manuellem Exportieren-Importieren.
Die Bedeutung der Interoperabilität unterstreicht auch ein Report des VDMA. Umsetzen lässt sich ein nahtloser Datenstrom aber nur mit Hilfe offener Standards und mit flexiblen Integrationsplattformen, die auch mit Sensor- und Maschinendaten umgehen können.
2. Bereitstellung relevanter Daten und Informationen
Weil erst aus der Interpretation und Nutzung der Daten im täglichen Arbeitsablauf Mehrwert entsteht, gehört laut ECS auch die Versorgung der Mitarbeitenden mit relevanten Daten und Informationen ganz oben auf die Agenda. Eine Herkulesaufgabe, denn laut einer IDC-Studie verzeichnet fast jedes dritte deutsche Unternehmen ein Datenwachstum zwischen 31 und 60 Prozent pro Jahr! Diese riesigen Datenmengen sind ohne Softwareunterstützung kaum zu bewältigen, bestätigt auch das Marktforschungsunternehmen Trovarit in seinem jüngsten Marktspiegel.
Softwarelösungen, die sämtliche Daten der Erzeugnisse über den ganzen Lebenszyklus verwalten, helfen den Informationsfluss zu optimieren und Entwicklungsressourcen optimal einzusetzen: zum Beispiel, wenn es darum geht, jeden Mitarbeiter ohne wiederholte Rückfragen mit den benötigten, aktuellen Produktinformationen zu versorgen. Wie die Experten von ECS betonen, geht es jedoch nicht darum, nach dem Gießkannen-Prinzip alle Daten zugänglich zu machen, sondern diese so zu filtern und zu verdichten, dass die Mitarbeitenden ihre Aufgaben schneller erledigen und bessere Entscheidungen treffen können.
3. Digitale Zwillinge
Fortschritte sind auch beim Thema Digitale Zwillinge sowie bei damit verbundenen zusätzlichen Geschäftsmodellen und -möglichkeiten zu verzeichnen. Eine Studie von Fraunhofer und dem Beratungsunternehmen msg hat herausgefunden, dass 85 Prozent der Unternehmen bereits Konzepte für den Digitalen Zwilling entwickelt haben.
Ein weiterer Indikator, dass das Thema an Fahrt gewinnt: Die Mitgliederzahl der Industrial Digital Twin Association (IDTA) hat sich zwischen Gründung im März und dem Herbst 2021 fast verdoppelt. In 2022 und den Folgejahren wird sich anhand von Machbarkeitsstudien und Pilotprojekten zeigen, wie gut sich diese Konzepte in der Realität bewähren.
4. Nachhaltige Materialverwaltung
Ein Forsa-Bericht zeigt: 70 Prozent der Mittelständler sehen in nachhaltigem Handeln einen wesentlichen Faktor für ihre Zukunftsfähigkeit. Dazu gehört auch ein verantwortliches Rohstoff- und Lieferantenmanagement. Das deutsche Lieferkettengesetz gibt hier einen ersten Rahmen vor, während Brüssel bereits an einer schärferen, EU-weiten Regelung arbeitet.
Das Konzept des PLM hilft Unternehmen, in Produkten enthaltene sogenannte Substances of Concern oder nicht nachhaltige Komponenten auslaufen zu lassen und durch innovative und umweltfreundliche Bestandteile zu ersetzen. Das PLM-System bekommt damit eine weitere, zentrale Rolle.
5. Cloud-PLM
Immer mehr Unternehmen erkennen, wie entscheidend die Zusammenarbeit über Fachbereiche und Firmengrenzen hinweg für sie ist. Cloud-Technologien und -Anwendungen sind daher auf dem Vormarsch – auch im Bereich PLM. In einer Studie des Analystenhauses CIMdata sagten 66 Prozent der befragten PLM-Anwender, sie würden derzeit über einen Wechsel in die Cloud nachdenken.
Dabei plant nur eine Minderheit von ihnen einen mehr oder weniger integrierten Parallelbetrieb on-premises und in der Cloud. Eine deutliche Mehrheit will komplett auf die Cloud umsteigen – entweder schrittweise oder sogar direkt in einem Zug. Welcher Weg hier der richtige ist, ist hoch individuell und sollte sorgfältig überlegt und geplant sein.
6. Roadmap für IIoT und IoT
Das Internet der Dinge legt auch 2022 weiter an Tempo zu. Eine aktuelle Umfrage des britischen Satellitennetzbetreibers Inmarsat prophezeit, dass in den kommenden drei Jahren die Investitionen in das Internet der Dinge (IoT) die Ausgaben für Cloud- und andere Transformations-Technologien übersteigen werden.
Für alle Unternehmen, die sich bisher noch nicht mit IoT oder dem Industriellen Internet der Dinge (IIoT) befassen, heißt das: Es ist höchste Zeit, eine eigene Roadmap aufzustellen.
7. KI: Einsatz in Produktentwicklung und Datenaufbereitung
Immer mehr produzierende Unternehmen in Deutschland nutzen Künstliche Intelligenz (KI) in der Entwicklung. Das belegt auch eine neue Untersuchung des VDI Zentrum Ressourceneffizienz: Knapp 39 Prozent der befragten Unternehmen bestätigten, KI bereits für die Prozessoptimierung in der Produktentwicklung zu nutzen; ein gutes Drittel setzt solche Technologien für die Optimierung ihrer Erzeugnisse ein.
Nach Meinung der ECS-Experten werde KI auch eine wesentliche Rolle dabei spielen, die Menge an Daten beherrschbar zu machen und sie sinnvoll einzusetzen. Eine der wesentlichen Hürden beim KI-Einsatz, so die Studie, ist allerdings noch die fehlende Fachkenntnis. Deshalb greifen 60 Prozent der befragten Betriebe bei der Implementierung von KI-Anwendungen auf externe Unterstützung zurück.
Situation und digitale Reife entscheiden
Für eine weitere Digitalisierung in der Industrie bestehen also jede Menge Ansatzpunkte. Mit Blick auf die Frage, wie Industrieunternehmen diese Aufgabe am besten angehen, sehen die Experten von ECS je nach der aktuellen Unternehmenssituation und digitalen Reife ganz unterschiedliche Prioritäten.
Eine unternehmensspezifische Standortbestimmung und das Festlegen strategischer Ziele seien daher stets die ersten Schritte.