Christoph Ranze, Encoway Digitale Innovation ohne Menschen? Geht nicht!

Christoph Ranze ist Gründer und Geschäftsführer bei encoway, einem auf CPQ-Lösungen spezialisierten Softwarehaus. Gleichzeitig führt er das Digitalgeschäft der Lenze-Gruppe, zu dem Logicline und das Digitalisierungslabor DOCK ONE gehören. Als Initiator des Digital Hub Industry Bremen gilt sein Interesse dem gezielten Innovationstransfer. Als Vorstand des regionalen Branchenverbands Bremen Digitalmedia widmet er sich der Nachwuchsförderung.

Bild: Encoway
12.11.2021

Ein massiver Digitalisierungsschub in Kommunikation, Kollaboration und der gesamten Wirtschaft auf der einen – ein Mangel an Digitalisierung in Schule und Ausbildung auf der anderen Seite. Das Brennglas der Corona-Pandemie lässt 
erahnen, vor welch immensen Herausforderungen wir künftig 
stehen. Soll die digitale Transformation gelingen, dann wird der Fachkräftemangel zur zentralen Frage.

Digitale Technologien sind vielfach der Schlüssel für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und die Transformation ganzer Wirtschaftszweige. KI, Blockchain, Virtual / Augmented Reality oder IIoT – der laufende Zustrom an neuartigen Methoden und die nahezu unbegrenzte Verfügbarkeit von Rechenleistung und Speicherplatz eröffnen beinahe täglich neue Anwendungsfelder. Deren wirtschaftliche Umsetzung eröffnet denjenigen wachsenden Wohlstand und Prosperität, die den sich bietenden Chancenraum geschickt nutzen. Gelegentlich schauen wir Mitteleuropäer deshalb wehmütig nach Kalifornien, wo eine Community technikbegeisterter Entrepreneure mit visionärer Kreativität und konsequenter Umsetzung der digitalen Welt ihren Plattformökonomie-Stempel aufdrückt.

Dabei sind die Technologie- und Geschäftsmodell-Entwicklung nicht die größten Herausforderungen im Wettlauf mit den Treibern der digitalen Transformation. Es ist in unserem Wirtschaftsraum vor allem ein Mangel an Fachkräften, der eine forcierte Nutzung der sich bietenden Chancen verhindert.

Ein Blick auf die Arbeitsmarktstatistiken verdeutlicht das Problem. Der Branchenverband BITKOM weist für 2019 etwa 124.000 offene Stellen für IT-Expert:innen aus. Ein Plus von 50 Prozent zum Vorjahr 2018, als 82.000 Stellen unbesetzt waren. Zwar hat sich diese Zahl im Corona-Jahr 2020 wieder auf 84.000 offene Stellen nivelliert, der Megatrend der Digitalisierung wird aber gerade wegen Corona weiter an Dynamik gewinnen – und hievt damit das drängendste Problem der deutschen Wirtschaft auf die nächste Stufe.

Der Anstieg der Nachfrage ist auf zwei wesentliche Effekte zurück zu führen. Getrieben durch das Marktwachstum schaffen vor allem die Software- und Beratungsunternehmen massiv neue Stellen. Aber auch die Anwenderseite, die kleinen und großen Unternehmen der unterschiedlichsten Branchen und auch die öffentlichen Verwaltungen, ist auf der Suche nach gut ausgebildeten IT-Fachkräften.

Und noch ein anderer Aspekt wird die Lage am IT-Arbeitsmarkt in naher Zukunft weiter verschärfen. Noch scheiden in der Softwareindustrie als relativ junge Disziplin nur wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Altersgrenze aus dem aktiven Berufsleben aus. Wenn in den kommenden 10 Jahren die ersten größeren Kohorten von Softwareentwickler:innen in den wohlverdienten Ruhestand gehen, dann wird der Bedarf an digitalen Talenten in der IT-Industrie zwangsläufig weiter zunehmen. Die Verrentung wird damit in absehbarer Zeit zu einem ernst zu nehmen Problem der Branche.

Die Zahl der Absolvent:innen hält mit dieser Nachfrage längst nicht mehr Schritt. In 2019 haben etwa 10.000 Auszubildende und 29.000 Studierende einen einschlägigen Abschluss er-
langt. Zwar steigt die Zahl der Abschlüsse der relevanten Studien- und Berufsausbildungsgänge (gemittelt um etwa 6 Prozent pro Jahr) – doch nicht schnell genug.

Neben der offensichtlichen Frage, wie mehr Studienplätze und Ausbildungsstellen geschaffen werden können, ist eine Erweiterung der Zielgruppen die Schlüsselaufgabe. Die Steigerung des Frauenanteils bleibt dabei eine dauerhaft zu lösenden Herausforderung. Daneben muss es zum Beispiel gelingen, gezielt mehr Kandidat:innen mit mittleren Bildungsabschlüssen in die berufliche Ausbildung der Digital-Branchen zu integrieren und anschließend auf gutem Facharbeiter-Niveau in den Betrieben zu beschäftigen.

Die Aktivierung dieser Potentiale ist eine Aufgabe, die nur im Schulterschluss aller Beteiligten in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft lösbar ist. Und es fängt mit einer frühen Verankerung digitaler und digitalisierter Bildung in der Schule an.

In diesem Sinne ist eine gezielte Bildungs- und Wissenschaftspolitik die zukünftig wohl wirksamste Wirtschaftspolitik.

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