Das Thema Industrie 4.0 wird begleitet von eindrucksvollen Schlagwörtern und Abkürzungen wie Digital Twin, Big Data, Machine Learning (ML), Artificial Intelligence (AI) oder Industrial Internet of Things (IIoT). Selbst Experten haben ein sehr individuelles Verständnis zu diesen Begriffen – es ist also völlig legitim, nicht alles im Detail einordnen zu können.
Speziell das Thema Industrie 4.0 liegt vielen Kritikern schwer im Magen. Die Stufen Industrie 1.0 (Mechanisierung mittels Wasser- und Dampfkraft), Industrie 2.0 (Massenfertigung mittels Fließband) und Industrie 3.0 (Einsatz von Elektronik und IT) wurden jeweils im Nachhinein definiert. Umgekehrt ist es bei Industrie 4.0, wie das Zitat von Rainer Drath, Professor für Mechatronische Systementwicklung an der Hochschule Pforzheim, wohl am besten beschreibt: „Bemerkenswert ist die Tatsache, dass erstmals eine industrielle Revolution ausgerufen wird, noch bevor sie stattgefunden hat.“
Wir sind also am Beginn eines großen Umbruchs, einer multiplen Wegkreuzung, begleitet von der eingangs erwähnten Fülle an neuen Begrifflichkeiten. Erst in der historischen Nachbetrachtung wird sich zeigen, wie schnell und wohin sich die industrielle Produktion bewegt haben wird.
Nicht Industrie 4.0 selbst ist das Ziel
Doch zurück zur Praxis der Gegenwart: Hier den Überblick zu behalten und bei der Digitalisierung von Industrieanlagen den richtigen Weg einzuschlagen, ist für Entscheider definitiv nicht einfach. Eine ratsame Vorgehensweise ist, nicht diese globalen Schlagwörter selbst als zukünftiges Unternehmensziel festzulegen, sondern zu definieren, wie im Unternehmen gearbeitet werden oder wie die Produktion in Zukunft ablaufen soll.
Erfolgversprechende Aufgabenstellungen für die künftige Ausrichtung sind beispielsweise, flexibel auf kleine Losgrößen in der Produktion reagieren zu können oder Instandhaltung und Produktion aufeinander abzustimmen. Die nur wenig aussagekräftige Anforderung, die Produktionsanlage auf Industrie-4.0-Level zu bringen, ist als Unternehmensziel weit verbreitet, führt aber zu Ratlosigkeit über die nächsten Aufgaben.
Drei Schritte in die richtige Richtung
Um eine automatisierte Prozessanlage zukunftsfähig zu optimieren, empfehlen sich Maßnahmen, die bereits in der Praxis bewährt sind, aber in ihrem Zusammenspiel noch selten umfassend verwendet werden:
Intelligentes 3D-Abbild der Anlage: Ein 3D-Scanning der Anlage mit allen Rohrleitungen, aufgestellten Apparaten und Anlagenteilen bietet die Grundlage für Instandhaltung und spätere Umbauten. Die Einzelteile der Anlage werden mit einer objektorientierten Datenbank verwaltet und können dann auch räumlich am Computer oder mittels VR-Brille dargestellt werden.
Vernetzung der Daten aus Produktion, Logistik und Firmensteuerung: Hier kommen die Aspekte von Industrie 4.0 voll zum Tragen: sinnvolle horizontale und vertikale Datenvernetzung, um im besten Fall die komplette Wertschöpfungskette und Produktlebenszyklus von Zulieferern und Dienstleistern über die Produktion bis hin zu den zentralen Kundenschnittstellen zu optimieren. Letztendlich kommunizieren dann SPS und ERP.
Datenanalyse: Mittels Big-Data-Analysen werden Daten aus dem Verbund durchforstet. In Zusammenarbeit mit Prozess-Know-how-Trägern können Data Scientists die Performance optimieren, Fehlerursachen finden, Schäden vorhersagen und die Instandhaltung verbessern.
In der Praxis stellen sich zwei Hürden in diesen Weg. Einerseits ist bei relativ hohen Kosten der Nutzen derartiger Maßnahmen schwer abzuschätzen, da sich das volle Optimierungspotenzial erst am Ende des Weges offenbart. Und andererseits – und das ist die emotional schwierigere Stufe – bedarf es einer interdisziplinären Zusammenarbeit von Prozesstechnologen, Ingenieuren, Instandhaltern, Automatisierungsexperten und Software-Programmierern, um die Schätze zu heben.
Das bedeutet Veränderung für viele Arbeitsstellen und ist damit auch eine kommunikative Herausforderung. Auch wenn eine Revolution in einem Schwung alles auf den Kopf stellen soll – wir empfehlen, mit Testprojekten zu beginnen, um Schwierigkeiten, Aufwand und Nutzen auszuloten.