Zahlte man Anfang 2015 noch über 50 US-Dollar pro Barrel (Brent), so sind es aktuell nur noch rund 30 US-Dollar. Das hat mehrere Gründe: Das Embargo gegen Iran wurde im Januar aufgehoben. Iran wird nun auch wieder vermehrt Erdöl auf den Markt bringen. Die OPEC, die bis 2012 zuverlässig die Quoten drosselte, sobald der Ölpreis fiel, spielt diesmal nicht mehr mit. Sie hat ihre Quoten nicht gesenkt und plant das in nächster Zeit auch nicht zu tun, der Ölpreis wird weiter fallen.
Die Strategie dahinter: hochpreisige Erdölförderländer austrocknen. So wird etwa in den USA Erdöl vor allem mit den umstrittenen Fracking-Techniken aus dem Boden geholt. Kleinere und mittlere Firmen haben die Technik entwickelt und sich die besten Flächen gesichert. Die großen Energiekonzerne wie BP, Exxon Mobil oder Shell sind am Fracking-Geschäft bislang vergleichsweise wenig beteiligt, vielleicht, weil sich Fracking erst ab einem bestimmten Preis pro Barrel lohnt. Während Saudi-Arabien mit rund 5 Euro pro Fass kalkulieren darf, rechnen Fracking-Firmen in den USA mit Förderkosten in Höhe von mindestens 30 Dollar pro Barrel.
654 Bohranlagen für Öl und Gas gibt es im Moment noch in den USA, wie der Ölfeld-Ausrüster Baker Hughes gezählt hat. Das sind 60 weniger als im Dezember 2015 und 1.029 weniger als noch vor einem Jahr. Ähnlich sieht das Bild weltweit aus. Die Branche steckt also in einer tiefen Krise.
Sparsames Bohren
Doch die Forschung schreitet voran. Die Branche förderte im November 2015 je eingesetzten Dollar zwei Drittel mehr Öl als noch 2014, berichtet der Informationsdienstleister IHS. Ein Musterbeispiel für die Entwicklung ist der amerikanische Anbieter Continental Resources. Das Unternehmen hat im dritten Quartal 2015 die Förderung im Vergleich zum Vorjahresquartal um ein Viertel ausgebaut. Man nimmt dabei herbe Umsatzverluste in Kauf. Und Sparen ist das neue Bohren: Die amerikanischen Produzenten haben mit scharfen Einschnitten an verschiedenen Stellen reagiert. So haben sie rund zwei Drittel der Ölförderanlagen stillgelegt und konzentrieren sich jetzt auf weniger Bohrstätten mit effizienteren Fördertechniken. Zudem haben die Firmen Investitionen zusammengestrichen. Kleinere Ölförderer haben die Dividenden einkassiert und verkaufen, was sie nicht fürs Geschäft brauchen. Dass das Geld knapp ist, bestätigt auch Michael Ziesemer, COO der Endress+Hauser-Gruppe: „Fakt ist, dass die Investitionen massiv zurückgefahren werden. Dadurch hat die gesamte Ausrüstungsindustrie Geschäftsrückgänge im hohen zweistelligen Prozentbereich zu verzeichnen. Besonders stark sind diese Rückgänge bei Upstream-Anwendungen. Die Mess- und Automatisierungstechnik ist von diesen Rückgängen genauso betroffen wie Lieferanten anderer Investitionsgüter für die Öl- und Gasindustrie.“ Marcus Eisenhuth, Co-CEO der Bartec-Gruppe schildert die Lage nicht rosiger: „Wir mussten feststellen, dass unsere Kunden seit Ende 2013 angefangen haben, erst die MRO-Ausgaben zu senken und nun dabei sind, Projekte zu verschieben. Insbesondere Upstream-Projekte sind zurzeit beinahe völlig zum Stillstand gekommen. Zudem sind die Unternehmen preissensibler geworden." Besonders in Asien sei ein klarer Trend zu billigen Lösungen zu erkennen, die häufig nicht der Kundenspezifikation entsprächen.
So müssen sich Mess- und Regeltechnikanbieter im Markt neu positionieren: „Gerade Messtechnik schafft Produktivitätspotenziale, da sich hierdurch Prozesse besser und schneller steuern lassen“, rät Marcus Eisenhuth.
Zulieferer, stellt euch breit auf!
Vom Ausland nach Deutschland: Im Jahr 2015 wurden dem Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung (WEG) zufolge 2,4 Mio. t Erdöl aus deutschem Boden gefördert. Die Erdöl-Produktion wurde im Vergleich zum Vorjahr auf stabilem Niveau gehalten. Das ist auf hohe Investitionen in die Feldesentwicklung zurückzuführen, durch die die Nutzungsdauer bestehender Felder verlängert werden konnte.
Doch auch Deutschland hat mit den niedrigen Preisen zu kämpfen. Hier werden knapp drei Prozent des für den hiesigen Verbrauch benötigten Erdöls gefördert. Das Erdöl kommt vor allem aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Im Raum Celle liegt eine Anfrage des Erdölverbandes WEG an die Landesregierung in Hannover vor. Die Industrie drängt darauf, die Fracking-Hindernisse aufzuheben. Sogar die IG Bau Steine Erden bohrt in derselben Wunde und klagt über Arbeitsplatzverluste und drohende Firmenschließungen. Doch Fracking mit seinen umweltschädlichen Konsequenzen dürfte schon aus wirtschaftlicher Sicht nicht die Lösung sein.
Unternehmen fahren somit besser, sich breit aufzustellen: Die Bartec-Gruppe etwa ist nur zu gut 50 Prozent im direkten Ölgeschäft aufgestellt. Doch man sieht in fast allen Geschäftsbereichen weitere Chancen in der Chemie und verarbeitenden Industrie, denn es ist noch nie so viel Öl verarbeitet worden wie aktuell, betont Co-CEO Marcus Eisenhuth.
Und auch Michael Ziesemer ordnet ein: „Das Öl- und Gasgeschäft war bei uns nie dominant. Wir besitzen Kompetenz in der ganzen Breite der verfahrenstechnischen Industrien. Deshalb sind die Rückgänge im Bereich der Öl- und Gasindustrie jetzt zwar schmerzlich, aber nicht existenziell. Und natürlich sind die operativ Verantwortlichen gefragt, um im Tagesgeschäft die Schwerpunkte richtig zu setzen. Diese haben sich seit Mitte 2014 sicherlich verändert.“
Miriam Ahrens, Pressesprecherin des Wirtschaftsverbands Erdöl- und Erdgasgewinnung fasst die Situation zusammen: „Die aktuelle Ölpreisentwicklung hat auf die laufende Produktion zwar keinen Einfluss, doch steigen die spezifischen Kosten – bedingt durch den Produktionsrückgang – stetig an. Die Auswirkungen für die Unternehmen werden durch den Preisverfall noch verschärft. Auch für neue Projekte und Reinvestitionen wird die Wirtschaftlichkeit dadurch neu bewertet. Entscheidend dafür ist aber nicht der aktuelle Ölpreis, sondern die Erwartungen an die Preisentwicklung in den kommenden Jahren.“ Hinzu komme eine jahrelange Investitionsblockade, die in der E&P-Industrie tiefe Spuren hinterlassen habe. „Gerade bei den Dienstleistern sind Kurzarbeit, Entlassungen und Sozialplan-Verhandlungen mittlerweile an der Tagesordnung. Deshalb braucht die E&P-Industrie schnell eine Regelung, die Investitionen wieder ermöglicht. Die momentane Krisenphase muss schnell überwunden werden und mit klaren Rahmenbedingungen planbar gemacht werden. Dann hat die Industrie eine Zukunft.“
Schleichender Abschied vom Öl
Doch die sieht sicher anders aus als noch 2014: Langfristig haben sich der Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung und die großen Fördergesellschaften nämlich dazu bekannt, den Ausstoß von Abgasen mit zu senken. BP zum Beispiel erkennt an, dass der erwartete Anstieg der CO₂-Emissionen durch fossile Energieträger um rund 25 Prozent bis 2035 über dem Wert liegt, der nach Ansicht von Experten eingehalten werden muss, um die schlimmsten Auswirkungen durch eine Begrenzung des globalen durchschnittlichen Temperaturanstiegs auf 2 °C einzudämmen. Auch wenn BP dieses Szenario eindeutig nicht für gut hält, schätzt das Unternehmen es aktuell jedoch als wahrscheinlich ein. BP verlangt inzwischen bei allen Projekten, den Energieverbrauch in die Business-Pläne zu integrieren sowie Technologien und Systeme zu prüfen und einzusetzen, die die Energienutzung verbessern können. Als Beispiel: Die neue „Zhuhai 3“, ein petrochemisches Joint Venture in China, ist die erste Anlage, die die neuste Technologie von BP für die Produktion von PTA nutzt. Der Stoff wird zur Herstellung von Kleidung, Farbe, Plastikflaschen und anderen Gegenständen verwendet. Verglichen mit konventioneller Technik ist „Zhuhai 3“ höchst energieeffizient und produziert 65 Prozent geringere Treibhausgasemissionen.
Ein langer Abschied vom Öl zeichnet sich also ab. „Der Rohstoff verliert derzeit energiepolitisch an Bedeutung“, sagt Manuel Frondel, Energieexperte am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Weil Erdgas in den Bereichen Verkehr, Chemie und Wärmeerzeugung immer wichtiger wird, könnte es blutige Konflikte statt um Ölraffinerien künftig also eher um Erdgasfelder geben.