Besonders effizient ist die Nutzung von Gleichstrom, wenn die Quelle für die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien wie Photovoltaikanlagen kommt. Diese produzieren Gleichstrom (DC), der über Wechselrichter erst einmal in Wechselstrom (AC) umgewandelt werden muss. Wenn aber der Endverbraucher ebenfalls wieder ein digitales Gerät wie Laptop, Smartphone, eine LED-Leuchte oder der Ladepunkt für Elektrofahrzeuge ist, muss doppelt umgewandelt werden, denn diese Endverbraucher funktionieren nur mit Gleichstrom. Dadurch entstehen Wandlungsverluste. Auch intelligente Produktionseinheiten, beispielsweise drehzahlgeregelte Antriebe oder Roboter in einer Fabrik enthalten oft einen internen DC-Zwischenkreis, für den mit einer DC-Versorgung eine Wandlungsstufe entfallen würde. Durch die Einsparung von Wandlern (AC-DC) oder Wandlungsschritten können etwa 3 bis 4 Prozent Energie eingespart, beziehungsweise Energieverluste vermieden werden. Auch bei der Nutzung von Rekuperationsenergie, also der Bremsenergie von Motoren, könnte durch die Verwendung von modernen Einspeisegleichrichtern als AIC (active infeed converter) gegenüber Brückengleichrichtern die Bremsenergie von Motoren oder Antrieben vollständig verwendet oder zurückgespeist werden, was in einer Energieeinsparung von mindestens 4 bis 5 Prozent resultiert. Bei konventionellen Umrichtern wird die Bremsenergie häufig durch Widerstände in Wärme umgesetzt, also vernichtet, und kann daher nicht verwendet werden.
Umwandlungsverluste vermeiden
Mit dem konsequenten Einsatz von Gleichstrom in der Industrie ist nicht nur eine einfachere Integration erneuerbarer Energiequellen möglich, sondern es können auch Umwandlungsverluste zwischen AC und DC je nach Anwendungsfall im ein- bis zweistelligen Prozentbereich vermieden werden. Darüber hinaus bietet die Verwendung von DC weitere Vorteile in der Energieeffizienz. Weniger Wandlungsschritte und weniger Adern bei oft verringerten Leiterquerschnitten führen zu Materialeinsparungen sowie einer erhöhten Ressourceneffizienz gegenüber AC. Damit nimmt Gleichstrom künftig in der industriellen Stromversorgung eine Schlüsselrolle ein. Eine nachhaltige Energieeffizienz und der schnelle Umstieg auf erneuerbare Energien können nur erfolgreich gestaltet werden, wenn konsequent immer mehr auf Gleichstrom umgestellt wird und Wandlungsverluste vermeiden werden. Nur so ist eine Wende möglich.
Umfangreiches DC-Portfolio
Lapp hat sich bereits frühzeitig mit dem Thema Gleichstrom beschäftigt und ist bei der Entwicklung von Kabeln und Leitungen für Niederspannungs-Gleichstromnetze für industrielle Anwendungen aktiv. Das Unternehmen hat als Erster weltweit ein DC-Portfolio vorgestellt. Dazu gehört beispielsweise die Ölflex DC Grid 100 – ein Gleichstrom-Kabel zur Energieverteilung in Gebäuden und zum Anschluss von Industrieanalagen. Oder die Ölflex DC 100 mit neuer Farbcodierung der Adern nach der 2018 aktualisierten Norm DIN EN 60445 (VDE 0197) für Gleichstromleitungen. Weitere Leitungen sind die DC-Hybridleitung Ölflex DC Servo 700 für stationäre Anwendungen, die Ölflex DC Chain 800 aus TPE für bewegte Anwendungen, die erste DC-Roboterleitung Ölflex DC Robot 900 mit der Aderisolation aus TPE und einem Mantel aus PUR sowie die halogenfreie, hoch flammwidrige Einzeladerleitung Ölflex DC ESS SC für Gleichstromanwendungen bis 1,5 kV für den Einsatz in Energiespeichersystemen (ESS).
Zwei wichtige Forschungsprojekte
Ein Durchbruch in Sache Gleichstrom ist allerdings noch weit entfernt. Aktuelle Baustellen gibt es etwa in der Normung und Standardisierung der DC-Technik. LAPP war deshalb an den Forschungsprojekten DC-Industrie1 und DC-Industrie2 beteiligt. Bei DC Industrie1 stand die Realisierung einer Produktionszelle mittels kompletter DC-Versorgung (beziehungsweise DC-Netz) im Vordergrund. Das Projekt lief von 2016 bis 2019, wobei Lapp assoziierter (und nicht geförderter) Partner war. Die wissenschaftliche Projektleitung erfolgte unter der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe und Prof. Holger Borcherding, dessen Idee für ein solches Gleichstromprojekt bis ins Jahr 2013 zurückreicht.
Bei DC Industrie2 (Oktober 2019 bis März 2023) wurden die Erkenntnisse und Konzepte aus DC-Industrie1 und der Realisierung eines DC-Netzes von der Produktionszelle auf eine ganze Fabrikhalle mit mehreren Lastzonen (zum Beispiel mehrere Produktionszellen) erweitert. Insgesamt waren 40 Partner unterschiedlicher Hochschulen und aus der Industrie beteiligt, wobei Lapp nun geförderter Partner war. Dabei wurden vor allem Aspekte der Netzstabilität und des Netzmanagements (unter anderem unter Einwirkung von Energiespeichern) betrachtet. Aber auch der zuverlässige Betrieb durch Erkennen und Abschalten von Fehlerströmen sowie dem Ableiten von Überspannungen stand im Fokus. Ein weiteres Themengebiet bildete die Entwicklung langzeitstabiler Komponenten. Hierzu zählte auch die Aktivität von Lapp mit der Untersuchung der Langzeitstabilität typischer Isolierstoffe von AC-Leitungen unter DC-Beanspruchung.
Erste Versuche mit der TU Illmenau
Schon viel früher hatten Lapp und die TU Ilmenau in Versuchen herausgefunden, dass die Isolationsmaterialien im Gleichspannungsfeld ein anderes Alterungsverhalten zeigen können als in einem Wechselspannungsfeld. So hatten Forscher der TU Ilmenau über einen Zeitraum von etwa 2.500 Stunden Einzeladern mit verschiedenen Isolationsmaterialien in einem Wasserbad bei 80 °C mit 1 kV Gleichspannung belastet, um die Auswirkungen im Zeitraffer nachzuvollziehen. Die Ergebnisse: Einige Leitungen mit PVC oder halogenfreier Mischung auf Polyolefin-Basis fielen deutlich schneller aus als alle Prüflinge mit TPE-Isolierung. Diese Forschungsergebnisse wurden in den Folgejahren im Projekt DC-Industrie2 weiter vertieft und neu auf den Prüfstand gestellt. Hierzu fanden erneut umfangreiche Laboruntersuchungen zur beschleunigten Alterung typischer Isolierstoffe von AC-Kabeln und -Leitungen über 2.500 Stunden bei 70 °C und einer Alterungsspannung von 1 kV statt. In Anlehnung an DIN VDE 0276-603 wurden die Untersuchungen parallel im Wasserbad und im Wärmeschrank durchgeführt. Zu den untersuchten Isolierstoffen gehörten jeweils unterschiedliche Zusammensetzungen von:
PVC
(vernetztem) Polyethylen: PE und VPE
Polypropylen: PP
Thermoplastischen Elastomeren: TPE-E, TPE-V
Halogenfreie Mischungen
Als Projektergebnis lässt sich folgendes festhalten: Auf Grundlage der Prüfbedingungen weisen viele dieser Isolierstoffzusammensetzungen eine Gleichspannungsbeständigkeit (DC-Beständigkeit) bei der gewählten Referenztemperatur von 70 °C auf. Jedoch zeigt sich auch ein erheblicher Einfluss des Umgebungsmediums beispielsweise Luft, Feuchtigkeit oder Wasser. Während die Isolierstoffe unter trockenen Umgebungsbedingungen keine Ausfallerscheinungen zeigten, können im Wasser für Isolierstoffe mit Füll- und Zusatzstoffen Durchschläge entstehen. Zu diesen Isolierstoffen gehören einige PVC- und halogenfreie Mischungen auf PO-Basis. Daher hat Lapp bei der projektbegleitenden Entwicklung eines DC Kabel- und Leitungsportfolios die Projektergebnisse zu Isolationsmaterialien berücksichtigt und durch die Auswahl entsprechender Isolationswerkstoffe verbessert.
Eine allgemeingültige Aussage über die Verwendbarkeit kann aktuell aber nicht abgeleitet werden, beispielsweise bei einer Temperaturabweichung von 70 °C. Zudem können die Ergebnisse nicht für Kabelisolierstoffe in der Hochspannungsebene mit Spannungen oberhalb von 1,5 kV übertragen werden. Aufgrund der höheren elektrischen Feldstärke und veränderter Leitungsvorgänge sind andere Isolierstoffmischungen und -zusammensetzungen, beispielsweise chemisch reinere Polymere oder spezielle Compounds, für eine ausreichende Spannungsfestigkeit erforderlich.
Potentiale bei der Materialeinsparung
Intensiv hat sich Lapp mit der möglichen Materialeinsparung beschäftigt. Eine pauschale Aussage mit einer konkreten Einsparungsaussage ist allerdings schwierig. Zum einen gibt es eine Materialeinsparung durch weniger Umrichter oder Wandlungsstufen. Zum anderen wird die Kupfereinsparung bei Kabeln oder Leitungen unterschieden. Hier ist die tatsächliche Einsparung vom tatsächlichen Leiterstrom, der Verzerrung bei AC durch Oberwellen (Oberschwingungsgehalt) und der Anzahl der Leiter im DC-Netz gegenüber AC abhängig. In DC-Systemen werden je nach Erdungskonzept Kabel mit 3 (2 Phasen und Schutzleiter PE) oder 4 Leitern (2 Phasen, Schutzleiter, geerdeter Mittelpunktleiter) unterschieden. Im Drehstromsystem (AC) sind die Kabel in der Niederspannungsebene in der Regel 5-adrig aufgebaut (3 Phasen, Schutzleiter, Neutralleiter).
Aufgrund der Umrichtertechnologie ergibt sich grundsätzlich im DC-Netz eine höhere Versorgungsspannung als im AC-Netz (zum Beispiel 650 VDC gegenüber 400 VAC). Daraus resultiert bei DC ein kleinerer Leiterstrom, der grundsätzlich einen kleineren Querschnitt erfordert. Wird exemplarisch ein DC-System mit 3 Leitern mit einem Drehstromsystem (AC) mit 5 Leitern verglichen, ergeben sich tendenziell die größten Kupferersparnisse zwischen 40 und etwas mehr als 70 Prozent. Die kleinsten Ersparnisse ergeben sich, wenn der Leiterstrom bei AC ideal sinusförmig ist. Der Grund: Ein sinusförmiger Wechselstrom benötigt einen kleineren Querschnitt als ein stark verzerrter Wechselstrom. Allerdings könnte beim Vergleich eines DC-Systems mit 4 Leitern gegenüber einem Drehstromsystem die Ersparnis aber auch Null betragen, wenn der Leiterstrom bei AC nicht durch Oberschwingungen verzerrt ist.
Mehr Druck mit Open Direct Current Alliance
In Summe ergeben sich unterm Strich bei DC große Einsparpotentiale bei Energie und Material. Daher unterstützt Lapp alle Aktivitäten, um der Gleichstromtechnologie zu einem Durchbruch zu verhelfen. Aus diesem Grund ist Lapp seit Herbst 2022 Gründungsmitglied der Open Direct Current Alliance (ODCA). Dabei handelt es sich um ein Bündnis von Unternehmen, Forschungseinrichtungen und des ZVEI mit dem Ziel der DC-Technologie neue Dynamik zu verleihen. Die ODCA ist folglich die internationale und praxisnahe Fortführung der deutschen Gleichstromforschungsprojekte DC-Industrie und DC-Industrie2, die seit 2016 mit über 40 Partnern aus Industrie und Forschung daran arbeiten, die Energiewende in der industriellen Produktion umzusetzen. Darüber hinaus findet ein enger Schulterschluss mit der Current/OS foundation statt.
ODCA konzentriert sich auf sechs Fokusthemen
Aufbau eines internationalen DC-Ökosystems und Etablierung der DC-Technologie für viele Anwendungen.
Enge Zusammenarbeit zwischen Anwendern, Planern, Herstellern, Zulieferern, Forschungseinrichtungen, Normungsorganisationen und Verbänden.
Internationale Verbreitung von Wissen und Lösungen zu Gleichstromnetzen.
Investitionsschutz durch die Erarbeitung und Etablierung eines neuen und nachhaltigen Gleichstromsystems.
Plattform für die Gestaltung weiterer Forschungsprojekte.
Information und Überzeugung von Politik und Gesellschaft über die Chancen von Gleichstrom auf dem Weg zu einer ressourcenschonenden und CO2-neutralen Welt.
Nach der Gründungsveranstaltung im November 2022 und dem ersten Treffen im Februar 2023 läuft die inhaltliche Zusammenarbeit in den unterschiedlichen Arbeitsgruppen an. Die Gestaltung der Homepage, der Auftritt in diversen Online-Plattformen und die Präsenz zur Hannover Messe 2023 wurden im ersten Schritt umgesetzt. Zur Gleichstromwende ist allerdings noch ein weiter Weg.