Branchenreport Chemieanlagenbau Erfolgsprinzip Baukasten

Bild: ThyssenKrupp, Ebm-Papst, Marc Artmeyer
28.04.2015

Der Chemieanlagenbau ist von scharfem Wettbewerb geprägt. In Europa gibt es kaum neue Projekte, Wachstumsmotor bleiben die USA. Mehr und mehr setzen Anbieter auf Modullösungen nach dem Baukastenprinzip.

Goethes Vers „Amerika, du hast es besser / als unser Kontinent, der alte“ gilt auch für den Chemieanlagenbau. „Einzig die USA senden weiterhin positive Signale“, heißt es in dem im März veröffentlichten Lagebericht der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau des VDMA. Das Umfeld sei von Kriegen und dem Preisverfall an den globalen Rohstoffmärkten geprägt, was sich dämpfend auf die Nachfrage auswirke. Der Ordereingang der im VDMA organisierten Chemieanlagenbauer sank um 12 Prozent auf 3,0 Mrd. € (2013: 3,4 Mrd. €). Hohe Energiepreise bremsten die Investitionstätigkeiten in der Eurozone in der chemischen Industrie. Chinas Wirtschaftswachstum und das anderer Schwellenländer verlangsamten sich ebenfalls.

Trendthema Schiefergas

Etwas optimistischer ist Hans-Theo Kühr, CEO der Business Unit Process Technologies der ThyssenKrupp Industrial Solutions: Nicht nur in Amerika (Nord und Süd), sondern auch in der Region Asien-Pazifik sieht er ein weiterhin günstiges Umfeld. „Für Europa rechnen wir mit einem eher schwächeren Geschäft. Für die GUS-Staaten ist die Entwicklung derzeit schwierig abzuschätzen. Für den Nahen Osten gehen wir insgesamt von einer stabilen Geschäftsentwicklung aus, auch wenn die Unsicherheiten gestiegen sind.“ Der alte Kontinent, da sind sich alle einig, hinkt hinterher.

„Typisch für Europa sind Ersatzinvestitionen“, sagt Marc Artmeyer, Partner der Unternehmensberatung Maexpartners. „Die Musik spielt woanders.“ Aus seiner Sicht sind vier Punkte derzeit für den Chemieanlagenbau von maßgeblicher Bedeutung:

1. Schiefergas und -öl: Die in den USA Mitte des letzten Jahrzehnts angestoßenen Entwicklungen wirken noch weiter. Neue Technologien – horizontales Bohren und das in Deutschland auf breiter Basis abgelehnte Verfahren des sogenannten Fracking – haben den amerikanischen Energiemarkt komplett umgekrempelt und die USA zum größten Öl- und Gasproduzenten der Welt gemacht. Hier sieht Marc Artmeyer die höchsten Wachstumsraten für Anlagenbauer. Allerdings müsse man die Dynamik der lokalen Märkte verstehen. „Die Wirtschaftlichkeit einer Anlage wird von den Einsatzgrößen – etwa dem Preis von Öl und Gas – und dem Absatzprodukt bestimmt. Der Boom für Schiefergas hat in anderen Bereichen wiederum die Rentabilität sinken lassen.“

2. Die Globalisierung des Kundenmarktes: „Anbieter müssen in den relevanten Märkten präsent sein“, sagt Marc Artmeyer.

3. Die technologisch führenden Firmen seien immer in der Position, mit den höchsten Kosten zurechtkommen zu müssen. Dass deutsche Anlagenbauer trotz ihrer im Vergleich hohen Kosten international bestehen können, zeigt das Beispiel ThyssenKrupp Industrial Solutions. „Wir schauen insbesondere auf uns selbst“, sagt Hans-Theo Kühr. „Wir streben nicht an, Preisführer zu werden, sondern entwickeln Lösungen, die unseren Kunden unterm Strich einen Mehrwert bieten.“ Angesichts von geopolitischen Risiken und starken Schwankungen an den Devisen- und Rohstoffmärkten sei es umso wichtiger, sich im Wettbewerb durch innovative Technologien und eine starke Kundenorientierung zu unterscheiden. „Hier sind wir als ThyssenKrupp Industrial Solutions gut aufgestellt, um trotz schwieriger Rahmenbedingungen weiter zu wachsen.“

4. Modularisierung und Standardisierung. Zu diesem Thema hat Maexpartners im vergangenen Jahr gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau des VDMA eine Studie erstellt („Modularisierung und Standardisierungsansätze im Anlagenbau – Mythos oder Realität?“). Sie kommt zum Fazit, dass der Großanlagenbau die Standardisierung von Baugruppen, Maschinen und kompletten Anlagen als wichtigen Baustein seiner Wettbewerbsstrategie erkannt habe. Durch den Gebrauch eines Sets von Modulen kann die Abwicklungszeit erheblich reduziert werden. „Der Markt verlangt immer kürzere Reaktionszeiten“, sagt Artmeyer. „Zudem ist es nicht in allen Ländern möglich, alles einzukaufen. Ein weiterer Punkt, der für Modularisierung und Standardisierung spricht, ist, dass man auf der Baustelle wesentlich weniger Zeit für die Montage benötigt.“
Zwar sei Modularisierung schon früher ein Thema gewesen; durch den Wettbewerbsdruck sei dieses aber wesentlich drängender geworden. „Was sich geändert hat, ist auch die IT-Unterstützung, die wir heute für die Modularisierung haben, sprich: dass es Softwarelösungen gibt, die diese Ansätze unterstützen.“ Bei der Auslegung und Dimensionierung der Anlage gehe man heute über Baukastenstrukturen, die beim Engineering eine schnellere Abwicklung erlaubten. So könne schon in der Phase der Projektierung Zeit gespart und schneller ein Angebot präsentiert werden – bei gleichzeitig guter Risikokontrolle.“

Fokus Modularisierung

Hans-Theo Kühr von Thyssen bestätigt das: „Modularisierung ist ein absoluter Fokus von uns. Insbesondere in Hochlohnländern können wir durch Modularisierung und Vorfertigung in der Montage die Kosten deutlich senken.“ Die so erzielte Einsparung ist notwendig, um Kostensteigerungen in anderen Bereichen zu kompensieren. Gerade das Personal für Baustellenentwicklung sei in den letzten Jahren wesentlich teurer geworden, so Artmeyer.

Der aggressivste Wettbewerb auf den Weltmärkten kommt immer noch aus Asien, hat sich aber verlagert. So habe der Druck aus Südkorea nachgelassen, dafür aber seien die chinesischen Anbieter heute wesentlich aggressiver im Markt als noch vor wenigen Jahren, sagt Artmeyer. „Die Chinesen haben ihre Hausaufgaben gemacht. Es ist jetzt nicht mehr copy-and-paste wie früher. Sie sind technologisch zwar noch nicht so weit wie die Etablierten, aber was die Abwicklungskompetenz betrifft, sind sie besser geworden.“ Dass Anlagenbauer Projekte zu einem Festpreis anbieten (Lump sum turnkey) und so die Preisrisiken übernehmen, sei inzwischen gang und gäbe. Vor allem italienische und koreanische Firmen täten sich mittlerweile damit hervor, Risiken zu übernehmen, um Aufträge zu bekommen.

Wie sieht das bei deutschen Firmen aus? „Generell ist die Risikotoleranz in Deutschland niedriger, man ist weniger bereit, in Vorleistung zu treten als die Asiaten. Denn oft schneiden sich risikofreudige Anbieter ins eigene Fleisch“, sagt Artmeyer. Aus seiner Sicht seien deutsche Unternehmen gut beraten, großes Augenmerk auf die Mitarbeiterseite zu legen: Wen kann ich gewinnen, um in meinem Unternehmen genug gute Leute zu haben?, müsse die Frage lauten. „Anlagenbau ist mit Auslandseinsätzen verbunden, dafür muss man Leute gewinnen. Das ist eine große Herausforderung.

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