Risikominimierung in der Prozesstechnik „Es gibt immer eine passende Lösung“

„Sicherheit im Anlagenbetrieb ist auf jeden Fall aus ethischen, aber auch aus Kostengründen essenziell“, sagt Werner Bennek, Field Segment Manager Hygienic bei Bürkert Fluid Control Systems.

Bild: Bürkert
02.06.2021

Maschinen und Anlagen müssen so beschaffen sein, dass weder Menschen noch die Umwelt oder Sachwerte durch ihre Funktion Schaden nehmen. Die P&A sprach mit Werner Bennek, Field Segment Manager Hygienic bei Bürkert Fluid Control Systems, über das sicherheitsgerichtete Abschalten von Ventilen.

Sicherheit ist eine wesentliche Voraussetzung für eine verfügbare und effiziente Produktion. Ist dies der Mehrheit der Anwender bewusst?

Im Gespräch mit unseren Kunden und bei der Beratung vor Ort stellen wir immer wieder fest, dass gerade in der Prozess- und Verfahrenstechnik das Sicherheitsbewusstsein stark ausgeprägt und tief in den Köpfen verwurzelt ist. Schließlich lassen sich Anlagen nur dann effizient betreiben, wenn der Schutz von Mitarbeitern und Investitionsgütern sichergestellt ist. Jeder Unfall oder Zwischenfall bedeutet neben dem Gesundheitsrisiko für Mitarbeiter auch immer, dass zumindest Teile der Produktion stillstehen, Ausschuss produziert wird sowie auch mehr oder weniger umfangreiche und vor allem ungeplante Reparaturarbeiten anfallen. Sicherheit im Anlagenbetrieb ist also auf jeden Fall aus ethischen, aber auch aus Kostengründen essenziell. Es geht bei entsprechenden Maßnahmen keineswegs nur darum, rechtliche Vorschriften zu erfüllen.

In der Prozesstechnik sind automatisierte Anlagen für einen langjährigen und sicheren Betrieb ausgelegt. Was bedeutet dies für die Sicherheitstechnik?

Die Sicherheitstechnik muss natürlich entsprechend den jeweilig geltenden Bestimmungen zyklisch überprüft und darüber hinaus gegebenenfalls auch an veränderte Anforderungen angepasst werden. Mögliche Gründe können sein, dass die Akzeptanz gegenüber Restrisiken sinkt oder Prozesse sich verändern. Gefragt sind deshalb Lösungen, die dem individuellen Sicherheitsbedürfnis der jeweiligen Anlage gerecht werden. Das Spektrum der Anwendungen ist dabei sehr unterschiedlich. Es reicht von Brauereien und Molkereien bis hin zur Pharmaindustrie oder Anlagen zur Aufbereitung industrieller Prozesswässer. Die Mindestanforderungen an die Sicherheitsstandards von Maschinen und Anlagen sind in der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG geregelt. Demnach gilt es, je nach Anlage bestimmte Risiken zu minimieren, um das Leben und die Gesundheit von Personen zu schützen, zum Beispiel wenn Arbeiten an Rohrleitungen, Ventilen, Verbindungsstücken oder Ähnlichem durchgeführt werden.

Wodurch können sich Sicherheitsanforderungen einer Anlage verändern?

Sicherheitsanforderungen verändern sich aus unterschiedlichen Gründen. Ein wesentlicher ist, dass sich die einschlägigen Normen und damit die rechtlichen Grundlagen immer weiterentwickeln. Alle paar Jahre gibt es Aktualisierungen, die meist neue, höhere Anforderungen mit sich bringen. Das müssen die Anlagenbetreiber dann innerhalb bestimmter Fristen umsetzen. Sicherheitsanforderungen ändern sich aber auch, weil sich die Prozesse verändern, zum Beispiel wenn in einer verfahrenstechnischen Anlage mit anderen Grundstoffen gearbeitet wird oder Arbeitsabläufe modifiziert werden. Dabei kann dann das Gefahrenpotenzial steigen oder auch sinken. Auswirkungen auf die Sicherheitsanforderungen haben zudem Unfälle oder erlebte Gefahrensituationen. Das kommt leider öfter vor, als man denkt. Gegebenenfalls wurde bei der ersten Risikobewertung irgendetwas übersehen oder ein Zusammenspiel unterschiedlicher Szenarien nicht richtig bewertet. Dann muss nachgebessert werden. Wir erleben beispielsweise recht oft, dass Kunden nachträglich Sicherheitsventile auf den Ventilinseln nachrüsten, weil sich im praktischen Betrieb doch das ein oder andere Risiko ergeben hat oder die Mitarbeiter noch besser geschützt werden sollen, auch wenn das von den Richtlinien her eigentlich nicht erforderlich wäre. Betreiber wollen oft einfach vermeiden, dass mechanische oder elektrische Sicherheitseinrichtungen aus Bequemlichkeit umgangen werden, zum Beispiel bei Reinigungs- oder Wartungsarbeiten.

Lösungen müssen dem individuellen Sicherheitsbedürfnis der jeweiligen Anwendung gerecht werden. Welche Ansätze bietet Bürkert hier an?

Je nach Anlagenstruktur bieten wir unterschiedliche Lösungsansätze für ein sicherheitsgerichtetes Abschalten pneumatischer Anlagen, die sich für unterschiedliche Szenarien eignen. Vom Neubau einer Anlage bis hin zum unkomplizierten Nachrüsten von Bestandsanlagen gibt es immer eine passende Lösung. Die Bandbreite reicht von Ventilinseln, die sich als pneumatische Automatisierungssysteme an Profisafe-Steuerungen anbinden lassen, über Redundanzlösungen wie den MKRS-Block mit Drucksensor und Absperrventil bis hin zu speziellen Pneumatikventilen, die unabhängig von einer Busansteuerung eine sicherheitsgerichtete Abschaltung ermöglichen.

Welche Vorteile bietet die Abschaltung durch Pneumatikventile, für wen ist deren Einsatz geeignet?

Werden erst im Laufe der Zeit die Anforderungen an die Sicherheit einer Anlage erhöht, kann das Umrüsten auf eine Profisafe-Lösung aufwendig, teuer und mit unerwünschten Stillstandszeiten verbunden sein. Pneumatikventile mit zusätzlicher Abschaltfunktion sind hier eine praxisgerechte Alternative. Sie können einfach auf jedem beliebigen Ventilplatz der Ventilinseln nachgerüstet und dann unabhängig von der regulären Schaltsignalsteuerung der Ventilinsel abgeschaltet werden. Dabei benötigt das Plus an Sicherheit keine größeren Schaltschränke. Die patentierte Abschaltfunktion ist über einen zweiten Anschluss realisiert. Die Ventile sind also weiterhin über den Bus angesteuert, bieten aber zusätzlich vorne einen zweiten elektrischen Anschluss, über den der Stromkreis der Magnetspule sicher getrennt werden kann. Damit lassen sich Prozesse bis zum Performance Level C gemäß Maschinenrichtlinie sicher abschalten. Anlagenbetreiber aus der Prozessindustrie können so mit einfachen Mitteln auf steigende Sicherheitsanforderungen reagieren.

Wann bietet sich der Einsatz des Redundanzblocks MKRS an und wie arbeitet er?

Damit aus Notfällen keine Unfälle werden, müssen in vielen Anwendungen fluidische Systeme redundant beziehungsweise zweikanalig ausgeführt sein. Dabei sind die Geräte so geschaltet, dass sie automatisch die Funktion eines ausgefallenen Gerätes übernehmen. Mit dem Redundanzblock MKRS haben wir für unsere Ventilinseln eine praxisgerechte Lösung für sicherheitsgerichtetes Abschalten in Anwendungen mit hohen Sicherheitsanforderungen entwickelt. Er ist mit Ventilen und Druckschaltern ausgestattet, die pneumatisch in Reihe hinter den Ventilen auf der Ventilinsel installiert werden. Die Montage in Reihe gewährleistet die redundante Abschaltmöglichkeit. Zusätzlich erhöhen Druckschalter auf dem Redundanzblock vor und nach dem Abschaltventil den Diagnosedeckungsgrad. Der Einsatz des Redundanzblocks bietet sich an, wenn bei einem Notfall ein sofortiger Prozessstopp notwendig ist. Typisch sind beispielsweise Abläufe, bei denen eine Inspektionsluke für Wartungsarbeiten geöffnet werden kann. Hier gilt es, den Prozess unbedingt zu stoppen und gegen Wiederanlauf zu schützen, falls eine Abdeckung zum falschen Zeitpunkt entfernt wird. Bei entsprechender Verschaltung kann durch den Redundanzblock das Performance Level D erreicht werden.

Für welche Zielgruppe sind die Ventilinseln für hochverfügbare Profinet-Umgebungen die richtige Lösung?

Maschinen und Anlagen müssen so beschaffen sein, dass weder Menschen noch die Umwelt oder Sachwerte durch ihre Funktion Schaden nehmen. Typischerweise werden solche Anforderungen – vor allem in Neuanlagen – über eine Profisafe-Steuerung, das Profisafe-Protokoll und entsprechende fehlersichere IO-Module gelöst. Unsere Ventilinsel AirLine SP Typ 8647 ist in die dezentralen Peripheriesysteme Simatic ET 200SP und ET 200SP HA von Siemens integrierbar. Diese Integrationsstufe erhöht nochmals die Anlagenverfügbarkeit und -sicherheit. Erstmals können dadurch Ventilinseln in hochverfügbaren und bis zu R1 redundanten Profinet-Umgebungen mit Profisafe-Protokoll direkt an einem dezentralen Peripheriesystem betrieben werden. Pneumatische Segmente oder einzelne Ventile lassen sich dann gezielt über entsprechende Sicherheitsrelais abschalten.

Welche Anwendungen können mit diesen drei Ansätzen nicht bedient werden?

Die Lösungen eignen sich für alle Anlagen, bei denen Pneumatik im Spiel ist und sicherheitsgerichtet abgeschaltet werden muss. Ohne Pneumatik kommen die beschriebenen Lösungen nicht in Frage.

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