Eine weitere Besonderheit des neuen Klebstoffs ist, dass die Klebeeigenschaften durch Bestrahlen mit Licht angeschaltet werden können. Dadurch ergeben sich lang ersehnte Möglichkeiten zum Kleben von gebrochenen Knochen oder Zähnen, die mit diesem Bioklebstoff wieder zusammenwachsen könnten. Die Erkenntnisse sollen nun in eine Ausgründung überführt werden.
Nutzen für die regenerative Medizin
Die regenerative Medizin benötigt dringend leistungsfähige Klebstoffe, die biokompatibel sind – also gut verträglich für den Organismus, in den sie eingesetzt werden. Damit könnten sowohl oberflächliche Hautwunden behandelt oder auch der Einsatz von Platten und Schrauben bei Knochenbrüchen überflüssig gemacht werden. Biologische Haft-Proteine könnten zukünftig nicht nur Knochenfragmente kleben, sondern auch das Zusammenwachsen des Knochens ermöglichen.
Die Mitglieder des Exzellenzclusters Unicat Prof. Dr. Nediljko Budisa von der TU Berlin, Prof. Dr. Holger Dobbek von der HU Berlin und Prof. Dr. Andreas Möglich, mittlerweile an der Universität Bayreuth, haben ein biotechnologisches Verfahren entdeckt, mit dem der biologische Unterwasserklebstoff von Miesmuscheln hergestellt werden kann.
Miesmuscheln leben hauptsächlich in den Gezeiten- und Schelfbereichen der Meere. Dort müssen sie den starken Strömungen und dem Salzwasser standhalten. Sie benutzen einen Superkleber, um sich am Meeresboden festhalten zu können. Dieser muss auch noch bei Niedrigwasser funktionieren, wenn Muschelbänke nicht mehr von Wasser bedeckt sind. Mithilfe dieses Klebers kann sich die lebende Muschel beinahe an allen Oberflächen festhalten. An ihrem Fuß scheidet sie Fäden aus, die aus einem Proteinkleber bestehen. Der wichtigste Bestandteil dieses Proteinklebers ist die Aminosäure 3,4-Dihydroxyphenylalanin, kurz „DOPA“ genannt.
Umprogrammierte Darmbakterien als Chemiefabrik
„Um diese Muschelproteine herzustellen, benutzen wir Darmbakterien, die wir umprogrammiert haben“, erläutert Prof. Nediljko Budisa. „Sie sind unsere Chemiefabrik, mit der wir den Superleim produzieren.“ Als erstes wird dazu in Escherichia coli ein spezielles Enzym eingeführt, das aus dem Bakterium Methanocaldococcus jannaschii gewonnen und von den Forschern verändert wurde. Anschließend wird das veränderte Darmbakterium mit der Aminosäure ONB-DOPA (ortho-Nitrobenzyl-DOPA) gefüttert. Im ONB-DOPA sind die für die starke Klebewirkung verantwortlichen Dihydroxyphenyl-Gruppen geschützt. Das ist ähnlich wie bei einem Aufkleber, dessen Selbstklebefläche mit einer Schutzfolie versehen ist. Das umprogrammierte Bakterium baut nun diese ‚mit Schutzfolie versehene‘ Aminosäure in Proteine ein, und man erhält ein Haftprotein, dessen Klebestellen noch geschützt sind. Erst nachdem das geschützte Haftprotein aus den Bakterien herausgelöst und gereinigt worden ist, werden die Schutzgruppen mit Hilfe von Licht einer bestimmten Wellenlänge (365 nm) entfernt. Das Haftprotein verliert dadurch – bildlich gesprochen – seine Schutzfolie, seine Klebestellen werden aktiviert, und das Protein kann zielgerichtet als Klebstoff verwendet werden.
Sofortige Verwendung möglich
Die Herstellung oder Anreicherung von Muschel-Haft-Proteinen ist bisher nicht befriedigend gelöst: Die Isolierung dieser Bio-Leime aus Muscheln und anderen natürlichen Quellen ist ineffizient und teuer. So lassen sich aus 10.000 Miesmuscheln nur 1 bis 2 Gramm dieses Superklebers gewinnen. Hinzu kommt, dass das Klebstoff-Protein aus Muscheln nicht homogen gewonnen werden kann. Jede Charge ist unterschiedlich. Auch dass das Haft-Protein der Miesmuschel wegen seiner guten Klebeeigenschaften quasi sofort verwendet werden müsste, ist ein Nachteil. Das neue Verfahren der UniCat-Wissenschaftler kann zu erheblichen Verbesserungen führen: eine Erhöhung der Ausbeute, die Vermeidung von Tierleid, ein homogeneres Produkt, dessen Klebeeigenschaften angeschaltet werden können.
Zwei Wissenschaftler der Arbeitsgruppe Budisa wollen sich mit dieser umweltfreundlichen Idee ausgründen. „Diese Strategie bietet neue Wege zur Herstellung von DOPA-basierten Nassklebstoffen für die Anwendung in Industrie und Biomedizin mit dem Potential, Knochenchirurgie und Wundheilung zu revolutionieren“, davon sind Christian Schipp und Dr. Matthias Hauf überzeugt. Zur Verwirklichung ihrer Geschäftsidee wollen sie Labore des „Inkulab“ nutzen, dem Ausgründungslabor des Exzellenzclusters UniCat an der TU Berlin.
Der Initiator des Ausgründungslabors „Inkulab“, Prof. Reinhard Schomäcker, freut sich: „Genau für solche innovativen Ideen haben wir gemeinsam mit der Berliner Wirtschaft das Inkulab gegründet. Der Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Berlin wird durch Firmengründungen wie diese extrem bereichert. Ganz Deutschland profitiert von diesem Gründergeist.“