Generative KI-Modelle sind darauf ausgerichtet, aus bestehenden Daten neue Inhalte zu generieren. In vielen Unternehmens- und Benutzeranwendungen sind die Modelle bereits integriert und beweisen beeindruckende Fähigkeiten, beispielsweise bei der Generierung menschenähnlicher Texte.
„Im industriellen Produktionsbereich bleibt das bekannte Potenzial und die Leistungsfähigkeit generativer KI-Ansätze dagegen noch nahezu ungenutzt. Mitunter, da KI-Methoden an Einsatzbereiche mit sehr speziellen Anforderungen noch nicht angepasst sind“, erklärt Dr. Hasan Tercan, wissenschaftlicher Leiter des Forschungsbereichs „Industrial Deep Learning“ am Lehrstuhl für Technologien und Management der Digitalen Transformation der Bergischen Universität.
Komplex, kostenintensiv, langwierig
Ein solch besonderer Einsatzbereich ist der Entwurf und Bau von industriellen Abfüllanlagen, beispielsweise für pulverförmiges und körniges Material wie Zement, das in der Massenproduktion in Säcke abgefüllt werden muss. Der aufwendige, teils manuelle Konfigurationsprozess dieser Anlagen ist geprägt von Labortests zur Bestimmung der Eigenschaften des abzufüllenden Materials sowie der Entwicklung und mehrstufigen Erprobung eines Anlagenprototyps. Bei neuen Betriebsanforderungen und sich ändernden Materialeigenschaften folgen weitere notwendige Anpassungsschritte im Betrieb der Anlage.
„Dieser arbeitsintensive Charakter des Designprozesses in Verbindung mit der wiederkehrenden Notwendigkeit, Parameter aufgrund von Materialänderungen neu zu definieren, unterstreicht den Bedarf eines innovativeren und anpassungsfähigeren Ansatzes für die Konfiguration von Anlagen“, so Tercan.
Der Wissenschaftler und sein Team arbeiten im nun gestarteten Forschungsprojekt „GenISys“ gemeinsam mit dem Softwareunternehmen Snap und dem Anlagenbauer Haver & Boecker daran, die Zahl der Testzyklen mithilfe digitaler Technologien und des Einsatzes von generativen KI-Verfahren zu reduzieren. Damit wollen sie nicht nur die Umsetzung innovativer Ideen und Dienstleistungen in der Branche vorantreiben – ein geringerer Produktionsaufwand und weniger Materialeinsatz schonen auch die Umwelt. Die Bedeutung der Innovation, so die Projektpartner, gehe weit über die unmittelbare Anwendung im Maschinen- und Anlagenbau hinaus.
Da der KI-Entwicklungs- und Trainingsprozess sorgfältig auf Anpassbarkeit und Erweiterbarkeit ausgelegt sei, könne das Anwendungsgerüst später – zum Beispiel in Form eines Lizenzmodells für einen KI-Modul-Baukasten – nahtlos in unterschiedlichen Kontexten wiederverwendet werden, was die Integration in andere Branchen ermöglicht.
Für mehr Details: Vorgehensweise im Projekt
Die Vision des Projekts ist die Entwicklung einer KI-basierten, leicht bedienbaren und interaktiven Softwareanwendung für Anlagenbauunternehmen und die Anlagenbetreibenden. Ausgangspunkt für „GenISys“ sind Daten und Informationen über einen Kundenauftrag, auf deren Basis die zu entwickelnde Software eine neue Abfüllanlage konfigurieren soll. Bei den Daten handelt es sich zum einen um Materialeigenschaften des abzufüllenden Produktes – zum Beispiel Korngröße und Dichte –, die durch Laboruntersuchungen ermittelt wurden, und zum anderen um vorhandene mikroskopische Bildaufnahmen des Produktes, die bislang hauptsächlich zu Dokumentations- und Verifikationszwecken angefertigt wurden. Zum Training der in der Software integrierten KI-Modelle stehen zudem historische Daten von tausenden Anlagenkonfigurationen und Produkteigenschaften zur Verfügung.
Um die Software anwendungstauglich zu realisieren, müssen Architektur der KI-Modelle, Trainingsmethoden, Modularisierungsstrategien zur Integration in bestehende Geschäftsprozesse und Automatisierungsstrategien für deren fortlaufende Optimierung sowie Konzepte zur Einbindung menschlichen Feedbacks angepasst und teilweise neu entwickelt werden.
Die Forschenden setzen beispielsweise fortgeschrittene Methoden aus dem Bereich der KI-basierten Bilderkennung (Convolutional Neural Network) ein, um fehlende oder schwer bestimmbare Merkmale wie Abriebeigenschaften und Feuchtigkeit des Abfüllprodukts automatisiert aus den Bildern ermitteln und damit die Datenbasis anreichern zu können. Weiter werden KI-Modelle entwickelt und trainiert (unter anderem Conditional Generative Adversarial Network Modelle), die auf Basis der Eingangsdaten die passende Anlagenkonfiguration generieren. Zudem, so die Überlegungen zu Projektbeginn, könnten separate künstliche neuronale Netze genutzt werden, um die gefundene Lösung zu bewerten. Die Bewertung wiederum fließt in das weitere Training der KI-Modelle ein.
„Ein wesentlicher Punkt im Projekt ist die Integration und Weiterentwicklung innovativer Lernstrategien für die Datenverarbeitung und das Modelltraining, mit dem wir sicherstellen, dass sich ein eingesetztes KI-Modell kontinuierlich an neue Betriebsbedingungen wie beispielsweise Materialänderungen, neue Anlagen oder Anwendungsfälle anpassen kann“, erklärt Tercan. Beim Thema Lernen kommt zudem der Faktor Mensch ins Spiel: Die Software soll es dem Bedienpersonal später einmal ermöglichen, Feedback zu liefern, Empfehlungen zu überprüfen und potenzielle Fehler in der Konfiguration zu korrigieren. Tercan: „Die Feedbackschleife stellt ebenfalls sicher, dass das KI-System auf dieser Grundlage weiterlernt und sich anpasst, wodurch die Genauigkeit seiner Empfehlungen schrittweise verbessert wird.“
Zuwendungsbescheid persönlich überreicht
Gefördert wird das Vorhaben „GenISys – Intelligentes System zur ressourcenschonenden Anlagenkonfiguration mit generativer KI-Technologie“ im Rahmen des Innovationswettbewerbs NEXT.IN.NRW vom Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen und der Europäischen Union mit Mitteln aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE-Programm NRW 2021-2027).
In Düsseldorf bekamen die Projektpartner ihren Zuwendungsbescheid vergangene Woche Mittwoch persönlich von Staatssekretärin Silke Krebs überreicht. Insgesamt wird das Vorhaben mit rund 1,3 Millionen Euro gefördert. Der Bergischen Universität stehen davon rund 450.000 Euro zur Verfügung.