Europas Hightech-Sonde Mars Express hält die Forscher seit mehr als einem Jahr mit Überraschungen in Atem. Die neuesten Erkenntnisse beleben den uralten Streit über Leben auf dem Roten Planeten.
Der für das Experiment mit dem Planetaren Fourier Spektrometer (PFS) verantwortliche italienische Chefwissenschaftler Vittorio Formisano vom Instituto Fisica Spazio Interplanetario in Rom hatte im September 2004 Schlagzeilen gemacht, als er Methan in der Marsatmosphäre aufspürte. Eine Entdeckung, die mittlerweile von anderen Forschern bestätigt worden ist und als unstrittig gilt. Auf der Erde ist Methan als ein übel riechendes Fäulnisgas bekannt, dass unter anderem durch bakterielle Zersetzungen produziert wird.
Als wahrscheinlichste Ursache für das Vorhandensein dieses Spurengases sah der italienische Forscher primitive Lebensformen an. Bekannt ist nämlich, dass Methan sowie Formaldehyd mit der Bildung komplexerer organischer Moleküle in Verbindung stehen können und somit als Indikator für mögliche biologische Lebensformen gelten. Zum Leidwesen Formisanos teilt die Wissenschaftswelt seine Schlussfolgerung nicht, da andere Herkunftsmöglichkeiten, wie Vulkanismus, Meteoriten- oder Kometeneinschläge, et cetera, nicht auszuschließen sind.
Bakterien als Indizienkette
Im Februar 2005 ließ Formisano mit einer weiteren Sensation aufhorchen, hatte er doch jetzt mit dem Spektrometer Formaldehyd entdeckt. Nach seinen Aussagen würde Formaldehyd, ein Zerfallsprodukt von Methan, in der Marsatmosphäre in einer „zehn bis zwanzig Mal höheren Konzentration als Methan“ vorkommen. Während Methan eine Lebenszeit von 300 bis 600 Jahren habe, so der italienische Forscher, könne sich Formaldehyd nur maximal 7,5 Stunden in der Marsatmosphäre halten. Folglich müsse dieses Spurengas ständig nachproduziert werden. Dies wiederum setzt einen kontinuierlichen Nachschub an Methan voraus.
Nach Formisanos Hochrechnungen müssten jährlich 2,5 Millionen Tonnen Methan auf dem Mars neu gebildet werden. Davon entfallen gerade einmal 100.000 Tonnen auf Vulkanismus oder Meteoriteneinschläge. Die Differenz könne nur durch Methan produzierende Bakterien bereitgestellt werden. Erhärtet wird seine Schlussfolgerung durch die ausgesprochen ungleichmäßige Verteilung des Gases. Die höchsten Methankonzentrationen fand er dort, wo auch die größten Mengen Wasserdampf gemessen wurden. Also genau in jenen Regionen, wo Formisano Methan produzierende Bakterien im Marsboden vermutet.
Forscher, die in ihrem Labor die Marsbedindungen simulierten, bestätigten, dass durch Oxidation von Methan Formaldehyd entsteht und binnen 7,5 Stunden zerfällt. Die Kernfrage lautet also: Wer oder was hat den Oxidationsprozess in Gang gesetzt?
Marsvulkane noch aktiv
Kritiker mahnen zur Vorsicht. NASA-Geologen geben zu bedenken, dass die innere Geologie des Mars noch weitgehend unbekannt ist, um derartige Aussagen treffen zu können. Auch der „Vater“ der deutschen Mars-Stereokamera, der Planetenforscher Gerhard Neukum, hält nichtbiologische Quellen, wie den Vulkanismus, für wahrscheinlicher: „Unsere neuesten Erkenntnisse zeigen, dass der Mars, anders als lange vermutet, bis in die jüngste Vergangenheit vulkanisch aktiv war und vielleicht noch heute ist.“
Das hat auch die erste Mars-Express-Wissenschaftskonferenz der ESA gezeigt, die vom 21. bis 25. Februar im Europäischen Weltraumforschungs- und -technologiezentrum ESTEC im niederländischen Noordwijk stattfand. Dort wurden neue Fotos von bestechender Qualität gezeigt. Sie belegen, wie Vulkanismus, Wind und Wetter, Wasser und Eis die Marsoberfläche bis in die jüngere Zeit geprägt haben.
Das Forscherteam um Neukum fand Hinweise auf heute noch aktive Gletscher. Neukum entdeckte aber auch ein äußerst junges Vulkangebiet am Nordpol mit bis zu 600 m hohen „Baby-Vulkanen“, die „sehr wahrscheinlich“ heute noch aktiv sind. Das ist eine echte Sensation, ging man doch bislang davon aus, dass die Vulkane seit mindestens 100 Millionen Jahren erloschen sind.
Nordsee am Mars-Äquator
Ein zentrales Thema der heutigen Marsforschung ist die Suche nach dem Wasser, seine Rolle bei der Formung der Planetenoberfläche sowie als Voraussetzung für die Entstehung von Leben. Dass Wasser in den Polbereichen, im Marsboden sowie in der -atmosphäre vorhanden ist, das wusste man bereits.
Ebenso war bekannt, dass der Rote Planet drastische klimatische Änderungen über Jahrmilliarden erlebt hat – von einem früheren, warmen Klima mit einer dichten Atmosphäre, gigantischen Mengen an flüssigem Wasser an der Oberfläche hin zum heutigen Zustand mit einer extrem ausgedünnten Atmosphäre und einer global anzutreffenden Eiswüste. Angesichts der niedrigen Druckverhältnisse war jedem Wissenschaftler klar: Wasser wird man heute nicht mehr an der Marsoberfläche antreffen können.
Umso verblüffter ist die Forscherwelt, dass sie auch diese Lehrmeinung ad acta legen muss. Der britische Geologe John Murray von der Open University in Milton Keynes präsentierte am 21. Februar auf der Konferenz in Noordwijk Bilder der deutschen hochauflösenden Stereokamera HRSC. Sie zeigen ein geheimnisvolles Packeisgebiet mit einer Ausdehnung von etwa 800 mal 900 km. Das von der Größe her mit der Nordsee vergleichbare Gebiet befindet sich nahe des Mars-Äquators in der Elysium-Ebene. Die Aufnahmen ähneln frappierend irdischen Bildern von antarktischen Eisschollen.
Diese Bilder erhärten den Verdacht, dass sich dort ein See befindet. Murray und seine Kollegen schätzen die Tiefe des „Eis-Sees“ auf 45 m. Der See soll erst vor fünf Millionen Jahren entstanden sein. Gemessen an dem Mars-Gesamtalter von 4,6 Milliarden Jahren ist das sehr jung. Aber weshalb blieb das Wassereis an der Oberfläche erhalten? Murray und seine Kollegen vermuten, dass eine Staubschicht den zufrierenden See bedeckte und ihn damit thermisch isolierte sowie konservierte.
Und wenn nun doch?
Formisanos Indizien bezüglich Methan produzierender Marsbakterien bekamen Ende Februar – nach der Noordwijker Konferenz – unerwartet irdische Nahrung. Ein internationales Wissenschaftlerteam um den deutschen Mikrobiologen Axel Schippers, an dem auch Forscher des Bremer Max-Planck-Institutes für marine Mikrobiologie sowie des GeoForschungsZentrums Potsdam beteiligt sind, fand in Bohrkernen aus dem östlichen Pazifik weit unterhalb des Meeresbodens lebende Bakterien in bis zu 16 Millionen Jahre alten Sedimenten.
Bislang galt Leben in diesen Regionen für ausgeschlossen. Die von Schippers und seinen Kollegen unter dem Meeresgrund entdeckten Bakterien produzieren Methan in einer Größenordnung, die zum Treibhauseffekt auf der Erde beitragen könnte.
Der Streit um Leben auf dem Mars wird damit in die nächste Runde gehen. Gerhard Schwehm, Leiter für planetare Missionen bei der ESA, resümiert die angeregten Diskussionen: „Formisanos Erkenntnisse stellen zwar Indizien für die Existenz biologischer Lebensformen dar, sind aber letztlich keine stichhaltigen Beweise. Dazu müsste man hinfliegen und vor Ort genauer nachschauen oder Marsboden zur Erde zurückbringen. Es bleibt auf jeden Fall spannend!“