Herrenknecht aus dem südbadischen Schwanau bei Offenburg entwickelt und baut spektakulär große Tunnelbohrmaschinen für Straßen und Eisenbahnen. Außerdem produziert das Unternehmen Vortriebstechnik für unterirdische Versorgungstunnel, in denen neben Wasser- und Abwasserleitungen auch Gas- und Ölpipelines oder Strom- und Telefonleitungen verlegt werden können. Vor allem in dicht besiedelten Gebieten bietet der grabenlose Tunnelvortrieb einen entscheidenden Vorteil gegenüber konventionellen Bauverfahren: Verkehr, Wirtschaft und Umwelt bleiben von den Bauarbeiten weitgehend unberührt.
Horizontalbohrungen
„Um Leitungen und Pipelines grabenlos zu verlegen, wird häufig das sogenannte Horizontal Directional Drilling (HDD) eingesetzt, ein Horizontalspülbohrverfahren. Damit ist ein schnelles, kostengünstiges und umweltschonendes Verlegen möglich – selbst unter Hindernissen wie Flüssen hindurch“, erläutert Marco Wieber, Projektleiter Pipeline bei Herrenknecht. Beim HDD-Verfahren wird zunächst eine Pilotbohrung vorangetrieben, die in einem zweiten Durchgang auf den Solldurchmesser aufgeweitet wird. Im dritten Durchgang wird dann die endgültige Pipeline eingezogen. Um während der Bohrung die Bohrwände zu schmieren, das Bohrloch zu stabilisieren und das Bohrgut aus dem Bohrloch zu transportieren, wird ein Wasser-Bentonit-Gemisch durch das Bohrgestänge hindurch bis zum Bohrmeißel gepumpt. Die dabei eingesetzten Pumpen arbeiten mit bis zu 100 bar Druck und können je nach Ausführung mehrere Kubikmeter Bentonit-Suspension pro Minute fördern. Hierfür müssen die Pumpen Leistungen von mehreren hundert Kilowatt aufbringen. Sie sind so groß, dass sie mitsamt ihrem Antrieb einen eigenen Container benötigen.
Elektroantrieb löst Probleme
„Im Rahmen unserer Marktbeobachtung haben wir den wachsenden Bedarf an einer Antriebsalternative erkannt und dann entschieden, für die Suspensionspumpen unserer HDD-Rigs der Baureihe HK 250T auch einen elektrisch angetriebenen Prototyp zu entwickeln“, erklärt Marco Wieber. Die elektrischen Antriebe bieten gegenüber Dieselantrieben eine Reihe von Vorteilen:
Elektromotoren arbeiten emissionsfrei und geräuscharm; auf innerstädtischen Baustellen ein Pluspunkt.
Der Anwender ist wesentlich flexibler, weil er den Elektromotor entweder an ein vorhandenes Netz anschließen oder einen lokal angemieteten Stromerzeuger nutzen kann; der Transport der Stromversorgung entfällt also.
Sorgfältige Getriebeauswahl
Die Leistung des Elektromotors wird über ein Getriebe auf die Suspensionspumpe übertragen. „Bei Antriebsleistungen von rund 300 kW und höchsten Anforderungen an die Zuverlässigkeit sind wir bei der Getriebeauswahl mit größter Sorgfalt vorgegangen. Gemeinsam mit SEW-Eurodrive haben wir nach einer optimalen Lösung gesucht“, berichtet Mario Studer, Leiter Konstruktion im HDD-Bereich.
Die Suche hat sich gelohnt: Mit einer Kombination aus Elektromotor, Bolzenkupplung und Getriebe bot SEW-Eurodrive auf Anhieb eine passende Lösung an, die anhand detaillierter Berechnungen zur Lagerlebensdauer, Verzahnung und Wärmeentwicklung noch weiterentwickelt wurde. „Die vorgeschlagene Lösung basiert auf unseren Industriegetrieben der Baureihe X“, erläutert Thomas Weck vom Außendienst Industriegetriebe bei SEW-Eurodrive. Dank ihrer Baukasten-Technologie, eines großen Übersetzungsbereichs, 23 verfügbaren Baugrößen und universellen Einbaulagen lassen sich diese Stirnrad- beziehungsweise Kegelstirnradgetriebe genau an die jeweiligen Anforderungen anpassen. Nach einer Analyse fiel die Entscheidung, im HDD-Rig von Herrenknecht ein Getriebe des Typs X2FS160 einzubauen, das für ein Nenndrehmoment von 31,6 kNm ausgelegt ist.
Verlässliche Getriebekühlung
Da sich der Motor und das Getriebe auf einer gemeinsamen Konsole befinden, können sie außen montiert und dann fertig in den Container geschoben werden. Die beiden Komponenten sind über eine Bolzenkupplung verbunden, so dass sich das Getriebe im Container jederzeit nach oben herausnehmen lässt. Um eine verlässliche Kühlung des Getriebes zu gewährleisten, ist ein externer Öl-/Luftkühler installiert, der ab einer Temperatur von 60 °C aktiviert wird. Dieser Wert berücksichtigt, dass sich die Lebensdauer des Getriebeöls bei Temperaturen über 70 °C deutlich verringert.
Weniger Kosten
Durch den Wegfall der Hydraulikpumpe und des Hydraulikmotors, gepaart mit einem Wirkungsgrad des SEW-Getriebes von nahezu 98 Prozent, ist die gesamte Anlage nicht nur leichter und effizienter, sondern auch kostengünstiger geworden.
Die wegfallenden Komponenten führen zu erheblichen Ersparnissen beim eingesetzten Material, ermöglichen aber auch einen vereinfachten Aufbau und eine leichtere Montage, da viele Verschlauchungen und Verrohrungen entfallen. Anders als ein Dieselmotor verursacht der Elektroantrieb kaum Wartungskosten. Zudem lässt sich die Drehzahl durch die Speisung über einen Frequenzumrichter bis auf null herunterregeln, um sie genau an den aktuellen Förderbedarf anzupassen. Marco Wieber blickt jedenfalls optimistisch in die Zukunft: „Wir sind uns sicher, dass die neue Antriebsvariante gut auf dem Markt ankommen wird – und dass wir unseren Kunden mit dem SEW-Getriebe auch weiterhin die zuverlässige Technik liefern, die sie traditionell von uns erwarten.“