Vor dem Hintergrund der Elektromobilität spielt die Perspektive der Automobilindustrie vor allem für deren Zulieferer eine zunehmend wichtigere Rolle: Die Linamar Seissenschmidt Forging Group (LSF) ist hier für die Zukunft gut aufgestellt, denn sie hat bereits einige Aufträge für Produkte der E-Mobilität gewinnen können. Das Fertigungsprogramm der Unternehmensgruppe mit Hauptsitz in Plettenberg umfasst unter anderem Präzisionskomponenten für Getriebe, Motoren, Differenziale, Achsen, Gelenkwellen sowie für Antrieb und Fahrwerk.
Ein großer und wichtiger Auftrag kam von einem namhaften Kunden für ein Getrieberad. Geschmiedet wird das Getrieberad auf vollautomatischen Hatebur-Pressen in Plettenberg und auch die mechanische Bearbeitung erfolgt an diesem Standort. Eine Herausforderung neben dem Schmieden auf dem Hatebur-Aggregat lag dabei in der mechanischen Bearbeitung des Bauteils.
Für die mechanische Bearbeitung des Getrieberades sollten drei unterschiedliche Prozessschritte an zwei Bearbeitungsmaschinen sowie einem Nadelpräger sinnvoll und gleichzeitig wirtschaftlich miteinander verknüpft werden. Um diese Herausforderung bzw. diesen Prozess so intelligent und effizient wie möglich zu lösen, wurde abteilungsübergreifend unter dem Thema „kollaborative Robotik“ eng zusammengearbeitet.
Cobot sorgt für Entlastung
Bei der kollaborativen Robotik arbeiten Mensch und Maschine Hand in Hand an einem Arbeitsplatz. Die kollaborative Robotik benötigt dabei keine Einzäunung, da die Technologie dieses Roboters viel sensibler ist als die von konventionellen Robotern. Aufgrund der intelligenteren Steuerungstechnik kann der Roboter viel enger mit dem Menschen zusammenarbeiten.
Jeder kollaborative Roboter, auch bekannt als Cobot, muss zudem vom TÜV abgenommen und für die kollaborative Arbeit zugelassen werden. Darüber hinaus kann auch der ausgewählte Greifer des Cobots vom TÜV zum Einsatz kollaborativer Robotik freigegeben werden. So soll gewährleistet sein, dass die Sicherheit der Mitarbeiter jederzeit gegeben ist. Wichtig anzumerken ist, dass der Roboter den Menschen nicht ersetzen, sondern ihn bei seinen Tätigkeiten unterstützen soll.
Für den Auftrag des Getrieberads wurde nun ein solcher Cobot von Universal Robots zwischen zwei Bearbeitungsmaschinen platziert, welcher dem Maschinenbediener zuarbeitet. Der Roboter übernimmt dabei den Transport des Bauteils zwischen der ersten und der zweiten Bearbeitungsmaschine sowie hin zur Nadelprägung.
Der Maschinenbediener kann sich durch die Entlastung nun intensiver der eigentlichen Qualität der Bearbeitung der Rohteile sowie dessen Prüfung widmen. Gleichzeitig wird die Produktivität der Bearbeitungsmaschine durch den Einsatz eines kollaborativen Roboters und die daraus resultierende Verkürzung der Zwischenschritte im Bearbeitungsprozess erhöht. Im Vordergrund dieser Teilautomation steht die Entlastung des Maschinenbedieners von zeitintensiven und monotonen Zwischenschritten.
Testversuche mit verschiedenen Greifern
Bevor sich Linamar Seissenschmidt Forging für den Greifer der Zimmer Group entschieden hat, wurden intern verschiedene Arten von Greifern unter Laborbedingungen getestet. Eine Herausforderung lag darin, einen Greifer zu finden, der die benötigte Greifkraft hat, Schmiedebauteile zu bewegen und gleichzeitig die Sicherheit der Mitarbeiter zu gewährleisten. Auch wenn die intelligente Robotertechnik TÜV-zertifiziert ist und somit die offizielle Genehmigung hat, uneingezäunt in der Produktion zu agieren, ist das Team von LSF bei dem Pilotprojekt auf Nummer sicher gegangen.
Das heißt, dass der dort eingesetzte Cobot zusätzlich, auch wenn dies keine Vorschrift ist, mit einem Laser abgesichert wurde. Ähnlich wie bei der Interaktionsform der Koexistenz, erfasst der Laser Bewegungen in dem Aufenthaltsbereich des Roboters. Befindet sich etwas in diesem Bereich, verlangsamt sich die Bewegung des Cobots.
Hohe Greifkraft
Neben der Sicherheit des Greifers war für die Auswahl auch die maximale Greifkraft entscheidend, welche den Anforderungen des Bauteils aus dem Pilotprojekt gerecht wird. Jeder MRK-Greifer hat nach ISO TS 15066 eine zugelassene maximale Greifkraft, welche aus Sicherheitsgründen nicht überschritten werden darf. Durch die zusätzliche Absicherung des Laserscanners konnte jedoch ein konventioneller Greifer mit einer (in Anlehnung an die ISO TS 15066 Richtlinie) für das Bauteil höheren relevanten Greifkraft verwendet werden.
Entschieden wurde sich final für das Modell GEP5006IL – ein elektronischer, sogenannter 2-Backen-Parallelgreifer des Greiferspezialisten Zimmer Group. Dieser hat eine hohe Greifkraft und gleichzeitig eine mechanische Selbsthemmung bei Stromabfall, was für die Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Greifers spricht. Darüber hinaus ist die Ansteuerung per Human-Machine-Interface (HMI) bei Zimmer-Komponenten, die an Robotern von Universal Robots eingesetzt werden, bereits in die Bedienoberfläche des Roboters integriert – ein Feature, das grundsätzlich auch bei Robotern anderer Hersteller realisiert werden kann.
Programmierung für Jedermann
Auch innerhalb der kollaborativen Robotik gibt es unterschiedliche Steuerungstechniken. Bei dem Pilotprojekt von LSF lag der Fokus darin, den Cobot effizient und flexibel in der Produktion einsetzen zu können. Daher wurde bei der Auswahl auch auf eine einfache Bedienung des Roboters geachtet.
Überzeugend ist die einfache Bedienbarkeit, insbesondere im Zusammenspiel mit dem Greifer. Wo früher aufwendige Programmierungsarbeiten und komplexe Programmierkenntnisse gefordert waren, lässt sich der Cobot von Universal Robots und sein Greifer sehr einfach bedienen. Gesteuert oder programmiert wird dieser direkt durch das Roboter-Bedienpanel, welches intuitiv aufgebaut ist – vergleichbar mit einer Smartphone-App.
Der Piloteinsatz des Cobots in der mechanischen Bearbeitung von LSF eröffnet neue Möglichkeiten im Hinblick auf Effizienz und Flexibilität. Durch die einfache Bedienbarkeit sowie Installation des intelligenten Roboters und seines Greifers, kann der Automobilzulieferer nun der steigenden Individualisierung ein Stück weit mehr gerecht werden. Insbesondere für zukünftige Pläne zum Einsatz der Mensch-Maschine-Kollaboration ist dies von großem Vorteil für LSF.
Weitere Cobots in Planung
Wenn das LSF-Pilotprojekt sich auch in der Praxis als erfolgreich beweist, kann sich der Automobilzulieferer eine Ausweitung dieser Technologie bei sich im Hause vorstellen. Besonders wichtig ist dem Unternehmen hierbei jedoch, dass die Mitarbeiter von der kollaborativen Zusammenarbeit profitieren. Die Cobots mit ihren Greifern sollen eine Entlastung für den jeweiligen Maschinenbediener darstellen.