Sie nehmen Bezug auf die Aussage, Daten seien das neue Öl beziehungsweise eine Währung. Könnten Sie das erläutern?
Vor einhundert Jahren war es das Öl, das die Maschine angetrieben hat – heute sind es die Daten. Der wichtigere Punkt ist aber, dass es heute die Daten sind, über die sich Maschinen und Produkte differenzieren – nicht so sehr die Mechanik. Die Unterscheidungen, die es jetzt geben kann, liegen entweder darin, dass die Prozesse produktiver werden – und das werden sie nicht durch die Geschwindigkeit von Maschinen, sondern durch die Reduktion geplanter Stillstandszeiten und durch die Vernetzung von ERP-System und Maschine. Deswegen wird die Art und Weise, wie ein Unternehmen Daten nutzt, der differenzierende Faktor sein.
Kunden haben Maschinendaten noch in Papierform. Ist das eines der größten Hemmnisse für die Digitalisierung? Dass alles noch so un-digital ist?
Ich denke schon. Es wird oft darüber diskutiert, was das große Hemmnis ist. Sind es die Menschen, die das nicht wollen, oder ist es doch die Technik, die das nicht kann? Ich glaube, dass es im Wesentlichen weiterhin die Technik ist. Natürlich haben wir einen Riesenbedarf, Menschen an die Technik heranzuführen, zu schulen, zu befähigen. Die industriellen Prozesse sind sehr stark auf Zuverlässigkeit ausgelegt. Deswegen ist die Industrie auch relativ langsam; nicht, weil sie so träge ist, sondern weil Zuverlässigkeit und Sicherheitstechnik das A und O sind. Erst wenn technische Vernetzung 100-prozentig funktioniert und verlässlich ist, wird umgestellt. Obwohl sich die Technik extrem schnell entwickelt, ist sie am Ende momentan trotzdem noch der begrenzende Faktor.
Was bedeutet die Digitalisierung für die Kabelindustrie? Und machen Drahtlos-Technologien nicht Kabel in Zukunft überflüssig?
Zunächst einmal möchte ich sagen, dass wir uns nicht als Kabelhersteller sehen, sondern als Anbieter von Verbindungslösungen, und wir setzen immer die Lösung um, die für den jeweiligen Anwendungsfall sinnvoll ist. Wir sehen grundsätzlich zwei Trends: einerseits zu höheren Datenraten und Frequenzen und andererseits zu einer schnell wachsenden Zahl einfacher Sensoren, die schnell und kostengünstig ins Netzwerk eingebunden werden müssen. Teilweise bieten sich dafür sicher Drahtlos-Lösungen an, in den meisten Fällen aber leitungsbasierte Technologien. Und auch zu jedem Wireless Access Point wird ein Kabel führen. Wir gehen daher davon aus, dass die Digitalisierung zu einer deutlichen Zunahme leitungsbasierter Datenkommunikation führen wird.
Sind Sie bei Lapp schon Industrie-4.0-
ready und können Sie die Losgröße 1 als Königsdisziplin?
Zunächst sind wir eher in der Prozessindustrie als der Stückfertigung, die Losgröße ist also in vielen Bereichen nicht die richtige Kategorie. Wie viele Unternehmen sind wir aber auf dem Weg zu einer sehr flexiblen Produktion, die schnell auf individuelle Kundenanforderungen reagieren kann. Entsprechende Projekte haben wir in unseren Werken umgesetzt, die dazu dienen, die Transparenz zu erhöhen und kleinere Regelkreise, und damit schnellere Reaktionen zu ermöglichen. Tatsächlich liegt unser Hauptaugenmerk auf der Kundenanbindung. In Summe würde ich sagen, dass wir uns im vorderen Mittelfeld bewegen. Vorbild sind wir noch nicht, aber schon ganz gut dabei.
Sie haben gesagt, dass Sie für die Sparte industrielle Datenkommunikation bei Lapp ein jährliches Wachstum von 25 Prozent erwarten. Das ist durch Digitalisierung und Industrie 4.0 doch bestimmt locker zu schaffen?
Grundsätzlich ist es vom Markt her sicherlich zu schaffen. In dem Spiel werden die Karten aber komplett neu gemischt – das sehen wir in der gesamten Industrie und dem Wettbewerb. Die Claims, die jeder bespielt hat, werden in Frage gestellt, neue Spieler kommen rein, jeder will mitmachen, das heißt auch wenn der Markt so stark wächst, fällt einem das Wachstum nicht in den Schoß, denn viele wollen ein Stück von dem Kuchen haben. Ich glaube, es geht vor allem darum, unsere Mitarbeiter besonders im Vertriebsbereich so zu befähigen, dass sie tatsächlich Herr der Technik sind, beraten können und einen wirklichen Mehrwert bieten. Wir haben deswegen eine sehr breite Qualifizierungsoffensive gestartet, damit unsere Leute ihren veränderten Rollen gerecht werden können. Dafür muss mancher seine Komfortzone verlassen, und das ist nicht immer einfach, aber die Rückmeldung die wir bekommen ist extrem positiv. Die Leute sehen, dass sie vor der Veränderung keine Angst zu haben brauchen.
Sie hatten auch einmal gesagt, dass Lapp der „Kundenversteher für die industrielle Datenkommunikation“ sei – obwohl dieser Bereich bisher nur einen geringen Anteil an Ihrem Umsatz ausmacht. Müssen Sie da nur an Know-how zulegen, oder ist es auch ein Learning vom Kunden?
Alles. Der Umsatzanteil sagt ja eigentlich nichts darüber aus, ob ich schon ein guter Kundenversteher bin oder nicht, selbst wenn es auf andere Geschäfte bezogen ist. Wir verkaufen in Afrika Infrastruktur-Kabel, das macht auch Umsatz. Das heißt nicht, dass wir ein schlechter Kundenversteher sind. Zulegen müssen wir tatsächlich im Denken in Applikationen: Ich muss wissen, wie eine Werkzeugmaschine aussieht, wie sie funktioniert, welche Datenkommunikation dafür nötig ist und welche Produkte gebraucht werden. Die Protokolle und Topologien verändern sich, das heißt wir brauchen neue Produkte und die Innovationszyklen werden kürzer werden. Es gibt noch viele Hürden zu überwinden, aber die Leute haben erkannt, dass dies – trotz vieler Herausforderungen – die Zukunft ist. Unsere Mitarbeiter wären extrem irritiert, wenn wir sagen: „Entspannt Euch, alles geht so weiter wie immer.“ Sie sehen es sportlich, sehen, dass die Welt anders und die Chancen für uns riesig sind.
Sie hatten vorhin kurz über Kooperationen gesprochen. Jetzt hat Leoni eine Kooperation mit Microsoft. Streben Sie auch Kooperationen dieser Art an?
Grundsätzlich ist es in der elektrotechnischen Industrie heute schon so, dass es viele Verbindungen gibt - entweder über die Produkte, die man woanders kauft, oder die gegenseitige Ergänzung an anderer Stelle. In diesem Jahr haben wir bei einem Kunden Wireless-Applikationen installiert, was wir auch nicht selbst, sondern mit einem Partner gemacht haben. Kooperationen werden auf alle Fälle kommen. Ich nehme es so wahr, dass es eine große Bereitschaft in der Industrie gibt, darüber zu reden. Es finden unglaublich viele Gespräche statt, in denen das ausgelotet wird. So richtig schnackeln tut es noch nicht. Vom Wettbewerb will ich es nicht unbedingt kommentieren; es ist schon ganz gut vermarktet. Das intelligente Kabel ist ein Ladekabel fürs Auto mit Temperatursensoren … Das hat unser Ladekabel auch, ich habe es nicht als intelligentes Kabel kommuniziert. Ich will es nicht werten; es ist alles so ein bisschen Ausloten, Experimentieren. Und das tut uns sicherlich auch gut. Stark merke ich es, wenn es um Produktinnovationen geht und wir uns mit anderen Unternehmen zusammensetzen, die teilweise aus einem anderen Kontext kommen. So etwas ist für uns immer gut. Letztes Jahr beispielsweise mit Bachmann zu dem Thema Gleichstrom. Bei solchen Dingern gibt es kein direktes Konkurrenzverhältnis; es ergänzt sich und bringt große Offenheit mit. Da halten wir Augen und Ohren offen und sind immer gesprächsbereit.
Wie viel Wachstum erwarten Sie im Bereich Industrie 4.0?
Im Hinblick auf die Ethernet-basierten Technologien erwarte ich 25 Prozent. Schaut man den Gesamtbereich industrieller Datenkommunikation an, inklusive der Bus-Technologien, die teilweise schlichtweg abgelöst werden, ist mit 20 Prozent zu rechnen. Das sind Zahlen, bei denen alle schlucken. Aber wie Sie eben schon gesagt haben: Der Markt wächst so stark. Und das heißt, dass es darum geht, mitzumachen – nicht in einem Verdrängungswettbewerb, sondern in der Mitgestaltung des Marktes.