Wo Pixel mit der Realität verschmelzen „Industrial Metaverse“ setzt neue Impulse für Industrie 4.0

Da viele verschiedene Datenräume existieren und verschiedenste Anwendungsfälle im Metaverse abgebildet werden, bekommt die Standardisierung einen zunehmend hohen Stellenwert.

Bild: DALL·E, publish-industry
08.07.2024

Das industrielle Metaverse bezeichnet eine virtuelle Welt, in der reale Objekte wie Maschinen, Gebäude, Netzwerke und Transportsysteme miteinander verbunden sind, sogar in Echtzeit. Die Diskussion der Möglichkeiten zur Optimierung und Effizienzsteigerung industrieller Prozesse durch den Einsatz des industriellen Metaverse stand kürzlich im Mittelpunkt einer Veranstaltung mit rund 80 Teilnehmenden, welche vom Institut für Produktion und Informatik der Hochschule Kempten im Gründerzentrum Allgäu Digital organisiert wurde.

Probleme identifizieren und beheben, noch bevor sie überhaupt entstehen, in einer virtuell abgebildeten Maschine dutzende Parameter aufeinander abstimmen, noch bevor es die Maschine real überhaupt gibt: Das Industrial Metaverse ermöglicht die nahtlose Integration von digitalen und physischen Prozessen in der Produktion und Logistik. Durch virtuelle Umgebungen können Unternehmen ihre Produktionsabläufe optimieren, effizienter arbeiten und die Qualität ihrer Produkte verbessern.

Tausende Szenarien täglich können simuliert werden, um das beste davon herauszufinden. Beispielsweise, um einen Monat Zeitersparnis in der Produktion zu generieren, was vor allem bei Lieferengpässen ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein kann. „Das Industrial Metaverse ist jedoch keine neue Technologie, sondern eine Kombination bestehender Technologien der Industrie 4.0“, erläutert Marco Ullrich, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Produktion und Informatik der Hochschule Kempten.

Fortschritt durch vielfältige Technologie

Das Konglomerat an verschiedenen Werkzeugen und Methoden wie Künstlicher Intelligenz (KI), Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR), Internet of Things (IoT) ermöglicht eine reibungslose Funktion und Interaktion zwischen Menschen und Produktionsumgebungen. Eine weitere Schlüsseltechnologie ist dabei bereits weit fortgeschritten und im täglichen Einsatz: Der digitale Zwilling, das digitale Abbild eines materiellen oder immateriellen Objekts aus der realen Welt in der digitalen Welt. Daran wird am IPI Sonthofen, einem Außenstandort der Hochschule Kempten, gemeinsam mit Kooperationspartnern aus der Industrie intensiv geforscht.

Das Darstellen und Rendern, also Erstellen einer Grafik aus Rohdaten, von digitalen Zwillingen ist jedoch nicht die größte Hürde für Unternehmen. „Unserer Erfahrung nach spielt das Datenmanagement, die Datendurchgängigkeit und Anbindung von bestehenden Systemen eine größere Rolle“, erklärt Institutsleiter Professor Bernd Lüdemann-Ravit. Cloudlösungen oder Rendering mit hohem Hardwareaufwand können für Unternehmen vor allem am Anfang kostspielige Investitionen zu einem Zeitpunkt sein, zu dem der Nutzen noch nicht konkret beziffert werden kann.

„Die Herausforderungen liegen zudem in Standardisierungen von Datenformaten und Datentransfermedien, um eine ganzheitliche, wertschöpfende Datendurchgängigkeit vom Lieferanten hin zum Endkunden zu ermöglichen“, ergänzt Marco Ullrich. Vor allem für den Mittelstand eine Herausforderung, bei dieser digitalen Transformation finanziell mitzuhalten. Um den eigenen Nutzen zu beziffern, braucht es vor allem konkrete Anwendungsfälle.

Hin zur Demokratisierung der virtuellen Welten

Da Standards und eingesetzte Technologien oft von investitionsstarken OEM wie Automobilherstellern an Zulieferer und den Mittelstand transferiert werden, war es Ziel der vom IPI organisierten Netzwerkveranstaltung zu Industrial Metaverse, auf den Markt der „Big Player“ zu blicken, um Strategien und Anwendungsfälle für den Mittelstand abzuleiten. Aus der Perspektive von führenden Systemanbietern und Anwendern wie Nvidia, Mercedes-Benz, Neoception, ISG Industrielle Steuerungstechnik, Ascon Systems, Drees & Sommer, Kuka, Continental, und SyncTwin (Ipolog) wurden die Chancen und Herausforderungen deutlich: Weg vom Denken in Experten-Silos, hin zur Demokratisierung der virtuellen Welten.

Da viele verschiedene Datenräume existieren und verschiedenste Anwendungsfälle im Metaverse abgebildet werden, bekommt die Standardisierung einen zunehmend hohen Stellenwert. Die sogenannte Asset Administration Shell, also Verwaltungsschale, kann beispielsweise als Datencontainer-Standard eingesetzt werden. Ein Datencontainer besteht dabei aus vorab definierten Submodellen, ähnlich einer Patientenakte, die aus festen Rubriken wie Name, Adresse, Kontaktdaten, Anamnese et cetera besteht. In der Produktion werden Submodelle genutzt, um digitale Zwillinge mit verschiedenen Eigenschaften zu bauen.

Bewährte Verfahren und Standards für die Erstellung und Verwaltung digitaler Zwillinge zu etablieren ist Hauptaufgabe der Industrial Digital Twin Association (IDTA), bei dem das IPI als Technologietransferzentrum seit 2023 Mitglied ist. Die rund 80 Teilnehmenden bekamen bei der ganztägigen Netzwerkveranstaltung am 26. Juni eindrucksvoll vor Augen geführt, dass Industrial Metaverse nicht erst morgen, sondern bereits jetzt ist. Die zu diesem Thema bereits zweite vom IPI veranstaltete Tagung fand diesmal in Kooperation mit der Wirtschaftsförderung Landkreis Ravensburg, dem TIM Transformationsnetzwerk und Allgäu Digital Kempten statt.

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