Noch vor zwei Jahren herrschte vor allem Unsicherheit, wenn die Sprache auf Big Data und Cloud Computing kam. Sind die Daten sicher? Wie soll man die nötigen Daten-Analysten finden? Lohnen sich die Investitionen überhaupt?
Inzwischen ist der Markt reifer geworden, IT und Industrie haben sich angenähert, und die Debatte verlagert sich langsam weg von den Risiken und hin zu den Chancen. Für Dr. Thomas Holm von Wago sind die angesprochenen Technologien Hilfsmittel, um Komplexität beherrschbar zu machen. Man sei heute nicht mehr in der Lage, alle Abhängigkeiten sehen zu können, dazu ist die Datenlage bereits jetzt zu komplex. Für Alexandre Mendes von Siemens stellen Big Data und Cloud Computing in erster Linie Möglichkeiten für neue Geschäftsfelder und -Modelle dar, in einem Markt, der sich aufgrund steigender Connectivity immer schneller verändert. Dass die Datenmenge steigt und diese immer besser verfügbar ist, auch mobil, steht bei Rebekka Heiland von Sensor-Technik Wiedemann an erster Stelle. Der Mehrwert der sich daraus ergibt, sei die Möglichkeit, Geschäftsprozesse zu optimieren. Neue Geschäftsmodelle werde es nicht nur beim Kunden geben, sondern auch bei den Herstellern selbst, ist Reiner Grübmeyer überzeugt. Die Signale stehen klar auf mehr Software und mehr Services.
Sehr schnell war sich die Runde einig, was die Erfolgsfaktoren der benötigten Lösungen betrifft. Während früher Signalflanken vermessen und aufwändig programmiert wurde, müssen die Anwender sich heute stärker auf die Analytik der Daten konzentrieren. Damit verschieben sich die Anforderungen an Mensch und Maschine: bereits vorausgesetzt wird eine weitgehend gebrauchsfertige Verbindungstechnik, die durch einfache Konfiguration in Betrieb zu nehmen ist und verlässliche Sicherheitsmaßnahmen integriert hat. Was dann noch fehlt ist eine Anwendung, die die Komplexität der Datenflüsse und Verbindungswege reduziert, um dem Anwender auch hier das Leben zu erleichtern.
Sicherheit ist Pflicht
Grübmeyer betonte jedoch, dass die IT-Sicherheit nach wie vor ein zentraler Aspekt sei, den man nicht als erledigt abhaken dürfe. Die Kunden müssten den Lösungen vertrauen können, nur unter dieser Voraussetzung seien sie bereit, die Analytik in der Cloud zu akzeptieren. Daher bleibe es eine vordringliche Aufgabe der Hersteller, verlässliche Security-Funktionen in ihre Produkte zu integrieren. Holm verweist zudem auf einen geänderten Paradigmenwechsel: Auf Defense in Depth folge nun Security by Design, wonach jede Komponente für sich sicher sein muss. Diese Anforderung ergibt sich aus der Tatsache, dass IT- und Automatisierungstechnik immer enger verzahnt werden und die Netze durchlässiger werden müssen. Die Brücke zwischen den beiden Welten, das sei letztlich die Cloud, wie Rebekka Heiland formulierte – die Sensordaten auf der einen Seite, die Analytik auf der anderen.
Nach wie vor ein Streitpunkt ist die Frage, welche Daten überhaupt in die Cloud übertragen werden sollen. Hier gibt es zwei konträre Ansätze. Der erste zielt darauf ab, den vollständigen Datenstrom zu sichern. Dies ist allerdings nur realisierbar, wenn die zur Verfügung stehenden Verbindungen den Datenstrom auch bewältigen können. Bei den von STW ausgestatteten mobilen Arbeitsmaschinen werden dort die Daten auf die relevanten Variablen beschränkt und teilweise aggregiert. Nur diese reduzierte Datenmenge wird dann in die Cloud übertragen. Der Bedarf an Daten ergebe sich aus dem Geschäftsmodell, entgegnete Mendes. Es sei heute noch gar nicht abschätzbar, wie diese in Zukunft aussehen. Nur eine vollständige Datenspeicherung gebe dem Anwender alle Freiheiten, eigene Anwendungen zu kreieren. Er hat mit einem ganz anderen Problem zu kämpfen: Die unterschiedlichen Gesetze der einzelnen EU-Staaten machten das europaweite Geschäft mit Daten sehr schwierig, berichtet er.
Wolke an Wolke
Und noch ein Punkt könnte die Entwicklung künftig bremsen: Die Anbieter vertrauen sich gegenseitig nicht. „Wenn ich für eine sichere Verbindung verantwortlich bin, dann muss ich auch den Endpunkt der Verschlüsselung kontrollieren können. Deshalb sind wir der Meinung, dass man um die eigene Cloud mit entsprechenden Zertifikaten, Kryptographie-Mechanismen und so weiter, nicht herum kommt“, stellte Dr. Thomas Holm klar. Die anderen Teilnehmer stimmten ihm da zu – was natürlich bedeutet, dass jeder sein eigenes System, vom Sensor bis zur Cloud-Plattform, propagiert.
Wobei dies keine geschlossenen Systeme sind: „Wir sind offen dafür, Sensoren anderer Hersteller mit einzubinden“, betont Rebekka Heiland. Realisiert wird dies über das TC3G-Modul, das direkt auf den CAN-Bus zugreift. Damit kommt die Infrastruktur-Basis dann aus einer Hand, und auch die Daten liegen in der STW-Lösung machines.cloud. Bei Kontron und Siemens sieht es ähnlich aus. Und auch ein Datenaustausch von Wolke zu Wolke ist möglich. Aber eben nicht die direkte Zusammenarbeit in einer einzigen Cloud.
Das bedeutet jedoch nicht, dass die Unternehmen selbst die Infrastruktur in Form von Rechenzentren betreiben. Sie haben aber jeweils eigene Plattformen geschaffen, die ihre Anwendungen in verschiedenen Rechenzentren laufen lassen. Siemens setzt bei Mindsphere beispielsweise aktuell auf Infrastruktur von SAP. Demnächst sollen aber auch Services von Atos, Amazon und anderen Unternehmen nutzbar werden.
OEM-Geschäft von morgen ...
Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass Industrie 4.0 nicht in erster Linie ein Technikthema ist, sondern die Geschäftsmodelle betrifft. Doch inwieweit befassen sich die Interessenten von Big Data und Cloud Computing bereits mit dieser Frage? Bei Sensor-Technik Wiedemann ist dies stets Teil des Kundengesprächs. Und die Antwort „Wir wollen alle Daten in der Cloud haben“, sei da nicht ausreichend, versichert die STW-Vertreterin. In einem solchen Fall müsse man sich intensiver austauschen.
Bei Kontron hat die veränderte Sicht der Kunden zur Folge, dass diese sich immer weniger für die Rechnerarchitekturen oder -Spezifikationen interessieren. Es müsse nur sichergestellt sein, dass die gewünschte Applikation auf der Hardware laufe. Ein Teil der OEMs sei erstaunlich gut im Bilde über datenzentrierte Geschäftsmodelle. Andere seien noch nicht so weit, werden aber von den Kunden getrieben, sich damit zu befassen, so Grübmeyers Erfahrungen. Beim Beratungsbedarf gebe es daher in seiner Klientel eine hohe Bandbreite.
Alexandre Mendes berichtet, dass einige OEMs ihr Geschäftsmodell ändern möchten und nicht mehr die Maschinen selbst verkaufen, sondern deren Output. Auf der anderen Seite habe man es immer öfter auch mit Playern zu tun, die nicht aus der Industrie stammen, zum Beispiel Consultants mit kreativen Geschäftsideen. „Die warten nur darauf, dass das IoT ins Laufen kommt und sie ihre Ideen umsetzen können.“
Tatsächlich erwarten alle Roundtable-Teilnehmer für das kommende Jahr ein starkes Wachstum im IoT-Markt. Ein Grund dafür sind kostengünstigere Gateways, die mit einfach zu bedienenden Applikationen kombiniert sind. Auf der kommenden SPS IPC Drives werden viele solcher Lösungen zu sehen sein. Mendes weist darauf hin, dass die Anbindung einer Verfügbarkeitslösung vor zwei bis drei Jahren noch Kosten zwischen 2000 und 15.000 Euro pro Maschine verursacht hätte. Mit einer Softwareanbindung über Mindconnect-Technologie, die beispielsweise in Sinumerik-Steuerungen integriert ist, kostet dies heute fast nichts mehr. Dadurch lassen sich mehr Maschinen wirtschaftlich an die Cloud anbinden. Und die einfachere Bedienung beschleunigt die Implementierung.
… und der Hersteller von heute
Gefragt nach neuen Geschäftsmodellen im eigenen Unternehmen merkte Mendes an, dass manche Siemens-Abteilungen schon stark auf Gesamtlösungen setzen, die gemeinsam mit OEMs entwickelt werden. Oft steuern die Partner ergänzende Software bei. Wago arbeitet daran, seine Steuerungen fit zu machen für das IoT. Neue Modelle sind bereits mit entsprechenden Zusatzfunktionen ausgestattet. Deren Nutzung ist in einem Freemium-Modell bis zu einem gewissen Umfang kostenlos (free), wer mehr Leistung braucht, muss dafür kostenpflichtigen Service buchen (premium). Bereits im Feld befindliche Steuerungen sollen per Firmware-Update ebenfalls die neuen Funktionen bekommen.
Die Vertreterin von STW betonte, dass durch das Sammeln und Analysieren fundiertere Entscheidungen getroffen werden können. Dadurch ergeben sich neue Geschäftsmodelle, an die in der Vergangenheit nicht zu denken war, weil zuvor die technische Basis fehlte. Diese ist nun im Aufbau, zum Teil auch schon gegeben. Als Beispiel für ein Cloud-Feature nannte sie das Geofencing, also das Errichten virtueller Zäune, so dass ein Fahrzeug gewisse Bereiche wahlweise nicht befährt oder diese nicht verlässt, beziehungsweise dass ein Alarm ausgelöst wird, wenn dieser Fall eintritt.
Beim Augsburger Embedded-Hersteller sind zunehmend IoT-Services sowie umfangreichere Softwareangebote gefragt, aber auch weitergehende Services in Sachen Garantieabwicklung, technischer Support oder kundenspezifischer Entwicklungen. Dabei muss man bei Kontron streng darauf achten, nicht den OEMs in die Quere zu kommen, sondern diesen die nötigen Tools und das Know-how zur Verfügung zu stellen, dass diese in der Lage sind, mit eigenen Applikationen und Services gegenüber den Endkunden zu punkten.
Schulterschluss mit OEMs
Siemens setzt bei seiner IoT-Plattform Mindsphere auf Offenheit, so Mendes. Dadurch können beispielsweise OEMs selbst Applikationen entwickeln, etwa zur Überwachung ihrer Maschinenflotten. Mit diesem Ansatz ist der Elektroriese nicht allein. Denn auch andere Hersteller stehen vor der Herausforderung, dass die Vielzahl der unterschiedlichen Anforderungen von ihnen allein nicht mehr erfüllt werden können.
Es komme daher darauf an, Lösungen in einem Patchwork aus verschiedenen Bausteinen – Hardware, Software oder Softwarekomponenten sowie Services – gemeinsam mit Partnern zu schaffen, meint Heiland. Die eigene Kernkompetenz wird dabei von OEMs und Dienstleistern ergänzt, so dass der bestmögliche Kundennutzen erzielt wird.
Für Maschinen- und Anlagenbauer, die interessante Lösungen anzubieten haben und bereit sind, eng mit einem Hersteller zu kooperieren, sind das gute Nachrichten. Denn es bedeutet, dass die Anbieter bereit sind, ihnen einen größeren Teil der Wertschöpfungskette zu überlassen als in der Vergangenheit. Das kann natürlich nur funktionieren, wenn es sich für beide Seiten lohnt. Für den Hersteller ist das immer dann der Fall, wenn er zusätzliche Projekte gewinnt, in denen er seine Infrastruktur, seine Software oder seine Services platzieren kann. Viele Kunden kommen etwa mit interessanten Ideen, wissen aber nicht, wie diese umzusetzen sind. Die Partner liefern eine breite Palette an Lösungen, die Beratung der Kunden lässt das Servicegeschäft wachsen.
Der Siemens-Vertreter berichtete beispielsweise von einem Kooperationspartner, der Beacons produziert, also Devices zum Preis von 10 bis 20 Euro, bestehend aus einem oder mehreren Sensoren, einem Connectivity-Modul sowie einer Batterie für rund zehn Jahre Betrieb. Diese werden auch nicht aufwändig verkabelt, sondern arbeiten mit Funk und können einfach aufgeklebt werden. Damit lassen sich kostengünstige Anwendungsfälle realisieren, insbesondere im Nachrüst- und Optimierungsgeschäft, wo derzeit die Nachfrage am größten ist.
Bei Kontron geht man auch bei der Hard- und Software neue Wege. So sind Pay-per-View, die dauerhafte Freischaltung zusätzlicher Hardware-Features oder höherer Leistung oder eine zeitlich begrenzte Runtime möglich. Sogar die vorübergehende Nachrüstung von Applikationen oder Algorithmen für bestimmte Aufträge und Projekte ist möglich. Und sie kommt nicht nur dem Hersteller zugute, sondern auch dem OEM, der diese Leistungen seinem Kunden in einem Leasing-ähnlichen Modell zur Verfügung stellt. Laut Grübmeyer ist beim Kunden längst akzeptiert, dass für zusätzliche Leistungen auch entsprechende Gebühren in Rechnung gestellt werden.
Ein Beispiel für eine Big-Data-Anwendung von Partnerseite ist die Schwingungsanalyse. Auch andere Anwendungen stellt STW bereit und ergänzt das eigene Portfolio mit Lösungen aus dem Partnernetzwerk.
Auf einem guten Weg
Big Data und Cloud Computing müssen von den Herstellern aktiv unterstützt werden, so der Apell von Reiner Grübmeyer. Das bedeutet, den Kunden Hilfestellung zu geben und Lösungspartner zu vermitteln. Ziel muss es sein, die Endanwender in die Lage zu versetzen, IoT- und Industrie-4.0-Lösungen umsetzen zu können. Datenanalyse, Gerätemanagement, IT-Sicherheit und nicht zuletzt die Durchgängigkeit der Lösungen sind die Punkte, auf die er einen besonderen Fokus legt.
„Wir sind bei IoT und Big Data noch lange nicht am Ziel, aber auf einem guten Weg“, so die Zwischenbilanz von Rebekka Heiland. Sie ist sich sicher, dass die aktuelle Entwicklung nicht nur ein Trend ist, sondern ein bedeutender Wandel, den jedes Unternehmen, das im Konkurrenzkampf nicht zurückfallen will, mitgehen muss.
Alexandre Mendes findet die Idee eines Partner-Patchworks sehr interessant. Siemens legt den Fokus auf den Aufbau eines internationales Ökosystems, um den Mehrwert und die Attraktivität der Mindsphere zu erhöhen.
Das sieht auch Dr. Thomas Holm von Wago so. Er appelliert zudem an alle Beteiligten, stets Lösungen zu finden, die für beide Seiten eine Win-Win-Situation darstellten. Die gemeinsame Entwicklung des Marktes könne nur funktionieren, wenn Gewinne nicht einseitig verteilt werden.