In vielen Kleiderschränken stapeln sich Hosen, Röcke und Oberteile, die kaum oder gar nicht getragen werden. So lautet das Ergebnis einer Greenpeace-Umfrage zum Kaufverhalten der Bürger. Selbst nicht beschädigte Kleidung wird oftmals aussortiert und landet in der Mülltonne oder Altkleidersammlung. Umweltfreundlich ist das nicht – Unmengen an Ressourcen, Chemikalien und Wasser fallen für die Herstellung von Kleidung an.
Zwar werden Altkleider hierzulande wiederverwertet, im Normalfall aber als minderwertigere Produkte wie Putzlappen, nicht als neue Kleidungsstücke. Der Grund: Hosen, Hemden und Co. sind selten sortenrein, sondern bestehen aus Mischgewebe. Die miteinander verwobenen Fasern zu trennen, ist bislang nicht möglich gewesen.
„Textilien bestehen selten aus reiner Baumwolle. Eine Jeans etwa enthält immer einen Anteil an Chemiefasern wie Polyester oder Elasthan“, erklärt André Lehmann, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP in Potsdam. Im Auftrag des schwedischen Unternehmens Re:newcell ist es dem Chemiker und seinem Team nun gelungen, Zellstoff aus recycelter Baumwolle zu Viskosefasern aus reiner Cellulose weiterzuverarbeiten.
Neues Filamentgarn
Üblicherweise verwendet die Textilindustrie Zellstoff als Ausgangsmaterial, um daraus künstliche Celluloseregenerat-Fasern wie Viskose, Modal oder Lyocell herzustellen. Da der Zellstoff nicht schmelzbar ist, muss er zu einer Spinnlösung aufgelöst und zu cellulosischen Spinnfasern umgeformt werden. In der Regel wird Zellstoff aus Holz gewonnen.
„Wir haben von Re:newcell jedoch Zellstoffplatten aus recycelter Baumwolle erhalten und sollten prüfen, ob sie sich zu Viskosefasern weiterverarbeiten lassen“, berichtet Lehmann. „Durch Einstellen der richtigen Parameter im Lösungs- als auch Spinnprozess, wie effektive Filtrationsstufen, konnten wir die im Zellstoff enthaltenen Fremdfasern herauslösen.“ Das Ergebnis: ein Filamentgarn, sprich eine mehrere Kilometer lange Endlosfaser, die zu 100 Prozent aus Cellulose besteht und qualitativ vergleichbar ist mit holzbasierten Celluloseregenerat-Fasern.
Aus dem Baumwoll-Zellstoff konnten im Spinnverfahren neue Fasern hergestellt werden, die sich für die Massenfertigung im industriell etablierten Viskoseprozess eignen. „Wir konnten den hohen Anspruch von Re:newcell an die Reinheit der neuen Faser erfüllen“, sagt Lehmann, der das entstandene Filamentgarn als baumwollbasierte cellulosische Regeneratfaser bezeichnet. Im Vergleich mit marktüblichen Viskosefasern konnte diese überzeugen und wies die gleichen Eigenschaften auf.
Komplexes Verfahren
Das war keine leichte Aufgabe, denn das Viskoseverfahren ist komplex. Zunächst muss der Zellstoff mit Lauge aktiviert und anschließend chemisch derivatisiert werden. Auf diese Weise entsteht eine hochreine alkalische Viskose-Lösung, die mittels Spinndüsen, in denen sich mehrere tausend Spinnlöcher mit Durchmessern von 55 µm befinden, in ein saures Spinnbad ausgesponnen wird. Aus den jeweils zu Tausenden sich bildenden Flüssigkeitsfädchen der polymeren Lösung regeneriert sich die derivatiserte Cellulose und fällt kontinuierlich in Fadenform im Spinnbad aus.
Im weiteren Prozess wird die chemische Derivatisierung beständig rückgängig gemacht und der Faden weitergewaschen, bevor er getrocknet aufgespult wird. Er besteht dann aus reiner Cellulose und ist damit umweltfreundlich – denn Cellulose verrottet und landet nicht als Mikroplastik im Meer. Das ist ein großer Vorteil gegenüber erdölbasierten Polyesterfasern, die mit einem Anteil von rund 60 Prozent den Weltmarkt dominieren.
Nachhaltige Mode
„In der Regel wird Baumwoll-Kleidung verbrannt oder sie landet auf der Deponie. Künftig kann sie mehrfach wiederverwertet werden und so zu mehr Nachhaltigkeit in der Mode beitragen“, erklärt Lehmann die Vorteile des neuen Verfahrens. Darüber hinaus ist es so möglich, die Rohstoffbasis für die Zellstoffgewinnung der Textilindustrie zu erweitern: „Bisher ist die holzbasierte Cellulose der Ausgangsstoff für Viskosefasern. Durch das Optimieren der Trennprozesse und die Intensivierung der Filtration der Fremdfasern im Spinnverfahren können wir langfristig die rezyklisierte Naturfaser-Baumwolle als alternative Zellstoffquelle und ernstzunehmende Rohstoffbasis etablieren.“