„Industrie 4.0 bedeutet nicht, digitale Insellösungen zu schaffen“, sagt Prof. Matthias Putz, Institutsleiter am Fraunhofer IWU. „Industrie 4.0 bedeutet, ganzheitlich zu denken und die Digitalisierung im Sinne ganz konkreter Mehrwerte systematisch umzusetzen.“
In drei Schritten zur 100-Prozent-Produktion
Mit der Maschine 4.0 verfolgen die Chemnitzer Wissenschaftler das Ziel einer 100-Prozent-Produktion. Möglich wird dies durch voll vernetzte Maschinen, die ihren Zustand selbstständig überwachen, mit ihrer Umwelt kommunizieren und vorausschauend arbeiten. Exemplarisch sieht man die Umsetzung auf der Emo in EMO in Hannover anhand einer zunächst virtuellen Umformpresse am Stand des Fraunhofer IWU.
Das Konzept der Maschine 4.0 geht dabei von einer Trias aus Technologie, System und Digitalisierung aus. Die integrative Betrachtung der technologischen Prozesse innerhalb eines darauf abgestimmten maschinellen Systems und einer zielgerichteten Digitalisierung sind die Voraussetzung, um die angestrebten Mehrwerte zu erreichen. Wie die Umsetzung innerhalb dieser Trias aussehen kann, wird an konkreten Exponaten veranschaulicht.
1. Technologie: adaptronische Komponenten für die 100-Prozent-Produktion
Eine robuste Produktion beginnt mit intelligenten Maschinenkomponenten. Ein am Messestand gezeigtes Beispiel hierfür ist die Applikation adaptronischer Bauteile. So lassen sich spanende Werkzeugmaschinen mit einem Schwingsystem für Bohr- und Fräswerkzeuge ausstatten. Es versetzt die Werkzeuge mithilfe von Ultraschall so in Schwingung, dass die Bearbeitung von faserverstärkten Keramiken und Kunststoffen wesentlich erleichtert wird.
Diese Leichtbaumaterialien kommen heute noch nicht uneingeschränkt zum Einsatz, weil ihre Bearbeitung schwierig und damit teuer ist. Das Ultraschall-Schwingsystem der Fraunhofer-Forscher soll das ändern: Mit seiner Hilfe lässt sich der Werkzeugverschleiß reduzieren, und es sorgt dafür, dass weniger Kraft für die Bearbeitung aufgebracht werden muss.
2. System: Produktion im Kontext denken
Bewegliche Maschinenkomponenten stellen die Chemnitzer Wissenschaftler unter anderem aus leichten Hybridbauteilen her. Dabei kann es sich um Sandwich-Konstruktionen aus Aluminiumschaum und Kohlefaser-Verbunden handeln. Sie vereinen sehr gutes thermisches Verhalten mit geringer Masse, zuverlässiger Dämpfung und niedrigen Fertigungskosten.
Ein wichtiger Baustein ist hierbei die Funktionsintegration der Komponenten als Basis einer digitalen Fertigung: Die Forscher binden beispielsweise Temperatursensoren und Einplatinen-Computer direkt in die Bauteilstruktur ein. So können umfangreiche thermische Messungen vorgenommen werden. Einzelne Komponenten bis hin zu komplexen Maschinen lassen sich analysieren. Ein Beispiel dafür bietet ein am Messestand ausgestellter Leichtbau-Maschinenschlitten mit PT-100-Sensoren.
Wer zu 100 Prozent produzieren möchte, muss auch Umgebungs- beziehungsweise Umweltdaten einbeziehen. Letztere gewinnen die Forscher in Chemnitz mit Hilfe einer Klimazelle, deren Modell am Messestand präsntiert wird. Bei der Klimazelle handelt es sich um eine Art Versuchshalle, in der sich verschiedenste Umgebungsbedingungen erzeugen lassen, beispielsweise Luft- und Bodentemperaturen zwischen 10 und 40 °C oder Luftfeuchtigkeiten zwischen 10 und 90 Prozent.
So testen die Wissenschaftler die Effekte durch Außeneinflüsse auf die Produktionsgenauigkeit von Maschinen, denn Werkstücke können hierdurch leicht um Millimeter von den geforderten Maßen abweichen. Thermische Einflüsse können allerdings auch durch den Prozess selbst hervorgerufen werden, was auf der Messe anhand einer parallelkinematischen Maschine demonstriert wird. Auch gezeigt werden Lösungen für eine entsprechende Gegensteuerung.
3. Digitalisierung: Wissen für ein effizientes Monitoring
Das Wissen um solche die Umwelt- und Prozessparameter lassen die Wissenschaftler in ein digitales Maschinenabbild einfließen, das dem Maschinenbediener beispielsweise auf einem Tablet zur Verfügung gestellt wird.
„Für viele wäre bei der bloßen Echtzeit-Darstellung der Maschine Schluss“, sagt Prof. Putz. „Wir gehen aber noch einen Schritt weiter und geben dem Maschinenbediener per Tablet Lösungsszenarien an die Hand.“ Entsprechend kann der Mitarbeiter etwa auf thermisch bedingte Verformungen des Maschinengestells reagieren und so Ausschussteile vermeiden.
Bei einer Umformpresse könnte der Mitarbeiter dann beispielsweise die Verkippung des Stößels ausgleichen, um Ungenauigkeiten entgegenzuwirken, die sich durch einen Verzug des Maschinengestells ergeben könnten. Voraussetzung dafür ist, dass das Kippmoment bekannt ist.
Bei der am Messestand gezeigten virtuellen Maschine 4.0 liefern Kraft- und Wegsensoren diese Information, die dem Besucher auf dem Tablet eingeblendet werden, in der Realität hingegen verborgen sind. Die Sensoren sind Grundlage für eine effiziente Zustandsüberwachung, die wiederum die Voraussetzung für die vorausschauende Instandhaltung von Maschinen bildet. Mit dieser lassen sich Reparaturen planen und Ausfälle vermeiden. So steigt die Maschinenverfügbarkeit in Richtung 100 Prozent.
Fraunhofer IWU auf der EMO vom 18. bis 23. September 2017 in Hannover: Halle 12, Stand D02