Die Einrichtung einer digitalen Sichtlinie ist ausschlaggebend für die Umsetzung von Unternehmenszielen und den wirksamen Einsatz knapper Ressourcen. Es handelt sich hier um einen unverzichtbaren Prozess für Unternehmen, die nach Exzellenz streben und jüngere Arbeitskräfte anziehen möchten – „Digital Natives“, die noch wenig Erfahrung haben, aber sofortigen Zugriff auf relevante Informationen erwarten. Angesichts der enormen Mengen der zur Anlagenverwaltung verwendeten Daten müssen Sichtlinien auf jeden Fall digital unterstützt werden, am besten durch einen immersiven und jederzeit auf dem neuesten Stand gehaltenen digitalen Zwilling.
Der Anlagenmanagement-Standard ISO 55001 führt eine strukturierte Methode für erstklassiges Anlagenmanagement ein und unterstreicht die Bedeutung einer gemeinsamen Ausrichtung von Unternehmenszielen und Vorschriften der Anlagenverwaltung bis hin zu den Anlagenverwaltungsplänen und -taktiken, die für jede verwaltete Anlage eingesetzt werden. Diese Ausrichtung entspricht der Sichtlinie, die einzelnen Mitarbeitern und Teams die Bedeutung ihrer täglichen Aktivitäten für langfristige Unternehmensziele verdeutlicht.
Digital Twin als Grundgerüst
Dank der Einbindung aktueller Informationen zu Planung, Bau und Betrieb in den digitalen Zwilling im Rahmen einer offenen und vernetzten Datenumgebung kann die Unternehmensführung schnelle und richtige Entscheidungen treffen. Zudem hat sich gezeigt, dass Mitarbeiter produktiver arbeiten, wenn sie die Gründe für ihre täglichen Aktivitäten verstehen.
Die digitale Sichtlinie verbindet die Unternehmensführung, die verwalteten Anlagen und die Mitarbeiter, um eine gemeinsame Ausrichtung für die Ausführung von Arbeiten an geschäftskritischen Anlagen zu schaffen und einen maximalen Ertrag zu erzielen. Anlagen werden angeschafft, um bestimmte Funktionen zu erfüllen und einen Mehrwert zu erwirtschaften – in diesem Sinne stehen sie im Mittelpunkt jedes Unternehmens. Die Art der Anlagenverwaltung hängt von den aktuellen und zukünftigen Unternehmenszielen ab und von der Höhe des Risikos für das Unternehmen und die Öffentlichkeit, falls die Anlage die gewünschte Funktion nicht ausreichend erfüllt. Der Aufwand sollte sich dabei auf diejenigen Arbeiten beschränken, die tatsächlich nötig sind, damit die Anlage den zur Umsetzung der Ziele erforderlichen Leistungsgrad erbringt.
Zur Einrichtung einer digitalen Sichtlinie wird ein digitaler Zwilling herangezogen. Es handelt sich dabei um eine digitale Darstellung einer physischen Anlage und der zugehörigen Prozesse und Systeme, einschließlich aller relevanten Informationen zum Verständnis und zur Modellierung der Anlagenleistung. Ein digitaler Zwilling wird normalerweise mit zahlreichen Datenquellen synchronisiert, zum Beispiel Sensoren und aus stetiger Vermessung, um den Zustand, den Betriebszustand oder die Position der Anlage nahezu in Echtzeit darzustellen. Digitale Zwillinge werden zur Optimierung des Betriebs und der Instandhaltung von physischen Anlagen, Systemen und Produktionsprozessen verwendet.
Kurz gesagt ist ein digitaler Zwilling nichts anderes als ein äußerst detailliertes digitales Modell und ein Gegenstück (oder Zwilling) der physischen Anlage. Vernetzte Sensoren an der physischen Anlage sammeln Daten, die im digitalen Modell abgebildet werden können. Der digitale Zwilling zeigt dem Betrachter wichtige Informationen zum realen Zustand und Betrieb der physischen Anlage, so dass Mitarbeiter problemlos die Zusammenhänge zwischen Datenpunkten erkennen und rasch fundierte Entscheidungen zur schnellen Korrektur einer ungenügenden Anlagenleistung treffen können.
Digitale Sichtlinie als Bindeglied
Unter digitaler Sichtlinie versteht man eine digitale Verbindung (oder einen Leitfaden) zwischen Daten, die über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage beibehalten wird, um die Integrität und Genauigkeit der Informationen sowie einen raschen Zugriff zu gewährleisten. Es gibt viele gute Gründe für ein Unternehmen, eine digitale Sichtlinie einzurichten. Jedoch dienen nicht alle diese Gründe der Steigerung des Anlagenwerts. Manche Unternehmen verwenden digitale Sichtlinien zur Festigung des Unternehmensrufs und zur Bereicherung der Öffentlichkeitsarbeit oder um eine angenehme und sichere Arbeitsumgebung aufrecht zu erhalten.
Sichtlinien müssen in beide Richtungen offen sein: der Informationsfluss von der Geschäftsleitung zu den Mitarbeitern informiert diese über Unternehmensziele und damit über die zu setzenden Schwerpunkte und die gewünschte Ausrichtung der Anlagenverwaltung, und umgekehrt wird die Geschäftsleitung über Kennzahlen zur Prozesseinhaltung in Form von Leistungskennzahlen (KPI) informiert. Eine digitale Sichtlinie gewährleistet zudem Konformität und Qualitätssicherung innerhalb der Arbeitsabläufe. Die Unternehmensführung setzt Ziele fest, die dann als Grundlage für Entscheidungen bezüglich der Anlagenverwaltung und entsprechender Maßnahmen dienen.
Die Umsetzung der Ziele wird mit Hilfe der KPI gemessen. Diese Kennzahlen veranschaulichen die Betriebsleistung, sowohl in Hinsicht auf die Produktion wie auch die Einhaltung der Arbeitsprozesse. Zusätzlich zu den KPI kann das Personal auch Daten zum Anlagezustand heranziehen, um Entscheidungen hinsichtlich der zur Umsetzung der Unternehmensziele besonders zu beachtenden Anlagen zu treffen. Solche Entscheidungen können geringfügige Reparaturen wie auch die Modernisierung oder den Ersatz ganzer Anlagen betreffen. Nach der Identifizierung der „problematischen“ Anlagen gewinnt die digitale Sichtlinie noch an Bedeutung, da sie eine sichere und effiziente Durchführung der zur Wiederherstellung dieser Anlagen erforderlichen Arbeiten ermöglicht.
Dank des Zugangs zu Planungsdaten und -parametern können Mitarbeiter sicher auf Produktionsstörungen reagieren. Diese Daten sind besonders nützlich in Verbindung mit den Daten zum Anlagenzustand und dem aktuellen Betriebskontext der Anlage. Die Abwesenheit eines digitalen Zugangs zum aktuellen Anlagenzustand und der Möglichkeit eines Vergleichs mit dem ursprünglichen Entwurf kann schlimme Folgen haben. Mitarbeiter benötigen oft einen besseren Zugang zur Wissensbasis des Unternehmens, zum Beispiel zur Vorbereitung auf einen Auftrag oder zum Verständnis einer neuen Anlage oder eines neuen Prozesses, an dem sie arbeiten. Eine solche Wissensbasis sollte unter anderem Fehlermöglichkeits- und Einflussanalysen (Failure Modes and Effects Analysis oder FMEA) enthalten. Diese Analysen dokumentieren die Anlagenfunktionen, die möglichen Ausfallarten, die geschäftlichen Auswirkungen solcher Ausfälle und die vorgeschriebenen Entschärfungsmaßnahmen zur Erkennung und Behebung von Funktionsausfällen. Zudem findet man in dieser Wissensbasis Handbücher, R&I-Fließschemas (Piping and Instrumentation Diagrams oder P&ID), Zeichnungen, Arbeitsabläufe, Prozeduren und Arbeitsanweisungen, um eine sichere und schnelle Arbeitsabwicklung zu gewährleisten.
Ohne digitale Sichtlinie wird die Arbeit viel schwieriger, da viel Zeit bei der Suche nach Teilen und Anweisungen sowie nach Informationen zu den Einstellungen und dem Zustand der betreffenden Anlage und anderer angrenzender oder vor- oder nachgeschalteter Anlagen verloren geht. Genauso wie die Mitarbeiter profitiert schließlich auch das Unternehmen von der digitalen Sichtlinie, weil Ziele schneller erreicht und bei geringeren allgemeinen Betriebskosten höhere Unternehmenswerte realisiert werden.
Effizient zu operativer Exzellenz
Durch die Einrichtung einer digitalen Sichtlinie können Unternehmen leichter ihre Leistungsziele umsetzen und mit ihren Anlagen die besten Werte erwirtschaften. Mitarbeiter können auf diese Weise innerhalb kürzester Zeit und mit minimalem Aufwand einen hohen Grad an operativer Exzellenz erreichen. Ohne Sichtlinie geht der tägliche Kampf weiter und die Leistungsfähigkeit bleibt hinter den Erwartungen zurück. Anstatt die Einrichtung einer digitalen Sichtlinie als unerreichbar oder als Luxus zu betrachten, sollten Unternehmensführer diese als unverzichtbare Grundlage zur Leistungsoptimierung verstehen.