Claus Bischoff ist im Rallye-Fieber. Der Lenze-CTO zeigt seinen Gästen als erstes einmal Bilder aus der Sahara. Ein schon etwas in die Jahre gekommener, Lenze-blauer Opel Frontera Geländewagen steht auf einer Anhöhe, über ihm nur der blaue Himmel. Daneben steht Bischoffs Kollege Christoph Ranze und sein Rallye-Partner Cord Saffran. In 21 Tagen fuhren die beiden von Dresden nach Dakar und bei Lenze fieberten sie mit. „Ein nicht mehr ganz modernes Auto, aber moderne Navigationssoftware und jeden Tag ein Eintrag im Rallye-Blog. So konnten wir alle mitlesen und die Stimmung im Team live miterleben. Quasi ein Condition Monitoring unseres Teams via Smartphone-App“, lacht Bischoff.
Software macht es möglich. „Erinnern Sie sich noch an den vermissten Sohn von Margret Thatcher? Damals wusste man tagelang nicht, ob er auf der Rallye verstorben sei. Heute schreibt Ranze schnell einen Blogartikel und meldet: Alles okay, Gaffer-Tape und Hammer helfen. Für uns ist das selbstverständlich, aber wir müssen diesen Anspruch an schnelle Kommunikation, Daten- und Informationstransparenz und den Einsatz von Softwareplattformen inmitten der Wüste auf den Maschinenbau übertragen.“ Bischoff und sein Lenze-Team starteten vor einigen Monaten ihre Digitalisierungs-Rallye und setzen dabei auf offene Plattformen, offene IT-Standards und Open Source-Tools.
Überzeugungsarbeit leisten
Der CTO skizziert die Strategie: „Software wird ganz sicher zum Differenzierungsmerkmal für den Maschinenbauer. Leider denken einige jedoch immer noch nur in Hardware. Der Service und das Thema Software ist bei vielen zu selten ein Thema.“ Servicewüste Maschinenbau? „Das ist nicht der Punkt. Es gibt einen etablierten Service bei den meisten Maschinenbauern, aber der erwirtschaftet in den meisten Branchen kaum Marge beziehungsweise Geld verdienen die Unternehmen mit dem Verkauf von Ersatzteilen. Das wollen wir ändern. Denn da geht viel mehr. Wir müssen Service, also digitale Services als gleichberechtigtes Produkt, als Verbesserung der Maschine verstehen. Der Maschinenbauer muss nicht nur eine Maschine reparieren, er muss sie berechenbarer, besser machen. Aber ich kann das Problem vieler Maschinenbauer auch verstehen, denn vielen Unternehmen fehlen die Ressourcen und das Wissen. Es sind oftmals gar nicht die Ideen für neue digitale Angebote, an denen es mangelt.“
Bischoff will noch nicht von Pay per Use-Modellen sprechen, auch wenn Lenze das für Kunden schon umsetzt. „Das ist doch viel zu groß für die Mehrzahl der Maschinenbauer. Trumpf macht da sicher einen wahnsinnig guten Job, aber die meisten unserer Kunden stehen ganz woanders. Wir sprechen mit ihnen erstmal über die Automatisierung von Servicetickets, von der Verwaltung von Maschinen, von Daten für Benchmarks oder von einem Lifecycle-Management der Maschine. Daraus lassen sich über unsere Plattform Produkte entwickeln und die kann unser Kunde selbst oder mit uns gemeinsam programmieren und dann whitelabeln“, berichtet Bischoff. Viele Unternehmen würden ihre Maschinen nach der Inbetriebnahme lieber gar nicht mehr anfassen. „Da müssen wir Überzeugungsarbeit leisten.“
Software-Management mit der Plattform
Wenn Software das Differenzierungsmerkmal im Maschinenbau wird, dann braucht es eine Plattform-Strategie beim Automatisierer, beim Maschinenbauer und beim OEM, davon sind sie bei Lenze überzeugt. Drei Aufgaben für ihre Plattformen haben sie im ersten Schritt identifiziert: Mehr Transparenz und Information über die Software im Feld. Die Vereinfachung der Verwaltung von Software also. Die zweite Aufgabe: Die Etablierung neuer Funktionen durch Software und deren Versionierung und Implementierung im Feld und die dritte Aufgabe: Das Patchmanagement für den gesamten Maschinenbestand hinweg. Kurz gesagt: Ein Software-Lifecycle-Management inklusive Cybersecurity schwebt ihnen vor.
„Wir stehen gerade am Anfang des Lebenszyklus einer Maschine. Unsere Plattform-Strategie fokussiert momentan die Build und Operate-Phase. Die weiteren Phasen reihen sich in den nächsten Monaten und Jahren wie Perlen in einer Kette auf.” Bischoff wird konkret, er und seine Kollegen kennen die Schmerzen ihrer Kunden: „Der Maschinenbauer muss in Zukunft Software verwalten, Steuerungen regelmäßig mit Updates versorgen, Maschinen-Apps aktualisieren, Rollbacks und Backups machen können oder Machine Learning-Ops Pipelines aufsetzen, um Kunden mit neu trainierten Machine-Learning-Modellen zu versorgen. Das sind Infrastruktur-Aufgaben und die wollen uns gerne auch die Hyperscaler abjagen. Denen fehlt es aber an Domänenwissen. Wir haben beides: Plattform und Wissen.”
Was Bischoff Sorgen macht, ist das Thema Cybersecurity. „Es kommen umfangreiche Vorgaben durch die staatliche Regulierung im Bereich Cybersecurity auf unsere Kunden zu. Bei dem Thema stecken gefühlt gerade viele den Kopf in den Sand. Das ist gefährlich. Mit unserer Plattform werden wir die Anforderung nicht wegwischen können, aber wir erleichtern es den Maschinenbauern”, verspricht der CTO. Sein Entwicklungsteam ist sich sicher: Maschinen werden in naher Zukunft eine Hardware Bill of Material und eine Software Bill of Material haben und diese muss der Maschinenbauer immer aktuell halten. Maschinenbauer wollen auch dafür eine Lösung sehen. Und das kann ein Mitarbeiter nicht händisch und allein lösen. Da braucht er Unterstützung von eben einer Plattform, die ihm seinen Maschinenpark managt, die ihm seine Versionierung managt, die für ihn Transparenz schafft. Und das Spannende ist, dass wir uns mit unserer Plattform-Strategie immer an die Rolle des Mitarbeiters anpassen können. Die Techniker im Feld brauchen andere Informationen, andere Visualisierungen als der Entwickler im Büro.“
Offenheit ist alles
Bischoff weiß, so gut das Automatisierungsportfolio von Lenze auch ist, nicht alle Maschinenbauer kaufen bei ihm ein komplettes System. „Die Antriebstechnik schon, den Controller vielleicht nicht“, kontert Bischoff und lacht. Die Plattform muss deshalb offen sein, muss allen zugänglich sein, muss auf IT-Standards fußen wie Docker-Containern, die jeder Anwender kennt und die weltweit bei Kunden akzeptiert sind.
Der Kunde stellt sich mit der Plattform seine IT-Lösung zusammen – mit Lenze-Applikationen oder bringt eigene Programme mit, gerne mit uns entwickelt, oder nutzt auf der Plattform Software von Partnern. Er kann Daten aus der Plattform mit seinen Applikationen verbinden. Das ermöglichen wir alles. Ich selbst nutze auch nicht die Apple Navigation, sondern Google Maps auf meinem Smartphone. Wenn die mir Google Maps sperren würden, dann stände für mich auch die Plattform Apple in Frage. Darum haben übrigens die Chinesen ihr eigenes, mächtiges Open-Source-Ökosystem aufgebaut, weil sie bei Android rausgeflogen sind. Das würde uns auch passieren, wenn wir Zäune hochziehen, die keiner unserer Kunden will.”