Je länger wir über Industrie 4.0 reden, desto häufiger hört man Aussagen wie „das IIoT löst das MES ab“ oder „nach MES kommt IIoT“. Solche Schlagzeilen klingen nach einer disruptiven Entwicklung, die für die typischerweise bodenständige Fertigungsindustrie aber eher untypisch ist. Denn dort setzt man vielmehr auf bewährte Methoden und ausgereifte Technologien – zumindest in den Branchen, in denen es um hohe Investitionsbeträge, große Stückzahlen und/oder hohe Umsätze geht.
Daher lohnt es sich, genauer hinzuschauen und sowohl MES als auch IIoT auf den Prüfstand zu stellen. Außerdem stellt sich die Frage, ob man MES und IIoT überhaupt vergleichen kann oder sollte beziehungsweise inwieweit es hier überhaupt um eine echte Substitution geht.
Was unterscheidet MES von IIoT?
Zunächst die Gemeinsamkeiten: Sowohl ein MES als auch das IIoT erfasst Daten, verarbeitet diese und gibt ein Ergebnis aus. Beide Systeme bewegen sich im Fertigungsumfeld und haben zum Ziel, effizienter zu produzieren. Wesentliche Unterschiede bestehen darin, aus welcher Perspektive die jeweilige Anwendung arbeitet und welchen Wirkungsbereich eine Optimierung haben kann.
Das IIoT erfasst in der Regel technische Echtzeitdaten wie Temperaturen, Geschwindigkeiten, Vibration, Zustandswechsel und Ähnliches. Damit bekommt das IIoT einen technischen Blick auf die aktuelle Situation einer Maschine oder Anlage. Auf Basis historischer Daten können Verläufe betrachtet und Vorhersagen getroffen werden. Diese technische Sichtweise ermöglicht Anwendungen wie Condition Monitoring und Predictive Maintenance. Mögliche Verbesserungen beziehen sich auf einzelne Maschinen oder Anlagen beziehungsweise auf einzelne Prozessschritte. Die Funktionalitäten von IIoT-Software sind eng verbunden mit den Assets wie Geräte, Maschinen und Anlagen.
Ein MES hingegen bringt die erfassten technischen Daten – sowohl Daten aus dem Industrial Internet of Things als auch direkt im MES erfasste Daten – auf einer übergeordneten Ebene in einen betriebswirtschaftlichen Gesamtkontext. Auf Basis der bekannten Auftrags- und Produktdaten entstehen neue Erkenntnisse. Ein MES weiß nicht nur, dass gerade ein Teil produziert wurde, sondern auch, ob es sich um ein Gutteil oder Ausschuss handelt beziehungsweise zu welchem Auftrag das Teil gehört und wie viele Teile noch hergestellt werden müssen, bis der Auftrag fertig ist.
Außerdem erkennt das MES, warum eine Maschine steht – wegen einer Störung oder weil sie gerade für den nächsten Auftrag gerüstet wird. Auf Basis dieser erweiterten Sichtweise kann man mit einem MES komplette Herstellungsprozesse und ganze Fertigungsbereiche ganzheitlich betrachten und optimieren. Die Funktionalitäten sind in der Regel nicht auf spezielle Geräte, Maschinen und Anlagen ausgerichtet, sondern sind Asset-übergreifend und unabhängig von Maschinenbesonderheiten. Diese erweiterte Sichtweise bildet wiederum die Datenbasis für ein ERP-System und dessen Aufgaben. Daher ist es wichtig, auch hierzu eine klare Abgrenzung zu finden.
Denn ein MES kümmert sich nicht um Geschäftsprozesse wie Einkauf, Material- und Produktionsplanung, Vertrieb oder Lagerhaltung. Diese Aufgaben sind klassischerweise im Enterprise Resource Planning (ERP) angesiedelt. Dort, wo das ERP die Herstellung eines Produkts oder mehrere Artikel erwartet, setzt ein MES an und bildet die Fertigungsprozesse deutlich feingranulierter ab, als das ein ERP in der Regel macht. Auch wenn sich das eine oder andere ERP um die Belange der Fertigung kümmert, liegt die Prozesskompetenz dafür doch beim MES, das über eine breite Schnittstelle mit dem ERP kommuniziert.
Unterschiedliche Sichtweisen
Aus der Betrachtung von MES und IIoT ergibt sich folgende Darstellung der überlappenden Sichtweisen auf die Produktion:
Das IIoT hat eine technische Sicht auf die Dinge. Hier geht es um die Auslastung von Maschinen und Anlagen sowie um deren Performance.
Das MES hat einen organisatorischen Fokus und sorgt dafür, dass die Abläufe in der Produktion transparent und effizient sind. Hier gilt es Verschwendungen wie Wartezeiten oder Ausschuss zu vermeiden.
Das ERP ist für betriebswirtschaftliche Aspekte zuständig. Hier geht es um die Bestellungen der Kunden, um Rechnungen und um die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens.
Erst das Zusammenwirken aller drei Sichtweisen macht aus einer Fertigung eine echte Smart Factory.
Beispiel Energiemanagement
Am Beispiel Energiemanagement lässt sich das Zusammenspiel von IIoT, MES und ERP gut erklären.
Das IIoT interessiert, wie viel Energie einzelne Teile einer Maschine verbrauchen, um den Betrieb dieser Maschine zu optimieren oder sogar Störungen vorherzusagen.
Im MES werden alle Energieverbräuche gesammelt, die für die Herstellung eines bestimmten Artikels oder die Abwicklung eines bestimmten Auftrags anfallen.
Das ERP benötigt die gesammelten Energieverbräuche, um diese bei der Kalkulation der Herstellungskosten zu berücksichtigen.
Wo beziehungsweise mit welchem System die eigentlichen Energieverbrauchsdaten erfasst werden, ist hierbei nicht relevant. Vielmehr geht es um die Nutzung dieser Daten und den Kontext, in den diese gesetzt werden. In der modernen Fertigungs-IT sind IIoT, MES und ERP so miteinander vernetzt, dass jedes System auf die Daten zugreifen kann, die für die jeweilige Aufgabe benötigt werden.
Fazit: IIoT und MES ergänzen sich
Es geht also doch nicht um ein Entweder – Oder, sondern um ein Miteinander und unterschiedliche Sichtweisen. Das IIoT steuert Echtzeitdaten mit technischem Hintergrund bei und das MES setzt diese in einen organisatorischen beziehungsweise betriebswirtschaftlichen Kontext. Während es im IIoT um Maschinen und Anlagen geht, stehen im MES eher die Aufträge und Prozesse im Vordergrund.
Trotzdem können beide Systeme voneinander profitieren. Einerseits untermauern die technischen Daten aus dem IIoT die Beurteilung von Prozessen im MES. Andererseits erweitern die organisatorischen Daten aus dem MES die technische Sichtweise im IIoT. Voraussetzung für diese Symbiose der IT-Systeme ist eine geeignete Integration oder Schnittstelle, sodass der Datenaustausch zwischen den Systemen reibungslos funktioniert und das jeweils andere System die Daten korrekt interpretiert.
Kurz zusammengefasst: Die Smart Factory braucht das Industrial Internet of Things, ein Manufacturing Execution System und die passende Integrationsplattform dazu. Von Substitution oder einer disruptiven Entwicklung ist hier also definitiv nicht die Rede.