Mikroplastik ist ein weltweites Problem: Es gelangt in Flüsse und Meere, es reichert sich in Lebewesen an und stört ganze Ökosysteme. Wie sich winzige Partikel in einer Strömung verhalten, ist wissenschaftlich schwer zu beschreiben - besonders bei dünnen Fasern, die mehr als die Hälfte der Mikroplastik-Kontamination in marinen Lebewesen ausmachen. In turbulenten Strömungen lässt sich ihre Bewegung kaum vorhersagen.
An der TU Wien gelang es nun in Experimenten in einem Strömungskanal mit Hilfe von High-Speed-Kameras, das Verhalten solcher Mikroplastik-Fasern genau zu charakterisieren. Das soll nun die Grundlage für neue Modelle werden, mit denen man die Ausbreitung von Mikroplastik global vorhersagen möchte.
Kleine, gekrümmte Fasern
„Wie sich Mikroplastik-Teilchen bewegen, verteilen und ablagern, hängt von ihrer Rotationsdynamik ab“, erklärt Vlad Giurgiu, Erstautor der aktuellen Publikation und Doktorand im Team von Prof. Alfredo Soldati an der TU Wien. „Bei annähernd kugelförmigen Teilchen ist das leicht zu analysieren. Aber oft hat man es mit langgezogenen, gekrümmten Mikrofasern zu tun.“ In diesem Fall kommt es zu komplizierten Effekten: Die Fasern können in allen drei Raumrichtungen rotieren, diese Rotation beeinflusst auch ihre Wechselwirkung mit der umgebenden Strömung.
„In einer perfekt gleichmäßigen, laminaren Strömung könnten wir das Verhalten von einfachen Objekten, zum Beispiel von Kugeln oder Ellipsoiden, theoretisch vorhersagen“, sagt Marco De Paoli (Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung, TU Wien). „Aber in der echten Welt hat man es weder mit perfekt laminaren Strömungen zu tun, noch mit perfekt symmetrischen Partikeln. Stattdessen treten Turbulenzen auf, und die Teilchen haben komplexe geometrische Formen, die den Transport maßgeblich beeinflussen und eine theoretische Vorhersage unmöglich machen.“
Was dabei genau passiert, ist schwer zu berechnen. „Es gab dazu schon verschiedene Computersimulationen, aber sie beruhen auf vereinfachten Modellen, um das Verhalten der Fasern zu beschreiben“, sagt Vlad Giurgiu. „Man braucht daher experimentelle Daten, mit denen man die theoretischen Modelle vergleichen und verbessern kann.“
Genau diese Daten lassen sich am Strömungskanal der TU Wien am Science Center (Arsenal, Wien) messen. Auf einer Weglänge von 8,5 m können dort kontrollierte Strömungen erzeugt werden. Kleine, gekrümmte Mikroplastik-Fasern mit einer Länge von rund 1,2 mm wurden in das Wasser eingebracht und einer turbulenten Strömung ausgesetzt.
Sechs Kameras sehen mehr als zwei
Knapp über der Wasseroberfläche installierte das Team sechs Spezialkameras: Mit einer Frequenz von 2.000 Bildern pro Sekunde wurden hochauflösende Aufnahmen der Mikroplastik-Teilchen in der Strömung gesammelt. Aus den Bildern lässt sich dann die dreidimensionale Position und Ausrichtung jedes einzelnen Mikroplastik-Teilchens errechnen. „Theoretisch würde das auch mit nur zwei Kameras funktionieren, aber mit sechs Kameras werden die Daten noch verlässlicher und genauer, besonders wenn die Konzentration der Teilchen hoch ist“, erklärt Giuseppe Carlo Alp Caridi, Koautor der Studie und Leiter der optischen Rekonstruktion am Institut für Strömungsmechanik und Wärmeübertragung.
Auf diese Weise kann man eine große Datenmenge über das Bewegungsverhalten hunderttausender Mikroplastik-Teilchen extrahieren und anschließen statistisch untersuchen. „So zeigte sich zum Beispiel, dass die Fasern in der Nähe einer Wand ein ganz anderes Verhalten zeigen als in der Mitte des Flüssigkeitsstroms, weit entfernt von den Wänden“, erklärt Vlad Giurgiu.
Ausbreitung rechnerisch erfassen
Damit steht nun erstmals zuverlässiges Datenmaterial zur Verfügung, um theoretische Rechenmodelle über das Verhalten solcher Teilchen zu validieren. Damit soll sich in Zukunft auch die Ausbreitung von Mikroplastik-Fasern auf großer Skala vorhersehen lassen.
„Stellen Sie sich vor, sie haben ein Schiff, das Mikroplastik aus dem Meerwasser filtern kann“, sagt Marco De Paoli. „Dann müssen Sie wissen, wo sie dieses Schiff am besten hinschicken – denn der Ozean ist groß. Wenn man das Verhalten der Partikel genau versteht, dann lässt sich die Antwort mit großer Zuverlässigkeit berechnen.“