Hangrutschungen, Steinschläge und Bergstürze werden angesichts des sich wandelnden Klimas und der damit einhergehenden Änderungen in Böden und Gestein immer öfter zu einer realen Bedrohung für Mensch und Infrastruktur. Je früher und genauer hier Veränderungen und Gefährdungen erkannt und beobachtet werden können, desto besser lassen sich Schäden eingrenzen oder sogar ganz vermeiden.
Ein Team am Institut für Ingenieurgeodäsie und Messsysteme (IGMS) der TU Graz hat hierfür eine Messmethode entwickelt, die bereits vorhandene Glasfaserleitungen nutzt, um Ereignisse in der Umgebung detektieren, lokalisieren und klassifizieren zu können. Zusätzlich lassen sich mit der Methode auch Ermüdungserscheinungen an Infrastrukturbauten, Brände, Leckagen oder Erdbeben erkennen - und das entlang der gesamten beobachteten Glasfaser, nicht nur an einzelnen Messpunkten. Diese lückenlose Messung stellt einen erheblichen Vorteil gegenüber konventionellen Messmethoden dar.
Eine freie Faser genügt
Bereits eingesetzt wird die Technologie unter anderem zur Überwachung von Tunnelschalen im Koralmtunnel, im Semmering-Basistunnel und im Brenner Basistunnel. Genauso kann dadurch der sichere Betrieb von Brücken und anderen Infrastrukturbauten gewährleistet werden. Durch die hohe Sensitivität der Messungen ließ sich auf einer Glasfaser-Teststrecke zwischen Campus Alte Technik und Campus Neue Technik der TU Graz sogar das schwere Erdbeben in der Türkei und Syrien im Februar 2023 detektieren. Prinzipiell kann die Messmethode überall zur Anwendung kommen, wo Glasfaserleitungen vorhanden sind. Dabei können nicht zu Telekommunikationszwecken verwendete Fasern - sogenannte Dark Fibers - zur Messung genutzt werden. So auch entlang von Bahnstrecken oder Straßen, die von Steinschlag bedroht sind, um hier sofort Alarm zu geben, wenn Steine auf das Gleis oder die Fahrbahn gefallen sind.
Möglich sind die Messungen durch Lichtimpulse, die in eine ungenutzte Faser der Leitung gesendet und bei ihrer Rückkehr ausgewertet werden. Je nach gewählter Auswertungsmethode lassen sich dabei drei Effekte messen: Akustische Signale und Vibrationen, Temperaturschwankungen oder langsame Dehnungsänderungen. Haben die Forschenden drei Fasern zur Verfügung, können sie alle drei Effekte gleichzeitig bestimmen; ist nur eine Faser verfügbar, ist nur die Überwachung eines Effekts möglich oder die Methoden müssen abgewechselt werden. Eine Messstation – der sogenannte Interrogator – deckt in beide Richtungen circa 40 Messkilometer ab, pro Station lassen sich also rund 80 Kilometer Glasfaser beobachten.
Jeder Nanometer zählt
„Wir schicken Licht mit einer bestimmten Wellenlänge in die Faser hinein und analysieren das rückgestrahlte Spektrum. Wenn der Lichtimpuls zurückkommt, hat er normalerweise die gleiche Wellenlänge wie vorher. Wenn etwas passiert, entstehen allerdings auch nicht-lineare Effekte, die als leicht versetzte Wellenlängen- oder Intensitätsvariationen zurückkommen. Je nach Messmethode kann ich anhand dieser Änderungen und aufgrund der Laufzeit des Signals bestimmen, an welchem Punkt der gemessenen Faser eine Vibration, Temperaturveränderung oder Dehnungsänderung stattgefunden hat. Wie wir sowohl im Labor- als auch bei Feldmessungen gezeigt haben, liegt die Sensitivität unserer Messungen im Nanometerbereich, wodurch bereits kleinste Veränderungen detektiert werden können“, erklärt Werner Lienhart, Leiter des Instituts für Ingenieurgeodäsie und Messsysteme der TU Graz.
Um ein Ereignis wie einen Steinschlag, Bergsturz oder Hangrutsch zu erkennen, muss es nicht in unmittelbarer Nähe der Glasfaser auftreten. Es können auch Änderungen detektiert werden, die einige hundert Meter daneben geschehen. Für die genaue Lokalisation werfen die Forschenden einen Blick darauf, mit welchem Zeitversatz ein Ereignis an verschiedenen Orten entlang der Messtrecke auftritt. Anhand dessen lässt sich die Position des Ereignisses triangulieren und an Ort und Stelle kann, falls notwendig, eine Messleitung zur genaueren Überwachung verlegt werden.