Dekarbonisierung beschleunigen Mit Künstlicher Intelligenz zur klimaneutralen Produktion

Die Transformation zu mehr Klimaneutralität erfordert ein stufenweises Umstellen der Prozesse und ihrer Abläufe.

Bild: iStock, NicoElNino
13.12.2022

Am Beispiel eines Industriepartners soll aufgezeigt werden wie mithilfe datengestützter Algorithmen (maschinelles Lernen) zur Vorhersage und Betriebsführung die Dekarbonisierung in der energieintensiven Industrie modelliert und so die Umsetzung einer klimaneutralen Produktion unterstützt werden kann.

Der Industriesektor ist für etwa 23 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich. Er ist damit von entscheidender Bedeutung für die Einhaltung der Klimaziele. Die Transformation zu mehr Klimaneutralität erfordert ein stufenweises Umstellen der Prozesse und ihrer Abläufe in den energieintensiven Industrien.

Ziel des Forschungsprojekts der HTWG ist, mit einer durch Künstliche Intelligenz (KI) unterstützten optimalen Produktionsplanung eine effektive und ökonomische Emissionsreduktion zu erreichen. Dabei werden Sektorkopplung, regenerative Energieerzeugung und Speichertechnologien miteinbezogen. Das so erreichte modulare Design soll dann auf verschiedene Unternehmen übertragbar sein.

Die Carl-Zeiss-Stiftung fördert im Rahmen ihres Programms CZS Transfer das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Dekarbonisierung der energieintensiven Industrie durch intelligente Sektorkopplung mit KI-basierten probabilistischen Prognosen und Betriebsführungen (DeepCarbPlanner)“ mit 868.000 Euro. Die Gesamtsumme beträgt eine Million Euro. „Mit diesem Vorhaben wird die Hochschule Konstanz ihre Kompetenz im Bereich Maschinelles Lernen, regenerative Energiesysteme und Vernetzung für die Energiewende einbringen und weiter ausbauen“, sagt Prof. Dr. Gunnar Schubert, Vizepräsident Forschung, Transfer und Nachhaltigkeit.

In dem Projekt kooperieren die Arbeitsgruppen der Projektleiter Prof. Schubert (Fakultät Elektrotechnik und Informationstechnik) und Prof. Dr. Oliver Dürr (Fakultät Informatik). Prof. Schubert hat bereits mehrere Projekte zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Stabilitätssicherung von Energienetzen geleitet. Prof. Dürr bringt seine Expertise auf dem Feld Maschinelles Lernen und probabilistische Vorhersagen ein.

Kooperationspartner aus energieintensiver Industrie

Der Kooperationspartner, Fondium Singen, gehört als Eisengießer zu den energieintensiven Industriebranchen. Für das Schmelzen von Eisen wird vor allem Koks verwendet. Des Weiteren braucht das Werk auch große Mengen Strom und Erdgas. Allein die direkten Emissionen führen zu CO2-Emissionen von jährlich rund 100.000 t. Bis 2030 will Fondium CO2-neutral sein. Zu den wichtigsten Maßnahmen zählen daher die Umstellung auf CO2-neutrale Verfahren sowie eine effiziente Auslastung von CO2-neutralen Energiequellen. Das Forschungsprojekt soll mögliche Lösungsansätze für beide Maßnahmen aufzeigen.

Durch die Entwicklung eines digitalen Zwillings können Wege hin zu einer klimaneutralen Produktion aufgezeigt werden, kündigen die beiden Forscher an. Dabei werden sowohl Vorhersagen, die auf maschinellem Lernen basieren, als auch Algorithmen zur Betriebsführung entwickelt.

Die aus Prognosemodellen und dem digitalen Zwilling gewonnenen Informationen werden dann in einem stochastischen Optimierungsmodell zur Minimierung der CO2-Emissionen verwendet. Diese Anpassung kann beispielsweise in mehreren Durchläufen mit unterschiedlich gewichteten ökologischen und ökonomischen Nebenbedingungen die Durchführung einer möglichst klimaneutralen Produktion virtuell aufzeigen. So kann eine termingenaue Produktion möglicherweise mit einem höheren Verbrauch fossiler Energie verbunden sein, während eine Orientierung am Verbrauch alternativer (beziehungsweise preisgünstigerer) Energien eventuell ein größeres Zeitfenster für die Produktion benötigt.

„Das Wort ‚eventuell‘ ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig“, betont Prof. Dr. Oliver Dürr. „Denn die erneuerbaren Energien haben oft inhärente Unsicherheiten: So kann zum Beispiel niemand die Windstärke von morgen um acht Uhr genau vorhersagen. Daher müssen wir in unseren Ansätzen mit Wahrscheinlichkeiten anstelle von Gewissheiten arbeiten.“

Für die Anwendung streben die Forscher die Entwicklung eines Werkzeugkastens, der „DeepCarbPlanner-Toolbox“, an. Sie integriert die Einzelkomponenten des Projekts: Datenerfassung, digitaler Zwilling und probabilistische (meint die Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeiten) Prognosen zu einem Softwarepaket. Die Toolbox dient zur Berechnung von Pfaden zur CO2-Emissionsreduktion – zum einen für die Optimierung der Produktion mit dem bestehenden Maschinenpark und zum anderen für die optimale Investition in klimaneutrale Technologien. Zusätzlich soll in der Toolbox der Effekt auf die CO2-Emission durch eine Sektorkopplung analysiert werden. Für eine mögliche Sektorkopplung werden potenzielle Abnehmer für die Wärmeenergie identifiziert (derzeit nutzt zum Beispiel das benachbarte Werk Abwärme aus der Eisenguss-Produktion von Fondium).

Studierende können im Forschungsprojekt mitarbeiten

Auch Studierende der HTWG profitieren von dem Forschungsvorhaben: Im Umfeld des Projekts werden praxisnahe Projekt- und Abschlussarbeiten angeboten, um den Studierenden einen Einblick in die aktuelle Forschung zu ermöglichen. Außerdem fließen Erkenntnisse aus der Forschung direkt in die Lehre ein. Die in dem Projekt tätigen akademischen Mitarbeiter haben zudem die Möglichkeit zur Promotion.

Einbindung in Gesamtstrategie der HTWG

„Dieses transferorientierte Forschungsprojekt gliedert sich optimal in die Hochschulstrategie ein“, betont HTWG-Präsidentin Prof. Dr. Sabine Rein. Es liefert wichtige Beiträge zur Stärkung von Nachhaltigkeitsthemen, der digitalen Transformation sowie zum Ausbau von trans- und interdisziplinären Strukturen.

Angesichts der drastischen Transformationen mit einer enormen Veränderungsgeschwindigkeit gerade in den Bereichen Nachhaltigkeit und Digitalisierung versteht sich die HTWG Konstanz als Partnerin und Begleiterin der Akteure in der Region im Bewusstsein dessen, dass für die Stellung und Beantwortung der komplexen Fragen der Zukunft das Zusammenspiel zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft notwendig ist, um möglichst tragfähige Lösungen zu erarbeiten.

Einbindung in das Reallabor Singen

Das Forschungsprojekt gliedert sich in das Reallabor Singen ein, das derzeit im Aufbau ist. Dabei handelt es sich um eine Kooperation zwischen HTWG und Kommune, mit dem Ziel, die Stadt Singen in Nachhaltigkeits- und Digitalisierungsfragen zu unterstützen sowie Kontakte zur umliegenden Industrie auszubauen. Als gemeinsame konkrete Aufgabe wird die nachhaltige Transformation der Industrieregion Singen mit dem Ziel der Klimaneutralität 2035 verfolgt.

Ergebnisse auf andere Unternehmen übertragbar

Die Ergebnisse werden der Öffentlichkeit mit Konferenz- und Journalbeiträgen und auf Symposien an der HTWG präsentiert werden. Daneben können Teilergebnisse des Projektes, wie zum Beispiel die probabilistische Vorhersage einer PV-Anlage, auch unabhängig in anderen Anwendungen, wie dem CO2-optimalen Laden von E-Autos, genutzt werden.

Durch das modulare Design der DeepCarbPlanner-Toolbox wird die einfache Übertragbarkeit auf unterschiedliche Systeme erreicht. Diese erlaubt zum Ende des Projekts einen einfachen Transfer der Toolbox für verschiedenste Unternehmen der energieintensiven Industrie.

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